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Brandserie Oberharzer Feuerteufel bleibt auf freiem Fuß

Nach der Brandserie, die die Elbingeröder 2015 in Atem gehalten hat, ist der Täter zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Von Dennis Lotzmann 19.05.2016, 12:00

Wernigerode/ Elbingerode l Ob Fredi C. (Name geändert) nach der Urteilsverkündung und dem Verlassen des Gerichtssaales nach Schmunzeln zumute war, ist nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass er mit Blick auf das Urteil allen Grund dafür gehabt hätte: Obwohl der mittlerweile 19-Jährige aus Sicht des Amtsgerichts Wernigerode im Frühsommer 2015 in Elbingerode vier Brände gelegt hat, kommt er – juristisch gesehen – mit einem blauen Auge davon. Denn der Forderung der Staatsanwaltschaft, den Brandstifter zu drei Jahren Jugendhaft zu verurteilen, folgte das Amtsgericht nur in abgeschwächter Form: Zwei Jahre Jugendstrafe, die obendrein für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt sind.

Letztlich zog der Angeklagte wohl mit dem Widerruf seines damaligen Geständnisses den Kopf aus der „Schlinge“. Hatte der freiwillige Feuerwehrmann zunächst gegenüber Polizei und Vertretern der Justiz die vier Brandstiftungen eingeräumt, überraschte er beim Prozessauftakt am 10. März mit seinem Widerruf. Damit ließ er – vermutlich auf Anraten seines Pflichtverteidigers – aus der zunächst augenscheinlich klaren Sache einen Indizienprozess werden.

In dessen Verlauf sah das Amtsgericht Wernigerode aber die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe anhand der Fakten und der Zeugenaussagen jedoch bewiesen. Nach Angaben von Gerichtssprecher Christian Löffler wurde der Angeklage wegen Brandstiftung in drei Fällen und einer schweren Brandstiftung an einem Wohngebäude zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe sei zur Bewährung ausgesetzt worden.

Vor Ort in Elbingerode sorgen die jähe Wendung im Prozess und das Urteil bei vielen für Unverständnis und Kopfschütteln: Wenn der Feuerwehrmann die Brände wirklich nicht gelegt hat, hätte er die Taten doch niemals in den polizeilichen Vernehmungen gestanden, so der Tenor. Sein Widerruf sei nichts anderes als der Versuch, sich auf moralisch fragwürdige Weise aus der Affäre zu ziehen.

Und das stößt insbesondere bei Opfern auf Empörung: „Ein viel zu mildes Urteil angesichts der enormen Schäden“, findet Horst Fiß. Der heute 68-Jährige musste am 4. Mai 2015 als Geschäftsführer einer Gerüstbaufirma mit ansehen, wie ein Teil seines Lebenswerkes von den Flammen vernichtet wurde. Die Halle brannte trotz des Einsatzes der Feuerwehren komplett nieder – „neben Gerüstbauteilen wurden auch zwei Klein-Laster und Anhänger vernichtet“, berichtet Fiß.

Den Gesamtschaden könne er heute genau beziffern, so der damalige Chef der seit 35 Jahren bestehenden Firma: 631 000 Euro. „Davon hat die Versicherung lediglich 125 000 Euro für das eigentliche Lagergebäude und den Restwert der Autos ersetzt“, so Fiß. Den eingelagerten Inhalt – und damit gut 400 000 Euro – müsse er wohl abschreiben, weil er nicht versichert war.

Warum das? Der Grund aus Sicht des Unternehmers: Stählerne Gerüstteile können während der winterbedingten Einlagerung kaum in Flammen aufgehen, die technischen Anlagen wurden nach Fiß‘ Worten regelmäßig kontrolliert.

Horst Fiß ist Realist genug, um zu wissen, dass er von diesen 400 000 Euro wohl niemals auch nur einen Cent sehen wird. „Zunächst müsste der Angeklagte für diese Brandstiftung rechtskräftig verurteilt sein, um zivilrechtlich halbwegs erfolgreich klagen zu können“, erinnert Fiß. Für einen solchen Prozess müsste er als Kläger 15 000 bis 20 000 Euro Gerichtskosten verauslagen.

„Erstens wäre der Ausgang völlig offen. Und selbst wenn ich gewinne, ist mehr als fraglich, ob der Verurteilte diese Verbindlichkeiten jemals aufbringen könnte“, so Fiß. Sein Fazit: „Da schmeiße ich nur gutes Geld schlechtem hinterher. Es ist in diesem Staat nun mal leider so, dass der normale Bürger als Opfer nur theoretisch zu seinem Recht kommt.“

Deshalb hat Horst Fiß frustriert Konsequenzen gezogen: Die 125 000 Euro von der Versicherung flossen zum Neuaufbau in die Firma, die seit April seine Tochter führt. Er selbst habe sich zurückgezogen. Und: Die Brandkatastrophe hatte auch für mehrere Mitarbeiter Konsequenzen. „Früher waren im Sommerhalbjahr immer zwölf bis 14 Mitarbeiter bei mir beschäftigt, jetzt sind es noch sechs“, berichtet Fiß.

Auch für Regina und Werner Kipry mündete die Brandserie in eine sehr persönliche Tragödie. „Mein Schwiegervater Hans-Joachim Schüler besaß die alte Leiterfabrik, die am 2. Juli 2015 niederbrannte“, berichtet der 67 Jahre alte Werner Kipry. Gewiss – mit 89 Jahren sei der Schwiegervater betagt gewesen. „Aber er war noch recht fit und hat immer mal wieder in seiner Werkstatt gewerkelt. Leitern aller Art und den einen oder anderen Wunsch­artikel aus Holz, das war sein Leben“, erzählt Kipry.

„Dass sein kleines Werk niederbrennt, hat er nicht verwunden. Das hat er nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Am 8. Januar, wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag, ist er gestorben.“ Besonders habe den Senior getroffen, dass es ein 18-Jähriger war, der die vom Vater übernommene Werkstatt vernichtet hat. „Und für mich gibt es keinen Zweifel, dass der Angeklagte der Täter war“, sagt Kipry.

Gab es wenigstens finanziell Entschädigungen? „In der Werkstatt standen Maschinen – überwiegend betagt, aber voll funktionsfähig“, so Werner Kipry. Er selbst hatte als Oldtimer-Fan historische Technik eingelagert. Versichert seien Gebäude und Interieur nicht mehr gewesen – „von seiner schmalen Rente konnte der Senior das nicht stemmen“. Übrig geblieben seien ein Haufen Schutt und eben ein Totalverlust, weil ein Zivilprozess sinnlos wäre.

Zwei Jahre auf Bewährung – für Opfer wie Horst Fiß und Werner Kipry blanker Hohn. Aber: Sie können zumindest weiterhin auf etwas mehr juristische Genugtuung hoffen. Die Verteidigung, die Freispruch gefordert hatte, hat Berufung eingelegt. „Auch wir sind mit dem Urteil nicht zufrieden und haben Rechtsmittel einlegt“, so der Halberstädter Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck.

Bei der Oberharzer Feuerwehr beobachtet man die juristische Entwicklung sehr genau. „Der Verurteilte ist zwar noch Mitglied der Feuerwehr Elbingerode, aber seit den Vorwürfen vom Dienst suspendiert“, berichtet Stadtwehrleiter Dirk Czekay. „Wir müssen abwarten, bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt und werden dann als Stadtwehrleitung gemeinsam mit den Kameraden aus Elbingerode entscheiden“, kündigt Czekay an.