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Puppentheater Magdeburg Geiz ist überhaupt nicht geil

Harpagon, ein reich gewordener Bürger, klammert sich an sein Geld und tyrannisiert seine Kinder. Den Figuren in "Der Geizige" von Molière gibt die Aufführung im Magdeburger Puppenteater eine Ähnlichkeit mit heutigen "Glotzen"-Helden.

Von Claudia Klupsch 16.07.2015, 01:00

Magdeburg l Molière verstand es vortrefflich, seine Figuren stark zu typisieren. Am besten gelang ihm das beim Knauser-Knochen Harpagon in "Der Geizige". Das Puppentheater Magdeburg hat eine Version der Komödie zu seinem diesjährigen Sommertheaterstück erkoren und lässt auf der Bühne ein gnadenlos verrücktes Spektakel mit überaus überzeichneten Figuren toben. Zu erleben ist ein Sommerspaß unter freiem Himmel, allerdings nicht ohne Chance, Denkanstöße davonzutragen.

Nach zwei durch Wetter-unbilden verhinderten Versuchen, das Stück zu seiner Premiere zu bringen, klappte es am Dienstagabend vor ausverkauften Zuschauerplätzen. Regisseurin Astrid Griesbach entführt mitnichten in Molières Paris des 17. Jahrhunderts. Das verraten vom ersten Augenblick an schrille goldhaarige Wesen, kostümiert in Röckchen nebst glitzernden Rüschen-Elementen.

Klamauk-Modus

Der Klamauk-Modus ist angestellt - erst recht, als der Protagonist im Affenzahn hereingefahren wird. Dagobert Duck reloaded! "An Enteritis erkrankt und in der Blüte seiner Jahre", stellt ihn eine Art peitschenknallender Zeremonienmeister in Glitzer-Outfit vor.

Der Comic-Geldsack-Erpel in Form eines riesigen Stofftieres im Rollstuhl! Dazu passt, dass Ausstatterin und Puppenbauerin Lisette Schürer güldene Rundstücke größeren und kleineren Durchmessers die Bühne beherrschen lässt. Die Harpagon-Schatzkammer ist wie der Dagobert-Geldspeicher gut gefüllt mit Goldtalern.

Die Idee des Stücks, zu unseren heutigen "Glotzen"-Helden eine nicht zufällige Ähnlichkeit herzustellen, amüsiert. Es ist zu komisch, wenn Harpagon-Sohn Cléante als stofflich modifizierter Garfield daherkommt. Dieser Kater liefert sich goldige Szenen mit dem Erpel, sackt buchstäblich zusammen, als der ihm eröffnet, Marianne, ein junges und besitzloses Mädchen, heiraten zu wollen. Cléante liebt Marianne, soll aber eine Witwe heiraten. Da bleibt nur Durchbrennen mit geborgtem Geld. In einer Art Herzblatt-Show treffen Kreditnehmer und -geber aufeinander. Ein herrliches Bild, wie Kater und Erpel schließlich aufeinander einprügeln.

Den Puppenspielern allen Respekt! Claudia Luise Bose, Anna Wiesemeier, Freda Winter, Richard Baborka, Florian Kräuter, Lennart Morgenstern und Leonhard Schubert halten über zwei Stunden das Spiel lebendig - Bewegung in jeder Sekunde, temporeiche Auf- und Abgänge.

Schauspielerisch überzeugen sie als glitzernde "Hüter" des Geldes, wechseln gekonnt zum Puppenspiel und zurück. Mitunter koordinieren sie die Puppen zu dritt, schaffen es gar, starren Plüschköpfen Mimik abzutrotzen.

Sie hauchen den Puppen Leben ein - nicht zuletzt durch ihre Stimmen. Tochter Élise - eine Barbie-Puppe mit lila Haar - hat gleich zwei mitunter synchron agierende Stimmengeberinnen. Meist enden ihre Wortbeiträge in hysterisch-schrillen Tonlagen.

Élise, Harpagons zweites Kind, ist einem Greis versprochen. Sie liebt jedoch Valère, der im Dienste ihres Vaters steht. Der sieht aus wie Homer Simpson. Pittiplatsch ist auch dabei, jedenfalls sieht Diener La Flèche ihm fatal ähnlich. Zum Piepen komisch, als ihm Karl Marx von der Empore reinen Wein über den Kapitalismus einschenkt und Pitti zu Freiheitsgesängen veranlasst. Apropos Gesang: "Die Weise vom Kredit" erntet als musikalischer Höhepunkt Sonderapplaus.

Armes Würstchen mit Geld

Star des Stücks bleibt der Geiz-Erpel. Trotz der komischen äußeren Hülle wird dem Betrachter klar, welch armes Würstchen sich da an sein Geld klammert, mit ihm spricht, es streichelt. Eindringlich komisch und rührend zugleich gelingt die Schlüsselszene mit der Frage "Geld oder Liebe?".

Am Schluss kommt gar der Grusel - die Todesszene. "Fährst in die Gruben nackt und bloß, so wie du kamst aus Mutters Schoß" aus "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal ist zu vernehmen. Die poetisch-eigentümliche Sprache steht im Kontrast zum zuvor Gehörten. Die Glitzer-Kreaturen erklären nun ihr zweites Gesicht. Es wird brutal. Ihr schauriges Lachen lässt das Stück enden. Die Warnung vor Geiz und Geldgier ist perfekt: Geiz ist ganz und gar nicht geil.

Regisseurin Astrid Griesbach hat nicht nur das spielfreudige Ensemble hervorragend eingestellt, sie hatte auch den Mut, all die verrückten Ideen umzusetzen. Das Publikum ist nicht nur wunderbar unterhalten, sondern muss allerhand Grips aufbringen, die verworrene Story aufzudröseln. Klamauk macht Spaß, Denken macht Spaß.