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Ausgewandert Ein Gardeleger ... aus Seattle

Wenn Bernd Schmidt "nach Hause" kommt, muss er jedes Mal um den halben Erdball fliegen. Er ist ein Gardeleger aus Seattle.

Von Gesine Biermann 13.10.2017, 15:00

Gardelegen l „Ja, ich weiß: Der Altmärker bleibt immer auf seiner Scholle“, sagt Bernd Schmidt und lacht. Doch er ist, obwohl waschechter Altmärker, wohl die berühmte Ausnahme der Regel. Seit fast 40 Jahren lebt der gebürtige Gardeleger, Baujahr 1949, nämlich in Seattle, USA. Der Grund, aus dem er dort landete, kann schöner nicht sein. Es war die Liebe.

Die beginnt Ende der 70-ger Jahre erstaunlicherweise postalisch. Denn der junge Katechet ist damals mit einer Laienspielgruppe in der Altmark unterwegs. Eines Tages sitzt ein auffälliger Typ im Publikum, „Strohhut, und draußen stand ein großer Mercedes“. Die jungen Leute kommen mit ihm ins Gespräch, erfahren: Er kommt aus den USA, ist zu Besuch in der Altmark. Und er nimmt am Ende ein paar Adressen der jungen Kirchenleute aus der Altmark mit in die Staaten zurück. „Ich hab schon mit zwei Jungs aus Moskau und Leningrad korrespondiert“, sagt Bernd Schmidt. „Da dachte ich, warum nicht auch mal mit Leuten aus den USA.“

Es dauert nur vier Wochen, da kommt die erste Postkarte – von Virginia aus Seattle: „Hallo, ich bin Lehrerin für Englisch, meine Hobbys sind ... Daraus werden lange Briefe und für ihn ein Abendkurs „Englisch für Anfänger“ an der Volksshochschule. Bei Virginias zweitem Besuch in der DDR, 1977, verloben sich die zwei. „Es hat gleich beim ersten Mal gefunkt“, erinnert sich Bernd Schmidt. Doch es soll noch zwei Jahre dauern, bis er sie wieder in die Arme nehmen kann. Denn ein Ausreiseantrag war damals zwar schon möglich, aber ein Behördenmarathon. Und so mancher hatte auch Angst, damit in Verbindung gebracht zu werden. „Ich musste mir zum Beispiel bestätigen lassen, dass ich nirgends Schulden habe“, erinnert sich Schmidt. „Aber keiner wollte die erste Unterschrift auf das Ausreiseformular setzten.“

Als er dann im Frühjahr 1979 zur Polizei in Stendal kommen soll, ist ihm doch etwas komisch zumute. Doch in dem kargen Büro wartet nicht der Haftbefehl, sondern sein Pass – „mit Reiserlaubnis für alle Länder und Westberlin.“ Große Erleichterung beim DDR-Bürger. Und auch seine Verlobte ist nun endlich nicht mehr „schlaflos“ in Seattle. Zwei Monate später geben sich die beiden dort das Ja-Wort. Und der Altmärker gehört plötzlich zu den Immigranten. Kein leichter Stand, sagt er rückblickend. „Ich weiß jetzt, wie sich meine Mutter nach dem Krieg gefühlt hat.“ Herta Schmidt kam als Flüchtling nach Gardelegen. So mancher mag sich noch an sie erinnern, denn die resolute Mutter zweier Kinder ist später lange Jahre Küsterin in der Marienkirche. Zu Anfang aber habe auch sie – wie später er in den USA – „jeden Job angenommen“, erzählt Schmidt.

Denn seine Ausbildung zum Katecheten und Kirchenmusiker (C-Kantor) wird in den USA nicht anerkannt. „Ich bin tatsächlich als Tellerwäscher gestartet“, sagt er grinsend. Zum Millionär habe er es aber nicht gebracht. Nach Jobs als Gärtner und Archivar im Gericht macht Schmidt schließlich eine Ausbildung zum Optiker: Eine Lizenz für den Staat Washington hat er heute noch.

Mittlerweile ist der 67-Jährige aber natürlich Pensionär. So bleibt Zeit für Hobbys – unter anderem fürs Internet, wo er sich über Deutschland und die Altmark auf dem Laufenden hält, oder für Luther, auf dessen Spuren er sich derzeit begibt. Gemeinsam mit seinem Schwager Frank Holman, seinem Freund Don Kunze und Sohn Stefan besichtigte Schmidt in den vergangenen Tagen Wittenberg, aber auch die Bauhausstadt Dessau oder das Hundertwasserhaus Magdeburg. Und natürlich spaziert der Gardeleger zu gern durch die Straßen seiner Geburtsstadt – „auch wenn sich vieles nach dem Mauerfall verändert hat“.

Apropos: Wie hat er ihn erlebt? „Mit offenem Mund begeistert vor dem Fernseher“, sagt Bernd Schmidt, und zwinkernd: „Obwohl ich selbst, wenn ich ehrlich bin, irgendwie eher DDR-Bürger geblieben bin, als Westdeutscher.

Übrigens ist er selbst Deutscher geblieben. „Und gerade jetzt bin ich sehr froh, dass ich in den USA nicht wählen musste“, versichert er.

Bis heute hat er nämlich keine US-Staatsbürgerschaft. Möglich wär‘s gewesen. Er wollte nicht ...

Ein echter Altmärker bleibt seiner Scholle eben doch treu!