Beim Verwöhnen der Kinder kommt es immer auf das Wie an / Gemeinsame Zeit ist sehr wichtig Lieber viel Zuwendung als viel Spielzeug
Eltern sollen ihre Kinder nicht verwöhnen, heißt es immer wieder. Sonst wird der Nachwuchs sozial inkompetent und findet später keinen Beruf. Aber ganz so simpel ist es nicht: Auf das Wie kommt es beim Verwöhnen an - und auf das Warum.
München (dpa) l Strahlende Kinderaugen, ein zufriedenes Lächeln und vor allen Dingen: Harmonie. Solche Momente wünschen sich alle Eltern. Oft ist die Versuchung groß, sich dieses Glück zu erkaufen: Eine Süßigkeit stellt das Quengeln ab, ein neues Spielzeug beendet die schlechte Laune. Wird das zur Gewohnheit, verpufft der kurzfristige Glückseffekt, die Kinder werden verwöhnt. Ein Problem, mit dem sich Eltern auseinandersetzen müssen, sobald ihr Nachwuchs älter als drei Jahre ist.
"Durch feinfühlige Zuwendung gegenüber dem Kind kann man nichts falsch machen", sagt Prof. Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des Staats-instituts für Frühpädagogik (IFP) in München: "Wenn man das beherzigt, kann man ein Kind unter drei Jahren nicht verwöhnen." Die Psychologin Becker-Stoll geht noch weiter und warnt vor dem Versuch, Kinder zur Tapferkeit zu erziehen: "Wenn ein Kind hinfällt, braucht es Trost und Zuwendung. Einen Säugling kann man nicht zu sehr verwöhnen, wenn man auf jedes Wimmern reagiert."
"Mit feinfühliger Zuwendung kann man nichts falsch machen."
Externe Emotionsregulation nennen Fachleute es, wenn Eltern ihr trauriges Kind in den Arm nehmen oder ihm leise zureden. Zu feinfühlig kann man gegenüber dem Nachwuchs nicht sein, das bestätigt auch der Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge. Er sieht das Problem woanders: "Man meint häufig, durch materielle Zuwendung die emotionale kompensieren zu können", sagt Rogge. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Bei einem Kind, das immer wieder Geschenke einfordert und dessen Unzufriedenheit scheinbar nur durch Wunscherfüllung zu zügeln ist, empfiehlt der Familienberater die einfache Frage: "Was steckt dahinter?"
Dabei kommt es auf die Einstellung der Eltern an. Wer falsch verwöhnt, das Kind zum Beispiel mit zu viel Dingen überhäuft, weiß das in der Regel und handelt aus schlechtem Gewissen oder falsch verstandener Zuwendung. "Man muss sich selbst wichtig nehmen", fordert Jan-Uwe Rogge. Eltern können ihrem Kind also in Ruhe erklären, warum sie dessen materiellen Wunsch nicht erfüllen wollen und mit ihm absprechen, wie man auf andere Weise etwas gegen seine Unzufriedenheit tun kann.
"Gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten, ist keine Überforderung für das Kind", sagt die Psychologin Becker-Stoll. Ihrer eigenen Tochter hat sie einmal in solch einer Situation für eine Stunde das Spiel "Mama macht alles, was Du willst!" angeboten. Ähnlich hat es die Berliner Buchautorin Gerlinde Unverzagt gemacht, als sie einem ihrer vier Kinder einmal Götterspeise servierte - wie gewünscht mit Ketchup. "Den Wunsch eines Kindes sollte man respektieren", sagt Unverzagt, "die Frage ist, wie man damit umgeht." Im Fall der Götterspeise mit Ketchup war die Sache nach dem ersten Löffel erledigt.
"Wünsche zurückstellen, macht Kinder sozial kompetenter."
Bei so etwas Alltäglichem wie dem leidigen Zubinden der Schuhe kann das bei einem Vorschulkind schon etwas schwieriger sein. "Wenn man für ein Kind etwas immer macht, das es gut selbst kann, verwöhnt man es", bringt Gerlinde Unverzagt es auf eine einfache Formel. Dem Kind jedes mal die vermeintliche Last abzunehmen und die Schuhe zuzubinden, fördert auch nicht die Kompetenz des Kindes. "Verwöhnen ist das Gegenteil von feinfühliger Zuwendung", sagt Fabienne Becker-Stoll.
Verweigern Eltern den gewohnten Schuh-Service, kommt es wahrscheinlich zum lautstarken Protest des Kindes. Im Stress gibt es dann schnell Streit. "Auch wenn Kinder ein Verhalten zeigen, mit dem Eltern Schwierigkeiten haben, brauchen sie immer das Gefühl, angenommen zu sein", sagt Familienberater Rogge. Der Königsweg ist in diesem Fall, seinen Sprössling in dem zu bestärken, was er gut kann. Dabei können Absprachen hilfreich sein, sagt Jan-Uwe Rogge, etwa: "Drei Tage bindest du dir die Schuhe zu, zwei Tage mache ich das."
Schon die Kommunikation bringt Eltern und Kinder jedes mal näher zusammen und erfüllt damit das wichtigste Grundbedürfnis: das nach Geborgenheit. Dann fällt es auch leichter, ein klares Nein zu akzeptieren. "Da müssen Kinder auch durch", sagt Gerlinde Unverzagt. "Wenn ein Kind gelernt hat, Wünsche zurückzustellen, macht sie das sozial kompetenter."
Doch nicht nur das Wohl des Kindes steht auf dem Spiel. Unverzagt warnt vor dem haltlosen Zurückweichen vor Kinderwünschen: "Wenn das praktisch zur Selbstaufgabe bei den Eltern führt, ist das sicherlich nicht gut."
Emotional kann man seinem Nachwuchs also nicht zu viel geben. Zuwendung, Liebe und Aufmerksamkeit werden - anders als zuviel Spielzeug - nicht einfach links liegen gelassen. In gelegentlichen Ausnahmefällen ist aber auch materielles Verwöhnen in Ordnung, sagt die erfahrene Mutter Gerlinde Unverzagt. Und sie nimmt vom Zurückhaltungsgebot auch Großmütter und Großväter aus: "Die stehen schließlich nicht in der Erziehungsverantwortung." Und dürfen ihre Enkelkinder verwöhnen.