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Spielzeit Stendals Theater muss ausziehen

Intendant Rahlfs vom Theater der Altmark im Gespräch über eine besondere Spielzeit mit Sanierung und neun Ausweichspielstätten.

Von Grit Warnat 18.05.2019, 01:01

Stendal l Wolf E. Rahlfs ist seit einem Jahr Intendant in Stendal. Inhaltlich hat sein Vorgänger Alexander Netschajew dieser noch laufenden Spielzeit seinen Stempel aufgedrückt, Rahlfs hat das Programm sozusagen geerbt. Aber er konnte auf der Bühne bereits durch seine eigene Regiehandschrift Akzente setzen. Der 41-Jährige inszenierte zwei erfolgreich gelaufene Stücke: das Musical „Cabaret“ und das Arthur-Miller-Drama „Tod eines Handlungsreisenden“ mit einer Raumbühne.

Die am 31. August beginnende neue Spielzeit nun hält eine weit ungewöhnlichere Herausforderung bereit. Das Programm steht zwar bis Juni 2020 mit allen Stücken und den Premierenterminen – aber die Theatersäle sind wegen einer energetischen Sanierung ab Januar nicht nutzbar. Und so mussten Bühnen in der Stadt gefunden werden.

Herr Rahlfs, Ihr Theater startet gleich mit fünf Premieren in vier Wochen in die Spielzeit. Das ist hoch anspruchsvoll.
Wolf E. Rahlfs: Wir haben uns viel vorgenommen, aber mit Blick auf die Schließung müssen wir vorlegen.

Wann übernehmen die Bauarbeiter?
Wir wollen im Januar noch das Neujahrskonzert mitnehmen, weil es eine schöne Tradition am TdA hat. Dann würden wir schließen. Aber der Bewilligungsbescheid von der Landesbaubehörde für diese Baumaßnahme liegt immer noch nicht vor. Das bereitet uns Sorge. Zehn Monate sind für die Sanierung veranschlagt, Mitte November 2020 wollen wir mit dem Weihnachtsmärchen und kurz danach mit einer größeren musikalischen Produktion das Haus wieder öffnen. Die Zeit sitzt uns im Nacken. Das Theater macht einen Großteil seines Umsatzes im vierten Quartal.

Wohin werden Sie ausweichen?
Zum Beispiel in die Uppstall Kinos, die Musik- und Kunstschule, den Klostergarten beim Altmärkischen Museum, das Haus der Vereine. Wir haben neun Ausweichspielstätten. Ein ganz besonderer Spielort wird die Stadionkneipe von Lok Stendal. Da zeigen wir ein Stück um einen talentierten Fußballspieler, um Ruhm und Geld. Logistisch ist all das natürlich eine riesige Herausforderung, während wir gleichzeitig vergleichsweise eingeschränkte Platzkapazitäten haben. Das Große Haus fasst bis zu 550 Menschen, in der Stadionkneipe haben wir Platz für etwa 60 Zuschauer.

Sehen Sie diese ungewöhnlichen Orte auch als Chance, Menschen zu erreichen, die Ihr Theater noch nicht kennen?
Es ist eine riesige Chance, auf die wir uns auch freuen. Wir haben uns ja sehr bewusst dagegen entschieden, eine große Sporthalle anzumieten. Das wäre vielleicht der leichtere Weg gewesen. Wir wollen aber an Orte gehen, wo man uns nicht vermutet. Auch in der Altmark selbst werden wir präsenter sein. Wir sind in Salzwedel im Kulturhaus, zeigen ein Shakespeare-Medley im ArtHotel in Havelberg und in der Salzkirche in Tangermünde führen wir „Judas“ auf. Mit der Schließung des Stammhauses nutzen wir also auch die Möglichkeit, bestehende regionale Kontakte zu intensivieren.

Welche Auswirkungen hat all das auf die Stückauswahl?
Die Spielzeit ist unter anderen mit „Die lächerliche Finsternis“, „Judas“, „4Min 12Sek“, „Der rote Löwe“ sehr auf zeitgenössische Dramatik ausgelegt. Es macht ja auch Sinn, Orte mit einer konkreten Funktion mit heutigen Stoffen zu bespielen. Deswegen spielen wir in der Stadionkneipe eben ein Fußballstück und keinen „Hamlet“.

Zum Beginn gibts aber einen Klassiker. Warum „Effi Briest“?
Wir feiern gerade das Fontane-Jahr „fontane.200“ und in der Gegend haben wir mit Tangermünde z.B. einen Spielort aus seiner Novelle „Grete Minde“. Dazu gab es allerdings vor einigen Jahren schon ein Stück am TdA. „Effi Briest“ bot sich an, zumal das Vorbild der Titelfigur in Schloss Zerben bei Parey lebte. Es ist eine starke Geschichte, die überzeitliche Fragen stellt, nach Glück und Moral, nach Entscheidungsfreiheit und Erwartungsdruck. Jule Kracht, die Regisseurin, wird das Stück in einer stilisierten Ästhetik zwischen 19. und 21. Jahrhundert inszenieren.

„Cabaret“, die Musicalproduktion mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie, war ein Riesenerfolg. 2019 planen Sie nichts Vergleichbares. Liegt das auch am Baugeschehen?
„Cabaret“ haben wir im Haus achtmal gespielt. Immer vor ausverkauften Rängen. Es war ein großes Projekt, mit Orchester, mit Chor und Tänzerinnen. In der Spielzeit 2019/20 haben wir aufgrund der Schließung keine ausreichenden Aufführungskapazitäten, um so eine kostenintensive Produktion mit einer angemessenen Vorstellungszahl anzusetzen.

Was bieten Sie Musiktheaterfreunden?
Es gibt zum Beispiel die Produktion „That‘s Life!“, als Koproduktion mit der Bigband der Musik- und Kunstschule. Damit erinnern wir an die große Zeit des Swing mit Frank Sinatra und Tony Bennett. Das musikalische Spektrum reicht dabei bis zu heutigen Interpreten wie Robbie Williams oder Michael Bublé.

Sie haben gesagt, das nächste Jahr wird es eine neue Musiktheaterproduktion geben. Wieder mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie?
Das ist unser Wunsch und das Orchester hat auch Interesse signalisiert. Jan Michael Horstmann, der Chefdirigent bei den Schönebeckern wird, hat bei uns schon ein Dirigat vertreten. Er kennt unser Haus also bereits.

Als Landestheater gehen Sie mit Ihren Stücken auf Gastspielreise. Befürchten Sie Einbrüche?
Nicht bei den Abstechern. Ein Großteil davon sind kleinere Produktionen, das Weihnachtsmärchen, die Klassenzimmerstücke, unsere Puppentheater-Arbeiten. Da besteht die Nachfrage. Aber auch „Effi Briest“ und „24 Stunden im Leben einer Frau“ erfahren spürbares Interesse. Die Zuschauerzahlen im Haus werden wir in dieser Spielzeit aber nicht halten können.

Andererseits können Sie Ihrem Publikum Gastspiele anderer Ensembles nicht anbieten, oder?
Bis zur Schließung haben wir das Nordharzer Städtebundtheater mit Operette und einem Märchenballett zu Gast und die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie gibt noch vier Konzerte. In der Schließzeit können wir das leider nicht mehr anbieten.

Ihnen steht eine besondere Spielzeit bevor.
Das kann man wohl sagen.