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Konzert im Magdeburger Dom Mit verhaltenen Gesten und katastrophalem Ausbruch

Von Renate Bojanowski 16.05.2015, 01:21

Magdeburg l "Du sollst nicht töten", heißt das sechste Gebot der Bibel. Die Gräuel des Krieges sind in Europa wieder präsent, den Frieden in der Ukraine trägt nur eine unsichere Waffenruhe. Rechtsextreme Tendenzen nehmen zu. Ewiggestrige missbrauchen den Gedenktag anlässlich der Zerstörung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg, Tausende Flüchtlinge sterben im Mittelmeer... Angesichts dieses düsteren Szenarios kommt dem Gedenkkonzert infolge des Kriegsendes vor siebzig Jahren am vergangenen Donnerstag im Magdeburger Dom eine große Bedeutung zu.

Unter der musikalischen Leitung von Tobias Börngen erklang Benjamin Brittens "War Requiem" op. 66 - unter Mitwirkung des Magdeburger Kantatenchors, der Magdeburger Singakademie, der Jugendkantorei und Großen Kinderkantorei der Paulus-Singschule und der Klasse 7.2 der Freien Waldorfschule Magdeburg gemeinsam mit der Magdeburgischen Philharmonie, den Solisten Anita Bader (Sopran), Peter Diebschlag (Tenor) und Roland Fenes (Bariton) sowie Kathedralmusiker Mathias Mück an der Orgel. Vom ersten Takt an entfaltete das große Ensemble die gelegentlich schroffen Linien und scharfen Züge der Komposition klug arrangierend.

Der von Tobias Börngen bestens präparierte Kantatenchor überzeugte mit beeindruckender dynamischer Differenzierung: Von der verhaltenen Geste bis hin zum katastrophalen Ausbruch im "Libera me" steigerte er seine expressiven Mittel. Börngen verlangte seinem Chor alles ab und dosierte seine Kräfte. Das Ensemble tat gut daran, seinem Dirigenten auf Schritt und Tritt zu folgen. Der Zuhörer erfreute sich an der sauberen und frischen Intonation, der Differenziertheit und durchdringenden klaren Botschaft.

Dem brausenden Geschehen weit entrückt bildete der Kinderchor unter der Leitung von Bernhard Schneyer von der Empore den engelhaften Kontrast. Lobenswert auch hier: die gute Intonation.

Im textlichen Teil der lateinischen Totenmesse agierte ebenso die Solistin Anita Bader. Sie hinterließ mit kraftvoller, frischer Höhe, die sich auch über das eindringlichste orchestrale Geschehen erhob, einen nachhaltigen Eindruck.

Eine inhaltlich zweite Ebene etablierte Britten mit den Gedichten des in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs gefallenen Briten Wilfred Owen. Den beiden männlichen Vokalsolisten Peter Diebschlag und Roland Fenes gelang die Interpretation der hoffnungslosen zivilisatorischen Tragödie vorzüglich. Diebschlag punktete sowohl mit lyrischem Schmelz als auch mit ansprechender Präsenz und Überzeugungskraft. Roland Fenes sang mit weichem, ausgeglichenem Timbre, klar und verständlich. Er gestaltete ausdrucksvoll und intensiv.

Die Magdeburgische Philharmonie musizierte routiniert und bediente sich unter der Leitung von Tobias Börngen einer schier unerschöpflichen Klangvielfalt. Die üppigen Schlagwerke und die vorzüglichen Blechbläser setzten wohldosierte Akzente. Auch die solistisch agierenden Holzbläser schöpften aus einer reich bestückten Farbpalette. Mathias Mück sorgte für die Farbtupfer von der Orgel. Eindrucksvoll bekundeten die Zuschauer ihren Dank, indem sie sich von ihren Plätzen erhoben. Gleichzeitig mahnten die Domglocken: Du sollst nicht töten!