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Tipps von Experten Streiten: aber richtig! Warum wir es sollten, wie es gelingt

Mal ist es die legendäre Zahnpastatube, mal ein kleines Zuspätkommen, mal die große Politik: Schon kracht es. Streit gilt oft als zerstörerisch, dabei kann viel Positives haben, wenn man weiß, wie.

Von Katja Sponholz, dpa 22.09.2025, 00:06
Streit gehört zum Leben dazu: Er kann zwar schmerzhaft sein, wirkt aber oft als Katalysator für mehr Verständnis und Nähe
Streit gehört zum Leben dazu: Er kann zwar schmerzhaft sein, wirkt aber oft als Katalysator für mehr Verständnis und Nähe Thomas Frey/dpa/dpa-tmn

Augsburg / Frankfurt - Hört auf zu streiten! Diesen Satz hat als Kind wohl schon jeder gehört - und vermutlich auch das ein oder andere Mal sogar selbst dem eigenen Nachwuchs mit auf den Weg gegeben. Denn Streit wird als etwas Negatives, Nerviges, Überflüssiges betrachtet. 

Fachleute sehen das jedoch anders. „Lasst uns streiten!“, appelliert die Kommunikations-Expertin und Autorin Birte Karalus. Und Streitforscher Christian Boeser von der Uni Augsburg meint: „Wir brauchen den Streit unbedingt! Privat, beruflich und gesamtgesellschaftlich!“ Doch dafür muss man einiges beherzigen - und nicht einfach drauflos zoffen.

Furchtbar oder fruchtbar? Warum der Anfang wichtig ist

„Ob ein Streit furchtbar oder fruchtbar ist, liegt an uns. Derjenige, der anfängt, hat es in der Hand“, sagt Karalus. Das fängt mit der Motivation an (geht es mir um die Sache, will ich eine Lösung finden oder bin ich auf Verletzung aus?) und reicht bis zum richtigen Zeitpunkt (nehme ich mir Ruhe und Zeit oder breche ich zwischen Tür und Angel mal eben einen Riesen-Krach vom Zaun?). 

„Wenn ich aber wirklich bereit bin, mich mit dem anderen auseinanderzusetzen, wenn man Klarheit bekommt über das, worum es geht, dann ist es die Kraft des Streites, dass ich Antworten bekommen, Missverständnisse aufklären und Blockaden auflösen kann“, erklärt die Mediatorin.

Wann Streit negativ ist - und wieso

Warum aber hält man Streit dann eigentlich für etwas Schlechtes? „Weil es, vor allem, wenn es ein feindseliger Streit ist, auch negative Konsequenzen hat, Misstrauen schürt, Verletzungen zurücklässt und immer auch die Gefahr beinhaltet, dass es eskaliert“, erklärt Boeser. 

Vor allem dann, je besser man sich kennt und je näher man sich steht. „Dann kennt man genau die Triggerpunkte“, so Karalus. „Das ist ja das Gemeine, weil ich dann weiß, wie ich jemanden persönlich treffen kann.“

Und oft spitzt sich eine Auseinandersetzung auch deshalb zu, weil man einfach eine andere Streitkultur und Biographie, eine völlig andere Erwartungshaltung und Persönlichkeitsstruktur hat. „Dann wird es kompliziert, weil Menschen unterschiedlich empfinden und das Verhalten eines Menschen als feindselig betrachten, was gar nicht so gemeint ist“, sagt Christian Boeser.

Ein praktisches Beispiel: Zwei Personen streiten sich und der eine knallt die Tür und verlässt den Raum. Wenn man Menschen danach befragt, wie sie diese Situation auf einer Skala von 1 (pure Harmonie) bis 10 (maximale Eskalation) bewerten, dann antworten diese meistens mit einem Wert zwischen 2 und 9. 

„Für manche ist es völlig ok, den Raum zu verlassen, um sich abzureagieren und ruhiger zu werden, und für andere ist es fast gleichbedeutend mit einem finalen Kontaktabbruch“, erläutert der Wissenschaftler. Die Konsequenz: „Wenn eine 2 den Raum verlässt und hat eine 9 sitzen lassen und kommt nach 20 Minuten zurück und fragt: 'Was wollen wir denn heute essen?' Dann ist die 9 natürlich völlig irritiert.“

Balance: Was Streit braucht

Grundsätzlich gehe es beim Streiten auch immer ums Ausbalancieren und darum, ob ich dem anderen Raum gebe, ihm zuhöre und versuche, ihn zu verstehen - oder ob ich mich selbst abgrenze und Position beziehe. „Beides ist wichtig. Und zwar abhängig von der Situation mal mehr das eine oder das andere“, sagt Boeser.

Dafür braucht es jedoch ein wohlwollendes Interesse gegenüber dem anderen und Zugewandtheit. Und vor allem: Freundlichkeit. „Sie kann magische Wirkung haben, tut uns gut und verwandelt Beziehungen“, sagt die Autorin. Wer zudem die „Königsdisziplin der Freundlichkeit“ beherrscht, das Zuhören, hat gute Chancen, dass ein Streit nicht eskaliert, sondern sich der andere ernster genommen und besser verstanden fühlt. 

Und noch etwas ist wichtig: „Wir brauchen eine Fehler-Toleranz dem anderen und auch uns selbst gegenüber“, so Boeser. Sprich: Mit gewisser Großzügigkeit mit Fehlern umgehen. „Sonst reicht es schon, dass einer nur die Augenbraue hochzieht - und der andere ist direkt sauer.“

... und was gar nicht

Und es gibt natürlich auch absolute No-Gos, sagt der Forscher: „Wenn ich den anderen als Feind betrachte, den es zu vernichten gilt, ist etwas schiefgelaufen in der Kommunikation. Dann gibt es ganz typische Teufelskreisläufe, dass sich etwas immer weiter hochschaukelt und eskaliert.“ Voraussetzung, um gut streiten zu können, sei seiner Ansicht nach eines: Wertschätzung. „Ich muss den anderen als Mensch betrachten, der es verdient, dass ich ihn mit Respekt behandle.“ 

Dabei kann und sollte man auch auf sich schauen, wenn nötig auch kritisch: „Wichtig ist, dass man gesprächsfähig bleibt und versucht, dem anderen deutlich zu machen, warum ist mir das wichtig. Und sich gleichzeitig dafür interessiert, warum manches für den anderen nicht von Bedeutung ist“, so der Streitforscher. 

Denn scheinbare Belanglosigkeiten wie sind nicht die eigentliche Ursache für den Streit, sondern nur der Auslöser, ein Symbol für andere Probleme. Meistens gehe es dabei eher um die Frage: Respektierst du mich und meine Bedürfnisse? Und oft auch um Selbstbestimmung nach dem Motto: Glaubst du ernsthaft, du kannst mir vorschreiben, was ich zu tun habe? 

Wissen, worum's eigentlich geht

Um dem anderen gegenüber jedoch wertschätzend und freundlich auftreten zu können, muss ich bei mir selbst anfangen, sagt Birte Karalus. Ich muss mir die Zeit nehmen, um mich selbst zu reflektieren und zu hinterfragen, was mir wichtig ist. Und auch, warum ich von dem anderen so getriggert werde und dann zwei Sätze reichen, dass ich mich nicht mehr in den Griff bekomme. „Weil es in Wirklichkeit nämlich um meine Identität geht und Dinge, die mir wichtig sind - und ich dann überreagiere.“ 

Ideal wäre es, in einer solchen Situation dann so stark zu sein, dass man es nicht auf eine Eskalation ankommen lässt: „Wenn ich weiß, dass ich Zeit brauche, weil ich sonst Dinge sage, die ich nicht mehr zurücknehmen kann und verletzen, dann sollte ich den Streit abbrechen“, sagt die Kommunikations-Expertin. Eine solche persönliche Auseinandersetzung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, kann also sinnvoll sein - und hat nichts mit grundsätzlicher Streitvermeidung zu tun: „Team Harmonie ist nicht die Lösung. Das ist nur so als, ob man einen Teppich über die Probleme deckt.“ 

Weshalb Vermeidung kontraproduktiv ist

Auch Christian Boeser ist überzeugt, dass die Vermeidung von Streit nur weitere Schwierigkeiten verursacht und ebenso wie feindseliger Streit auf Dauer soziale Beziehungen zerstört. „Denn dann kommt man automatisch an den Punkt, dass man irgendwann platzt.“

Damals wie heute ist die Aufforderung: „Hört auf zu streiten!“ also auf jeden Fall falsch. „Die Aussage, das machen nur die, die böse sind, ist gelogen“, sagt Birte Karalus. „Es sind die Guten, die streiten - weil sie wollen, dass wir gemeinsam vorankommen.“