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Ameos-Klinikum Kündigungswelle wegen Corona?

Hat das Ameos-Klinikum Halberstadt Mitarbeiter wegen der Corona-Krise gekündigt? Zudem wird mangelnder Schutz vor Ansteckung beklagt.

Von Sandra Reulecke 23.04.2020, 04:00

Halberstadt l „Die ganze Welt dankt gerade den Pflegekräften und bei Ameos in Halberstadt werden sie gekündigt.“ Mit dieser Anklage meldet sich ein Mann am Montag am Lesertelefon der Volksstimme. Er arbeitet selbst in dem Klinikum und möchte deshalb anonym bleiben. Aus Angst davor, ebenfalls entlassen zu werden, wie er sagt. Er habe sehr mit sich gerungen, sich an die Zeitung zu wenden, habe sich eingehend mit Kollegen beraten. „Wir waren uns einig, dass das öffentlich werden muss.“ Denn die Begründung für die Kündigungen habe im Team für Fassungslosigkeit gesorgt: Die Corona-Pandemie sei Schuld.

„Die Auslastung ist geringer als sonst“, erläutert der anonyme Anrufer. „Stationen wurden geschlossen oder zusammengelegt, wir haben weniger Patienten.“ Zudem fielen viele Operationen aus – und damit auch die Fallpauschalen dafür. Doch deshalb zwölf Mitarbeiter zu entlassen, sei für ihn absolut unverständlich. „Wenn es plötzlich mehr Patienten werden, viele Fälle mit Covid-19 eingeliefert würden, kämen die Isolierstationen schnell an ihre Grenzen“, begründet er.

Zudem, so betont der Mann, blieben auch jetzt nicht alle Krankenhausbetten leer. Es gebe dringende Eingriffe, die nicht verschoben werden könnten, dazu Notfälle, Unfälle oder Geburten. „Die Schwestern und Pfleger machen einen hervorragenden Job, trotz der Umstände“, betont der Mann. Aufgrund der Stationszusammenlegungen seien viele der Mitarbeiter aktuell nicht in ihrem gewohnten Umfeld tätig. „Trotzdem tut das Personal alles für das Patientenwohl, versucht, für die Patienten optimistisch zu sein.“

Untereinander falle das schwer – ganz besonders, seit die Kündigungen bekannt wurden. Das Signal seitens der Geschäftsführung an die Entlassenen, dass sie sich nach Corona wieder anstellen lassen könnten, ändere daran nichts. „Das Vertrauen ist weg. Wer lässt sich denn darauf ein und kommt tatsächlich zurück?“, gibt der Anrufer zu bedenken. Zumal in der Pflegebranche generell Fachkräftemangel herrsche – Ameos selbst hat erst mit einer großen Werbekampagne um neue Mitarbeiter geworben. Wie passt das zusammen?

Nachfrage bei Frank-Ulrich Wiener, dem Regionalgeschäftsführer von Ameos-Ost. Wurden tatsächlich Mitarbeiter aufgrund der aktuellen Krise entlassen oder gab es andere Gründe? Wiener betont: „Es wurden keine Kündigungen aufgrund der Corona-Pandemie ausgesprochen.“

Jedoch sei es durchaus schon immer üblich, dass Mitarbeitende während der Probezeit das Unternehmen verlassen. „Dafür gibt es unterschiedliche, vielfältige Gründe, sowohl auf Seiten der Mitarbeitenden, als auch auf Seiten des Arbeitgebers.“ Der Personalstand – derzeit etwa 430 Mitarbeitende im ärztlichen und im Pflegedienst – unterliege so einer ständigen Fluktuation. „Es gibt ständig eine Vielzahl von Ein- und Austritten.“

Also alles nur ein Gerücht? Auffällig ist dabei, dass sich ein weiterer Anrufer bei der Volksstimme meldet. Er selbst sei nicht bei Ameos beschäftigt, aber eine Bekannte von ihm. Und sie habe ihm aufgelöst von Kündigungen innerhalb des Klinikums berichtet. „Sie selbst traut sich nicht, öffentlich darüber zu reden. Aber das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden“, betont der Halberstädter. Nur kurze Zeit später hat er eine Überraschung parat: „Meine Bekannte hat mir gerade geschrieben, dass die Kündigungen zurückgezogen wurden.“

Daran seien die Nachfragen der Volksstimme wohl nicht ganz unschuldig, sagt Anette Blume-Erl. Sie ist die Vorsitzende des Betriebsrats im Halberstädter Ameos-Klinikum und bestätigt, dass es sich bei den Entlassungen nicht nur um ein Gerücht handele.

„Es stimmt. Die Kündigungen wurden dem Betriebsrat vorgelegt. Wir haben sie abgelehnt, aber da es sich um Kündigungen während der Probezeit handelt, hatten wir keine Handhabe dagegen.“ Sie sei empört über die Schreiben gewesen. „Wir waren froh, neue Mitarbeiter zu bekommen und dann das.“ Neun Schwestern und drei Mitarbeiter des Trägerdienstes seien betroffen. „Mitarbeiter, die teilweise erst zum 1. März eingestellt wurden.“ Corona sei nicht als Grund genannt worden. „Natürlich nicht. Es war von wirtschaftlichen Gründen die Rede.“ Wie Blume-Erl berichtet, sind seit der Pandemie drei Stationen geschlossen worden. „Die können wir nach der Krise gar nicht mehr öffnen nach den Kündigungen.“

Doch diese sollten nicht lange Bestand haben. Am Dienstag erhielt Blume-Erl einen Anruf aus der Chef-Etage. „Mir wurde mitgeteilt, dass die Kündigungen für die Schwestern zurückgezogen wurden.“ Die der anderen drei Mitarbeiter würden aber weiter gelten, beziehungsweise werde in einem Fall die Befristung nicht verlängert.

„Das ist definitiv falsch“, betont Frank-Ulrich Wiener. Er geht davon aus, dass es in diesem Fall zu einer „Vermischung von Tatsachen“ gekommen sei. „Es hat Anhörungen mit dem Betriebsrat zu Kündigungen gegeben. Aber eine Kündigung liegt erst dann vor, wenn ich sie unterschrieben habe und das ist nicht der Fall“, so der Regionalgeschäftsführer.

Allerdings, so teilt er auf Anfrage weiter mit, haben in dieser Woche Mitarbeiter von sich aus gekündigt oder um die Aufhebung ihrer Verträge gebeten. „Das ist nichts Ungewöhnliches, in einem großen Unternehmen ist der Personalbestand immer in Bewegung.“

Wiener widerspricht auch anderen Kritikpunkten, die der Betriebsrat aktuell äußert. So wird bemängelt, dass nicht ausreichend für die Sicherheit der Mitarbeiter während der Pandemie gesorgt werde. Zwei Din-A 4-Seiten voller Mängel habe sie mit ihren Kollegen zusammengestellt, die nun der Geschäftsführung vorgelegt werden sollen. „Es gibt zu wenig Masken“, nennt Anette Blume-Erl ein Beispiel. „Selbstgenähte zu verwenden, wurde untersagt. Aber pro Mitarbeiter und Schicht steht nur eine OP-Maske zur Verfügung.“ Dabei werde vom Robert-Koch-Institut empfohlen, diese mindestens alle zwei bis drei Stunden zu wechseln. „Es geht auch um das Patientenwohl, wir wollen niemanden anstecken“, so Blume-Erl. „Und es ist ein weiteres Zeichen dafür, wie wenig die Mitarbeiter wertgeschätzt werden.“

Ein Eindruck, den der anonyme Anrufer, der im Klinikum tätig ist, teilt. „Mein Gefühl ist, dass so wenig Aufwand wie möglich betrieben wurde, um sich auf die Pandemie vorzubereiten“, sagt er. Das sei das Problem, wenn ein Krankenhaus wirtschaftlich und gewinnbringend arbeiten soll – es werde an vielen Stellen gespart.

„Völliger Unsinn“, kontert Frank-Ulrich Wiener auf Nachfrage. „Es steht ausreichend Schutzmaterial zur Verfügung entsprechend der Regularien des Robert-Koch-Instituts und unseren eigenen Vorschriften.“

Weiterer Kritikpunkt: „Eine Mitarbeiterin, die einige Wochen auf der Isolierstation tätig war, soll nun in einem anderen Bereich arbeiten. Sie wollte sich auf Corona testen lassen, das wurde aber abgelehnt“, berichtet Betriebsrätin Anette Blume-Erl.

„Weil dafür keine wissenschaftliche beziehungsweise medizinische Notwendigkeit vorliegt“, so Wiener. Eine Infektion mit dem Virus sei für Mitarbeiter der Isolierstation faktisch ausgeschlossen angesichts der hohen hygienischen Standards und Schutzvorkehrungen. Etwas derartiges sei weder in Halberstadt noch in einem anderen Ameos-Klinikum bislang vorgekommen.

Die Anzahl der Patienten, die an Corona erkrankt sind und im Halberstädter Krankenhaus behandelt worden seien, schwanke zwischen eins und vier, so Wiener.

Wie sieht es sonst mit der Auslastung des Krankenhauses aus? Stand Mittwoch, so informiert Wiener, sind 170 Betten belegt. Das entspreche einer Auslastung von 62 Prozent. Durchschnittlich sei das Halberstädter Klinikum aktuell nur zu etwa 50 Prozent ausgelastet.

Zwar würden absichtlich Kapazitäten freigehalten, damit ausreichend Personal, Betten und Technik zur Verfügung steht, sollten plötzlich viele Corona-Patienten eingeliefert werden. Doch eine so niedrige Auslastung sei vom Krankenhaus nicht beabsichtigt. „Viele Patienten haben ihre Termine abgesagt“, berichtet Wiener. Er betont: „Wir empfehlen den Patienten, dies keinesfalls ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu tun.“

Man reagiere auf diese Situation damit, dass „die Kräfte im Haus gebündelt und einzelne Bereiche vorübergehend verkleinert“ würden. Die Mitarbeiter würden deshalb flexibel in den Bereichen eingesetzt, in denen sie benötigt werden. „Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass wir jederzeit bereit sind, alle Leistungen in allen Bereichen wieder zu erbringen und gleichzeitig den Mitarbeitenden die Gelegenheit für Erholungsphasen – freie Tage und Abbau von geleisteten Überstunden – zu geben“, so Wiener.

Kurzarbeit für einzelne Mitarbeiter sei nicht beantragt worden – wobei die Krise auch für das Ameos-Klinikum nicht finanziell folgenlos bleibt. „Die im Rahmen des Krankenhaus-entlastungsgesetzes vorgesehenen Ausgleichszahlungen decken nicht die Kosten für die Vorhaltung der kompletten In-frastruktur eines Krankenhauses“, sagt Frank-Ulrich Wiener.