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Theater Roulette der Befindlichkeiten

Im Magdeburger Schauspielhaus brachte Wolfgang Krause Zwieback die sinnlich-experimentelle Schifffahrt „Elbes Quellgeist“ zur Uraufführung.

Von Gisela Begrich 19.03.2017, 23:01

Magdeburg l Krause Zwieback ist ein ganz besonderer Künstler. Um sich von den Millionen Krauses im Land zu unterscheiden, nahm er früh in seiner Karriere den Namen Zwieback hinzu. Aber sein Alleinstellungsmerkmal erwarb er sich durch die Spezifik seiner Kunst.

Bis zur Wende zog Krause Zwieback das Publikum besonders dadurch in seinen Bann, weil sich die Zuschauer darin bestätigt fühlten, dass es so in diesem Staat auf die Dauer nicht gut gehen kann, obgleich der Künstler dies gar nicht sagte. Aber er sagte es auf eine Art nicht, dass alle meinten, es zu hören und zu sehen. Diese (vermutete) Meisterschaft begeisterte. Sie bestand und besteht aus Wortspielen, die überraschende Sinngebungen schaffen und Wahrheiten bestreiten sowie aus szenischen Vorgängen, die aus einem Dickicht von Gefühlen und Zusammenhängen herauspreschen, worauf niemand vorbereitet ist. Handlungsstränge brechen plötzlich ab und enden in sonderbaren Pausen, aus denen sich Dinge entwickeln, die Türen auftun, wo keine sind. Krause Zwieback schickt, wie er selbst formuliert, Worte zum Tanzen auf Wiesen.

Jetzt jedoch, wo dieser Kunst die spezifische Resonanzfläche fehlt, gerät das Publikum mitunter in Stimmungen, die zwischen ziemlich ratlos und absolut begeistert pendeln. Krause Zwieback macht alles, was er zum Thema erklärt, für Kunst urbar und das auf eine unnachahmliche Weise, auf surrealistische Weise, wie er selbst ausführt. Sind es beim Surrealisten Dali die Uhren, die zerfließen, ist es bei Krause Zwieback die Zeit selbst, weil sich gegen Ende seiner Acts die Minuten dehnen, denn es häufen sich Szenen, die bloßer Aktionismus sind. Das ist in Magdeburg jedenfalls so.

Dennoch: Für Freunde dieser Kunst ist der Abend im Schauspielhaus ein Kleinod und für seine Jünger gar ein Labsal. Dafür sorgt vor allem Ralph Opferkuch als Herr Kern. Er brilliert sowohl am Flügel als Pianist als auch als Schauspieler mit einer somnambulen Gegenwärtigkeit und einer körperlichen Gelenkigkeit, die die Intentionen des Machers zum ästhetischen Ereignis werden lassen. Opferkuch spricht die Texte so lässig wie gekonnt. Hohe Punktzahl! In einer Szene zwischen Begehren und Abwehr und voller Ernst und Komik erlangt an seiner Seite Maike Schroeter, die auch am Flügel Befähigung abliefert, eine deutliche Profilierung.

Raphael Kübler gibt vor, die Würde eines Kapitäns zu verteidigen, er trägt Uniform wie Verantwortung, karikiert aber diesen.

Denn der Mann erlitt gefühlt mehr Schiffbruch, als dass er Schiffe in einen Hafen steuerte. Das verkörpert Kübler ausgewogen und auch clownesk, wenn er artistisch pointiert in den Seilen eines Schiffes hängt. Iris Albrecht als Wassa, das Wasser, kann das, was sie kann, nicht wirklich zeigen, aber was sie zeigt, ist gut.

Die Aufführung besitzt auch in der Ausstattung eine hohe Ästhetik: stilvolle, zeitlich nicht fixierte Kostüme und wenige Raumelemente.

Im Background fließt auf einer breiten Leinwand beständig der Fluss, was Atmosphäre verbreitet.

Die Musikauswahl ist unterhaltsam und attraktiv, aber die inhaltlichen Aussagen erfordern, dass der Zuschauer seine Assoziationen hinzufügt, damit sie wesentlich bleiben, sonst neigt die Inszenierung dazu, abzugleiten in ein beliebiges Roulette der Befindlichkeiten. Form schlägt Inhalt, aber nicht zu Tode.

Das Publikum honorierte die Aufführung mit vielen Lachern und mit einem mehr als dankbaren Applaus. Dieser Abend präsentiert etwas ganz anderes, als man sonst hier im Theater zu sehen bekommt. Ein Krause Zwieback eben.

Wieder zu sehen am 25. März um 19.30 Uhr.