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Flüchtlinge in Burg „Ich habe eine Familie gefunden“

Ammar Chohi aus Syrien kam zur St.-Johannes-Kirche, um Deutsch zu lernen und fand viele neue Freunde.

10.10.2015, 05:00

Burg l „Hallo. Ammar“, sagt der 39-Jährige zur Begrüßung und zeigt auf sich. Bisher spricht er nur ein paar Brocken deutsch, einen Kurs durfte er bislang nicht besuchen. Ohne Übersetzerin Twafeeq Nokhsha, die vor 14 Jahren aus dem Irak nach Burg gekommen ist, wäre ein Gespräch nicht möglich. Sie übersetzt die erste Frage. „Mir geht es gut“, antwortet Ammar auf arabisch und lächelt.

Als er vor vier Monaten in Burg ankam, hielt er Ausschau nach einer Kirche. „Das ist das Haus Gottes, da musste ich hingehen“, sagt er. In seiner Heimatstadt Homs habe es vor dem Bürgerkrieg viele Kirchen gegeben. Katholisch, evangelisch oder orthodox – die Syrer machen hier laut Ammar kaum Unterschiede. Jetzt sind alle zerstört.

„Das Land wird nie wieder das gleiche sein wie früher“, erklärt Ammar Chohi. Er möchte hier bleiben. Es ist für ihn das Land der Träume. Seine Cousine hat ihm in Syrien immer wieder von Deutschland erzählt. Das Bild, das er dadurch bekommen hat: „Hier sind alle Leute gleich. Alles ist durch die Gesetze geregelt und der Staat sorgt wie eine Mutter für seine Kinder.“

Seine Mutter und Schwester musste der 39-jährige Mann in Syrien zurücklassen. „Es fühlt sich jetzt an hier, als hätte ich noch mehr Familie bekommen“, sagt er über die Mitglieder der katholischen Gemeinde. Ammar ringt mit den Tränen. Er ist sich bewusst: Wenn ich kein Deutsch lerne, bin ich hier nichts. Viele Menschen hätten ihm gesagt, dass er ohne Arbeitserlaubnis keinen Deutsch-Kurs machen kann. Aber das war Ammar egal. Er will sich mit den Menschen in Burg unterhalten, verstehen, was sie sagen. „Wenn ich die Menschen auf den Straßen hier sehe, träume ich davon, dass ich auch so leben darf“, sagt Ammar. Vor ihm müsste niemand Angst haben, und auch er müsse in Deutschland keine Angst mehr haben. „Ich habe das erste Mal das Gefühl, dass ich in Sicherheit bin“, sagt er.

20 Tage lang war Ammar Chohi unterwegs. Von Syrien aus ging es für ihn zunächst in die Türkei. Von dort aus mit dem Boot weiter nach Griechenland. „Es war völlig überladen und das Wasser ist überall durchgesichert“, sagt Ammar. Für eine Fahrt, die eigentlich 1,5 Stunden dauert, hat das alte Schiff vier Stunden gebraucht. In Griechenland wurden die Flüchtlinge von der Polizei registriert. Ob er hier bleiben wolle, wurde Ammar gefragt. Nein, weiter nach Deutschland. Von Griechenland aus ging es weiter nach Mazedonien. Zu Fuß, tagelang. „Meine Füße haben geblutet. Manchmal konnte ich nicht mehr“, sagt Ammar. Er hatte nichts dabei als das, was er am Leib trug. „Das war sehr, sehr schwer.“ Über Serbien und Ungarn, immer weiter nach Deutschland. Häufig mit dem Zug, immer unter Beobachtung der Polizei. Unterwegs fand er einen Freund. Seine Frau war in der Zentralen Aufnahmestelle (Zast) in Halberstadt. Die beiden Männer kamen deshalb zunächst in Dessau an. Von hier ging es zunächst zur Zast, danach nach Burg. 20 Tage hat die Flucht aus dem Krieg gedauert.

Von dem wenigen Geld, das Ammar Chohi dabei hatte, kaufte er sich ein Handy. Dadurch kann er nicht nur den Kontakt zu seiner Familie in Syrien halten. Es hat sich auch als lebensnotwendige Übersetzungshilfe herausgestellt. In eine App gibt er arabische Wörter ein, die dann ins Deutsche übersetzt werden. „Da lachen wir schon manchmal drüber, weil totaler Quatsch rauskommt“, sagt Kathrin Feineis, die als Gemeindereferentin bei der St.-Johannes-Gemeinde arbeitet. Sie ist Ammar eine große Stütze. Die beiden verstehen sich gut, teilen im Gottesdienst ein Gesangsbuch miteinander.

Die Gemeinde, deren fester Bestandteil Ammar jetzt ist, hat ihm geholfen, den Bleibestatus zu bekommen. Ein großer Erfolg, über den sich Ammar Chohi und Kathrin Feineis sehr freuen. Er kann sich jetzt eine Wohnung in Burg suchen. Danach möchte der 39-Jährige so schnell es geht wieder arbeiten. Zuletzt war er als Rettungsschwimmer tätig, aber er verkaufte auch schon Kinder- und Frauenbekleidung und arbeitete als Masseur. „Meine Lieblingsbeschäftigung ist Sport, und am liebsten würde ich in diesem Bereich arbeiten“, sagt Ammar.

Ein Leben in Frieden mit neuen Freunden und neuen Aufgaben – das ist es, was Ammar möchte. „Manche Leute denken, dass wir ihnen nur ihr Geld wegnehmen wollen, aber das ist nicht so“, sagt der 39-Jährige. Er könne die Angst aber verstehen, vor allem in Hinblick auf die Zwischenfälle in den Notunterkünften. „Auch die Flüchtlinge sind nicht alle gleich. Manche sind gute Menschen, andere nicht“, sagt er.

In der Gemeinde gibt es keine Berührungsängste. Alle helfen, wo sie können und integrieren ihr neuestes Gemeindemitglied. So hat eine ehrenamtliche Helferin Ammar einen CD-Player mit einem Sprachkurs geschenkt. Über eine andere Frau, 80 Jahre alt, sagt er: „Sie war wie eine Mutter für mich“, und ringt wieder mit den Tränen. Die Gefühle könne er nicht kontrollieren, zu nett seien die Menschen hier zu ihm gewesen. Für Ammar Chohi ist klar: „Ich bleibe in Burg. Ich habe hier eine Familie gefunden.“