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Zast Halberstadt Flüchtlinge zelten im Bahnhofstunnel

Einige Flüchtlinge möchten nicht in die Zast. Sie wollen weiterreisen und verwandeln den Bahnhof in ein nächtliches Lager.

Von Sandra Reulecke 12.11.2015, 00:01

Halberstadt l Neue Gerüchte machen in Halberstadt die Runde: Nachts seien Flüchtlinge von der Zentralen Anlaufstelle (Zast) am Stadtrand in Richtung Bahnhof unterwegs. Die Menschen schliefen in der Unterführung der Gleise, heißt es auf Facebook. Auch von Unrat, den die Flüchtlinge hinterlassen sollen, ist die Rede.

Was ist dran an der Debatte via Internet? „Es stimmt“, sagt Constantin Schnee, Leiter der Bahnhofsmission Halberstadt, achselzuckend. Die Tendenz zeichne sich seit einiger Zeit ab. In unregelmäßigen Abständen und in unterschiedlicher Personenzahl übernachteten Flüchtlinge in der Bahnhofsunterführung. „Teilweise sind die Tunnel voll. Es werden sogar Zelte aufgestellt und es bleibt auch Müll liegen.“

Der Grund sei jedoch nicht, dass für die Flüchtlinge kein Platz in der Zast ist. Schnee hat in Erfahrung gebracht, dass es sich bei diesen Menschen überwiegend um Ankömmlinge aus Bayern handelt. Sie werden von dort mit Sonderzügen nach Bitterfeld-Wolfen und anschließend in den Abendstunden mit Bussen zu Zentralen Anlaufstellen in Mitteldeutschland transportiert.

„Das klappt mittlerweile gut. Es gibt Essen und Trinken, und für jeden, der nach Halberstadt gebracht wird, gibt es einen Schlafplatz“, berichtet der Leiter der Bahnhofsmission.

Dennoch ziehen es einige Flüchtlinge – darunter Familien mit Kleinkindern – vor, am Bahnhof zu campieren, um am nächsten Morgen auf eigene Kosten mit den ersten Zügen weiterzufahren. Warum? „Sie wollen nicht in Sachsen-Anhalt registriert werden. Manche wollen zu Verwandten in anderen Städten oder nach Skandinavien weiterreisen und dort Asyl beantragen“, berichtet Constantin Schnee.

Für die Unterführung, in der die Zelte aufgestellt werden, ist die Deutsche Bahn (DB) zuständig. Dem Unternehmen sei bekannt, dass sich dort Flüchtlinge dort aufhalten, teilt ein Sprecher mit. Zum Thema Müll heißt es: "Generell werden Anlagen der DB in regelmäßigen Abständen gereinigt. In Halberstadt sind die Reinigungskräfte zurzeit täglich vor Ort."

Die Situation ist auch sowohl im Innenministerium als auch im Harzer Polizeirevier bekannt. Allerdings könne man gegen diesen Trend wenig machen, heißt es unisono. „Die Zast ist kein Gefängnis“, betont Stefan Brodtrück, Sprecher des Innenministeriums. Im Klartext: Wer die Hilfsangebote in der Zast nicht wahrnehmen will, kann nicht dazu gezwungen werden.

Das bestätigt Andreas Pretzlaff, Leiter des Reviereinsatzdienstes der hiesigen Polizei. „Immer wieder signalisieren uns Flüchtlinge nach der Ankunft, dass sie nicht hier registriert werden wollen, sondern auf eigene Faust weiter wollen. Sie wollen nicht einmal eine Nacht in der Zast bleiben“, so der Polizeioberrat. Letztlich ließen die Beamten diese Menschen Richtung Bahnhof ziehen. „Wir informieren vorsorglich die für den Bahnhof zuständige Bundespolizei.“

Das alles bewege sich in einer gewissen Grauzone. Pretzlaff erläutert: Nach Deutschland einreisende Syrer benötigen entweder ein Visum oder müssen Asyl beantragen. Sobald sie dies getan haben, müssen sie sich dem Verfahren unterwerfen und die vorgeschriebenen Regeln einhalten.

Eigentlich. Momentan werde die „gewisse Illegalität“, in der sich Syrer befinden, die auf eigene Faust und mit eigenen finanziellen Mitteln weiterziehen, praktisch europaweit geduldet.

Auch die Harzer Beamten zeigen sich großzügig und lassen sie ziehen. Zumal ihnen nach Pretzlaffs Worten keine Zwischenfälle im Bahnhof oder Kritik aus diesem Bereich bekannt geworden sind.

Constantin Schnee indes fehlt das Verständnis für das Verhalten dieser Flüchtlinge. „Für uns als Bahnhofsmission ist das eine Situation, die nur schwer auszuhalten ist – gerade wegen der Kinder.“ Die Ehrenamtler kümmern sich werktags von 10.30 bis 18.30 Uhr und an Wochenenden sowie Feiertagen zwischen 10.30 und 15.30 Uhr um hilfesuchende Bahnreisende. In den vergangenen Monaten seien dies zunehmend Flüchtlinge. Zum Vergleich: Im Oktober 2014 hatten die Mitglieder der Bahnhofsmission 176 Flüchtlingskontakte, vorigen Monat sind es dagegen 1489 gewesen.

„Meine Mitarbeiter sind am Ende ihrer Kräfte. Man darf nicht vergessen, dass sie keine ausgebildeten Sozialarbeiter sind“, gibt Schnee zu bedenken. Die Sprachbarriere, die unterschiedlichen Mentalitäten und die Schicksale der Flüchtlinge fordern sein Team sehr.

14 Ehrenamtler seien derzeit aktiv. „Wir brauchen mindestens sechs mehr“, so Schnee. Die Öffnungszeiten auf die Nacht auszuweiten, sei angesichts der dünnen Personaldecke nicht möglich. „In der Mission haben wir auch gar nicht die Kapazitäten, die Menschen in der Nacht zu beherbergen.“ Es gebe lediglich 16 Stühle, aber keine Schlafplätze. „Wir wissen nicht, wie das weitergehen soll. Und bis zum Frost dauert es nicht mehr lange.“

Schon jetzt komme es vor, das einige der campierenden Flüchtlinge Schutz in der Bahnhofhalle suchen, sobald diese gegen 3.30 Uhr vom Sicherheitsdienst geöffnet wird, sagt Frank Dannhauer, Geschäftsführer des Bahnhofseigentümers Nosa GmbH. Sein Zuständigkeitsbereich ist das Gebäude, das täglich gereinigt werde. Die Gewerbetreibenden in der Bahnhofshalle bekämen nur wenig von jenen Übernachtungsgästen mit, berichten eine Friseurin und die Mitarbeiterin eines Blumenladens. Anders sieht das für das Team des Bäckers aus: „Wir fangen schon um 4.30 Uhr an. Da kommt es vor, dass man an den schlafenden Flüchtlingen vorbei muss“, sagt Verkäufer Michael Loisel. Bei allem Mitgefühl – solche Situationen seien ihm unangenehm.