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Weihnachten  Neuanfang für syrische Christen

Für Jimmy Botto und Gohar Somonyan hat das Weihnachtsfest in Genthin besondere Strahlkraft. Es trägt in eine neue Zeit.

Von Simone Pötschke 24.12.2020, 00:01

Genthin l In ihrer kleinen Genthiner Plattenbauwohnung haben Jimmy Botto und Gohar Simonyan neben dem bunt leuchteten Weihnachtsbaum eine kleine, bescheidene Krippe mit dem Jesuskind aufgestellt. Das ist dem syrischen Ehepaar als Christen, beide stammen ursprünglich aus Armenien, wichtig. Neben allen tausend Kleinigkeiten, die in einer neu eingerichteten Wohnung ohnehin notwendig sind. Denn in dem Kind sehen sie als Gläubige – wie überall in der Welt – ein Symbol für einen neuen Anfang. Mit dem Kind in der Krippe kommt etwas Neues in die Welt.

Ein Gleichnis, für das auch ihre Geschichte stehen kann. Jimmy Botto und Gohar Simonyan haben in den vergangenen Monaten viel hinter sich gelassen, viel gewagt, um miteinander in eine neue Zukunft aufbrechen zu können. Das kleine neugeborene Jesuskind wird sich am heutigen Heiligabend in der Wohnung der jungen Eheleute gut aufgehoben fühlen. Denn Jimmy Botto und Gohar Simonyan feiern heute in mehrfacher Hinsicht ein ganz besonderes Weihnachten. Selbst Corona allein würde dieses Attribut in ihrem Fall nicht allein rechtfertigen können.

Jimmys Bottos Geschichte wurde im September in Genthin durch eine Dokumentation einer Interview-Plattform bekannt, die in der St. Trinitatiskirche gezeigt wurde. Jimmy hatte sich 2011 am Volksaufstand in Syrien beteiligte und gehörte dann im Bürgerkrieg zu den Orgnisatoren des Widerstandes gegen die herrschenden IS-Kräfte. Der jetzt 33-jährige IT-Ingenieur wurde verhaftet und gefoltert, bis er nach Deutschland flüchten konnten.

Jimmy weiß durchaus um die Vorurteile, die es gegenüber den Flüchtlingen in der deutschen Bevölkerung gibt. „Ich verließ Syrien nicht wegen der Armut. Im Gegenteil ich hatte einen Job, ich ging, weil meine Situation unerträglich war. Manchmal reicht es schon, wenn ich den Leuten erkläre, nicht aus materiellen Gründen hier zu sein“, kommentiert er die Filmaufnahmen in seiner Muttersprache, die in deutschen Untertiteln nachzulesen sind.

Jimmy gehört zu den etwa 450 Syrern mit Schutzstatus, die im Jerichower Land eine neue Heimat gefunden haben. Während er über längere Zeit in Berlin ehrenamtlich für eine Flüchtlings-Hilfsorganisation gearbeitet hat, konnte er sich auch in Genthin einleben. Zwischenzeitlich hatte er den Antrag gestellt, seine Frau Gohar nach Deutschland holen zu dürfen. Die 26-Jährige, eine Medizin-Studentin aus Jerewan, erhielt im November nach mehr als fünf Jahren Trennung das lang ersehnte Visum – für das Paar ein Ticket für einen gemeinsamen Neuanfang. Beide haben überglücklich und mit beiden Händen zugegriffen.

Am 10. November landete Gohar mit dem Flieger in Berlin und nur fünf Tage später, am 15. November, heirateten die beiden mit dem Segen der Kirche. Das alles sei ziemlich spontan gewesen, erzählt Pfarrerin Beate Eisert. Weil Jimmys und Gohars Familien bei der Trauung nicht dabei sein konnten, wurde die Gemeinde an diesem Tag zugleich Familie und Trauzeuge, berichtet die Pfarrerin die die Trauung in englischer Sprache vornahm.

 „Wir als Gemeinde konnten diese beiden jungen Leute ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten. Das ist ein Geschenk des Lebens und ein zu Herzen gehender Moment für uns alle gewesen“, erinnert sich die Genthiner Pfarrerin. Die Hoffnung für einen gemeinsame Anfang in Deutschland ist dem jungen Paar auch nach ihren schwierigen Zeiten nicht verlorengegangen. Es sei der erste gemeinsame Weihnachtsbaum und ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest, erklärt Jimmy Botto bei einem Besuch auf arabisch, was eine Bekannte aus Berlin unkompliziert über ein Handy übersetzt.

Der Anfang für das junge Paar ist in Genthin zunächst mit einer gemeinsamen Wohnung getan. Es sei jedoch nicht schön, dieses Weihnachten wegen Corona nicht mit vielen Freunden feiern zu können, versucht sich Jimmy Botto in einem deutsch-englischen Sprachgemisch zu verständigen, um die Hilfe aus Berlin nicht zu stark in Anspruch nehmen zu müssen. Das Paar werde deshalb über Weihnachten versuchen, über Skype mit Verwandten und Freunden Kontakt aufzunehmen.

In Syrien wird der Heiligabend auch mit Weihnachtsmann, Weihnachtsbaum, Geschenken, vielen Süßigkeiten und vor allem mit Wein gefeiert. Auf den Wein wird das junge Ehepaar heute fern der Heimat allerdings nicht verzichten müssen. Den habe er schon eingekauft, kommt Jimmy trotz der Sprachbarrieren in Plauderlaune, was auch seiner Frau Gohar, die voll konzentriert jedes seiner Worte verfolgt, nicht entgeht.

Sie mischt sich an dieser Stelle auf arabisch in das Gespräch ein und die Übersetzerstimme einer syrischen Studentin aus Berlin reagiert prompt: Egal, spricht sie für Gohar, ob mit vielen Süßigkeiten oder Wein gefeiert werde, das erste Weihnachten mit ihrem Mann sei für sie das schönste Geschenk, das es für sie gebe. Darauf habe sie lange warten müssen.

Gohar hat große Pläne für die Zukunft, sie will ihr Medizin-Studium in Deutschland unbedingt fortsetzen und abschließen. Es werde schwer sein, dafür einen Platz zu finden, macht sie sich nichts vor. Bedenken, dass dieser Traum platzen könne, kommen ihr nicht über die Lippen. Es ist schließlich Weihnachten, und das Kind in der Krippe stimmt Menschen auf der ganzen Welt hoffnungsvoll.