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Wahlrecht Ein Kreuz machen für Inklusion

Bisher waren Menschen, die auf eine Vollbetreuung angewiesen sind, von Wahlen ausgeschlossen. Zu unrecht, so die Lebenshilfe Burg.

Von Susanne Klose 04.04.2019, 01:01

Burg/Genthin l „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ – so heißt es im viel zitierten Artikel 3 des Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Was viele nicht wissen: Der Artikel geht noch weiter. So heißt es im Unterpunkt 3: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Nur – das ist für viele Menschen mit Behinderunge derzeit Realität, auch mit Blick auf die kommende Kommunal- und Europawahl am 26. Mai.

Das Bundeswahlgesetz besagt im Paragraf 13 bisher, dass Menschen, die im Alltag auf einen Betreuer angewiesen sind, von der Wahl ausgeschlossen sind. In Sachsen-Anhalt betrifft das derzeit etwa 2500 Personen. Dieser Paragraf muss jetzt geändert werden. So hatte das Bundesverfassungsgericht im Januar eine weitreichende Entscheidung gefällt. „Die Regelungen der Wahlrechtsausschlüsse für in allen ihren Angelegenheiten Betreute gemäß § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) und für wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Straftäter gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG sind verfassungswidrig“, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung zum Urteil.

Ein Urteil, das längst überfällig war, findet Erik Dietzel. Der Geschäftsführer der Lebenshilfe Burg zeigt absolutes Unverständnis für die bisherige Regelung. „Das sind Menschen wie du und ich“, echauffiert sich Dietzel.

Schon länger begleitet der Verein Lebenshilfe, der sich als „Selbsthilfevereinigung für Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien“ versteht, die Debatte um das Wahlrecht. Beziehungsweise um den Zugang zur Wahl.

Denn auch Dietzel argumentiert mit Artikel 3: „Die bisherige Regelung war ein Verstoß gegen das Grundgesetz.“ Daher unterstütze die Lebenshilfe sie dann Ende Mai bei der Ausübung ihrer Rechte in den Wahllokalen – wenn sie wollen. „Ich gehe nicht davon aus, dass jetzt 100 Prozent der Betroffenen dann auch wählen gehen“, vermutet Erik Dietzel mit Blick auf die geringe Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl.

Mit Blick auf die Barrierefreiheit erklärt der Lebenshilfe-Geschäftsführer, dass Menschen, die durch den Verein Lebenshilfe betreut werden, davon direkt nicht betroffen wären. „Außerdem wäre im Fall einer Wahlbeteiligung der Betreuer mit hoher Wahrscheinlichkeit mit im Wahllokal“, so Dietzel.

Für Christa Kunze ist die Entwicklung zu einer Inklusion auch bei der Möglichkeit zur Stimmabgabe ein Forschritt. Sie ist im Vorstand des Vereins „Miteinander leben – Behindertenverein in Genthin & Region“. „Ich finde es gut, dass dieser Paragraf wegfallen soll“, so die Frau aus Parey. Sie habe nur bedenken, ob Menschen mit hohen kognitiven Einschränkungen verstehen könnten, was eine Wahl bedeutet.

Was an dieser Stelle helfen könnte: einfache Sprache für die Wahlzettel – und für die jeweiligen Wahlprogramme der Parteien. Das beinhaltet auch die Beschlussempfehlung des Ausschuss für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt. Folgen die Abgeordneten dieser, soll bis Ende 2019 das Urteil des Bundesgerichtshofs umgesetzt werden. Für Erik Dietzel eine klare Entscheidung: „Die Menschen gehören zur Gesellschaft, egal ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Es ist wichtig, dass sie sich nicht ausgeschlossen fühlen.“