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Heimatgeschichte Tucheim bei Genthin: Was es mit dem Fiener Gold und anderen Geschichten auf sich hat

Seit 20 Jahren kümmert sich der Tucheimer Heimatverein um die Ortsgeschichte. Viele Originaldokumente belegen diese. Es gibt bewegende Geschichten von weitgereisten Besuchern.

Von Susanne Christmann 11.09.2023, 16:19
Monika und Joachim Böhl im Tucheimer Heimathaus im Landwirtschaftsraum an der Litfaßsäule mit den „Menschen von hier“.
Monika und Joachim Böhl im Tucheimer Heimathaus im Landwirtschaftsraum an der Litfaßsäule mit den „Menschen von hier“. Foto: Susanne Christmann

Tucheim - Noch einmal den Ort, die Häuser und jene Stellen in Tucheim sehen, wo er als Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg Aufnahme gefunden hatte - das sei vor ein paar Jahren der Lebenswunsch eines Hochbetagten gewesen.

Seine Tochter erfüllte ihrem Vater diesen Wunsch, und so können Monika und Joachim Böhl vom Heimatverein Tucheim diese berührende Geschichte erzählen. Denn sie begleiteten den Mann durch den Ort, den sie selbst wie ihre Westentasche kennen, weil sie sich als Ortschronisten akribisch um die Aufarbeitung und Bewahrung der Ortsgeschichte kümmern.

Beide sind Gründungsmitglieder des Vereins, der dieser Tage 20. Geburtstag feiern konnte und mit dem Heimathaus einen Ort hat, an dem diese Geschichte plastisch sichtbar wird. „Von Anfang an war es unser Bestreben, nicht vordergründig zu zeigen, wie Oma und Opa geschlafen, gekocht oder Heu gemäht haben“, verdeutlicht Monika Böhl. Sondern festzuhalten, wer die Menschen im Ort waren, was sie wann gemacht haben und wie sich deren Leben, in der Landwirtschaft, in der Kirche, in ihren Häusern, in der Schule dargestellt hat.

Lückenlose Schulgeschichte

Deshalb können sie auch dem Hochbetagten genau sagen und zeigen, was sich an den Stellen, die er kannte, wie verändert hat. Denn sie legen Wert auf Dokumente, Belege und nachprüfbare Geschichten. Monika Böhl kann hier ihre akribische Ader als einstige Verwaltungsbeamte so ausleben, dass man meint, im Heimathaus, das eigentlich ein kleines Museum ist, die Arbeit einer studierten Museumsfachfrau oder Archivarin vor sich zu sehen.

Lückenlos wird zum Beispiel die Schulgeschichte des Ortes gezeigt. Vom ersten Lehrer, der 1651 nach Tucheim kam, bis heute. Auf Dokumente im Original konnte sich der Verein von 1880 bis 1944 stützen. Jene, die die Zeit bis zur Wende dokumentieren, blieben jahrzehntelang verschollen. „Die sind erst 2005 wieder aufgetaucht“, erinnert sich Monika Böhl. Für sie ein besonderer Moment - gibt es mit ihnen doch nun keine Lücken in der Tucheimer Schulgeschichte mehr.

Kernstück des Heimathauses, das mal Schulhaus ar, mal Kinderkrippe und mal Ausweihgebäude für eine Bank, sind bis heute die Ausstellungsräume mit unzähligen Fotos aus dem Bestand der Agrargenossenschaft und des akribischen Fotografen und Bildersammlers Hans-Joachim Ahlert. Er sei, so berichten die Böhls, jahrzehntelang so etwas wie der „Bildautor für Tucheim“gewesen. Mit seinen Fotos zeigte er die Entwicklung sowohl im persönlichen als auch im wirtschaftlichen Leben Tucheims über viele Jahre auf.

Käse, produziert in Tucheim - auch dieses Erbe wird bewahrt.
Käse, produziert in Tucheim - auch dieses Erbe wird bewahrt.
Foto: Susanne Christmann

Koffer, Emaillekannen und Weidenkörbe

Vor seinem Tod hat er dem Heimatverein viele seiner Fotografien zur Verfügung gestellt, die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind. Genauso wie Originalgegenstände, mit denen 1945 insgesamt 540 Umsiedler nach Tucheim gekommen sind: abgewetzte Koffer, Emaillekannen, Weidenkörbe, Truhen. Der Holzkoffer von Landwirt Otto Schlunke erzählt die Geschichte des in französische Kriegsgefangenschaft Geratenen: 1948 wird er in seinen Heimatort entlassen. Otto Schlunke war da 43 Jahre alt.

Geschichten, die untrennbar zu Tucheim gehören wie die der Landwirtschaft. Zu DDR-Zeiten wurde in der Milchviehanlage in Tucheim Milch produziert. Und daraus dann auch Käse produziert. Markenkäse namens „Fiener Gold“. Auch wer mehr wissen will zur „Komplexmelioration“ im Fiener Bruch in den Jahren 1965 bis 1969, ist im Heimathaus richtig.

Dokumentiert sind im  Heimathaus auch die Wappen des Ortes.
Dokumentiert sind im Heimathaus auch die Wappen des Ortes.
Foto: Susanne Christmann

Deswegen kommen Gäste aus Australien nicht extra nach Tucheim. Sie sind vielmehr auf den Spuren ihrer Urahnen. So machten 2018 Joanne und Michael Shearer sich auf den weiten Weg nach Tucheim, um etwas über den Ur-Ur-Großvater von Joanne namens Johann Christian Wedding und Friederike Sophie Wedding, geborene Krause, zu erfahren, die 1853 von Tucheim aus nach Adelaide in Australien ausgewandert sind. Auch Pam McKenzee, geborene Geue, war 2018 in Tucheim. Denn ihr Ur-Ur-Ur-Großvater war der Tucheimer Martin Geue. Bis dahin hatte sie nichts von ihm gewusst. „Bewegend“ und „unvergesslich“ sei der Besuch in Tucheim gewesen, vermerkt sie im Gästebuch.

 Originale Gegenstände, mit denen Umsiedler einst nach Tucheim gekommen sind.
Originale Gegenstände, mit denen Umsiedler einst nach Tucheim gekommen sind.
Foto (4): Susanne Christmann

Wer sich eingehender mit der Geschichte des Ortes Tucheim beschäftigen möchte, hat am 30. September die Möglichkeit dazu. Dann gibt es ab 15 Uhr einen geführten, historischen Ortsrundgang.