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60. Filmfestspiele in Berlin Oskar Roehlers provokanter Film "Jud Süß" spaltet das Publikum

20.02.2010, 05:16

Berlin. Kurz vor Ende der Berlinale wurde der schon reichlich müde Wettbewerb durch einen kleinen Skandal belebt: Oskar Roehlers Beitrag "Jud Süß – Film ohne Gewissen" wurde mit Buhs und Pfuis bedacht.

Der dritte deutsche Wettbewerbsfilm basiert auf dem dramatischen Schicksal des Schauspielers Ferdinand Marian (Tobias Moretti), der im Auftrag von NS-Propagandaminister Goebbels (Moritz Bleibtreu) die Hauptrolle im antisemitischen Film "Jud Süß" spielte, erst gefeiert wurde und dann an den Folgen dieser Kollaboration zerbrach. Die provokante Verfilmung spitzte die historischen Fakten zu. So hatte Drehbuchautor Klaus Richter dem Helden eine halbjüdische Gattin (Martina Gedeck) angedichtet, die im KZ umkommt.

Während Tobias Moretti glaubwürdig einen klassischen gefallenen Helden spielt, schwankte der Goebbels von Moritz Bleibtreu zwischen Kopie und Karikatur. "Das Clowneske finde ich geil", erklärte er bei der Pressekonferenz. Auf recht grelle Weise arbeitete Regisseur Roehler bei seiner Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Karrierismus mit Sex-Szenen – das wirkte oft aufdringlich.

Das große Plus des Films aber war die detailgetreue Nachinszenierung der markantesten Szenen des Originalfilms. "Jud Süß" wurde Anfang der 40er Jahre von 20 Millionen Menschen in ganz Europa gesehen und darf bis heute nur mit erklärenden Einführungen gezeigt werden.

Fehlende und ferne Väter als Generalthema

Zuvor war der zweite deutsche Wettbewerbsfilm "Shahada" mit anerkennendem Beifall aufgenommen worden. Der 30-jährige Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Einwanderer, kreuzt in seinem Debütfilm die Wege junger muslimischer Berliner, die mit den Regeln des Islam kollidieren. So fühlt sich Maryam nach einer illegalen blutigen Schwangerschaftsunterbrechung so schuldig, dass sie zur Eiferin wird. Samir dagegen weiß nicht, ob er seinen Kollegen Daniel lieben darf. Dieser Reigen wirkte zwar mitunter etwas konstruiert, war aber respektabel inszeniert und gespielt.

Während die Figuren in "Shahada" nie verurteilt werden, ergriff die bosnische Regisseurin Jasmina Zbanic, die 2007 mit "Grbravica" den Goldenen Bären gewonnen hatte, mit ihrem Zweierdrama "Auf dem Weg" ganz klar Partei. Luna, eine junge Stewardess aus Sarajewo, trennt sich von ihrem Partner, der bei den orthodoxen Wahhabiten Zuflucht vor den Kriegstraumas und der Alkoholsucht findet und nun Luna den strengen Regeln unterwerfen will.

Aktuelle Konflikte widerspiegelte auch der iranische Film "Zeit des Zorns". Hier erschießt ein Mann, dessen Frau und kleine Tochter bei Kämpfen zwischen Polizei und Demonstranten umgekommen waren, aufs Geratewohl zwei Polizisten und wird dafür von zwei Milizionären gejagt, die wiederum einen Kampf gegeneinander austragen.

Regisseur Rafi Pitts, der auch die Hauptrolle spielte, hatte seinen lakonischen Film noch vor den Unruhen im letzten Sommer gedreht. Auf sehr drastische Weise setzte sich der japanische Film "Die Raupe" mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Ein Soldat, der ihm Krieg chinesische Frauen vergewaltigt und getötet hatte, ist nun als hilfloses Bündel, taubstumm, ohne Arme und Beine, seiner Gattin ausgeliefert.

Beim Wandel des Brutalos zum Opfer setzte Altmeister Koji Wakamatsu vor allem auf Sex-Szenen mit dem Krüppel.

Der erklärte Favorit vieler Kritiker dagegen ist der poetischste und ruhigste Beitrag, der fast meditative türkische Film "Honig". Der siebenjährige Sohn eines Imkers wird vom Vater in die Geheimnisse des Waldes eingeführt. Doch dann verschwinden erst die Bienen, dann der Vater.

Die fehlenden und fernen Väter – sie waren ein Generalthema in allen Berlinale-Reihen. Im unterhaltsamen Film "The Kids Are All Right" der im Wettbewerb außer Konkurrenz lief, knüpfen die Kinder eines lesbischen Paares, das von Julianne Moore und Annette Bening gespielt wird, Kontakt zum Samenspender. Der coole Typ wirbelt die Familie gehörig durcheinander.

Mehrere deutsche Dokumentarfilme widmeten sich dem Thema. "Friedensschlag" zeigt, wie in einem Boxcamp junge Straftäter erzogen werden, deren alleinerziehende Mütter überfordert waren. In "Postcard To Daddy" arbeitet Michael Stock den Missbrauch durch den eigenen Vater auf.

Auch Jan Raiber sucht in seinem Film "Alle meine Väter" seinen fremden Vater auf – der gar nichts von ihm wusste. Einem anderen Mann wird vor laufender Kamera eröffnet, das er gar nicht der Vater sei. Der exhibitionistische Familienfilm, der im Forum lief, wirkte wie eine Bewerbung für eine Doku-Soap auf RTL 2.