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Coronavirus Halberstadts Angst vor der Pleite

Ein Blick in die Innenstadt von Halberstadt zeigt: Viele Geschäftsinhaber bangen wegen der Corona-Krise bereits jetzt um ihre Existenz.

Von Stephanie Tantius 20.03.2020, 00:01

Halberstadt l An dem Schild am Eingang der Rathauspassagen in Halberstadt kommt man nicht vorbei: „Die Rathauspassagen bleiben geöffnet“, steht dort. Der nächste Satz macht aber deutlich: „Aufgrund der Verordnung des Landes Sachsen-Anhalt bleiben einige Geschäfte ab dem 18. März 2020 geschlossen.“

Dann folgt eine Aufzählung der Läden, die geöffnet haben. Das sind hauptsächlich Lebensmittelgeschäfte, Cafés, Imbisse und Restaurants, aber auch Frisöre, der Zeitschriftenshop, Rossmann, ein Brillen- und ein Hörgerätegeschäft. Von den insgesamt 86 Läden, die zur Rathauspassage gehören, haben damit 25 geöffnet und 61 geschlossen.

Trotzdem wirkt die Rathauspassage nicht verwaist. Menschen mit Lebensmitteleinkäufen sieht man hinausgehen, andere hinein. Heiko Roth betritt die Ladenzeile und schaut neugierig auf das Schild. „Ich will mir ein Eis bei Venezia kaufen“, sagt er. Das sollte noch möglich sein. Er arbeite beim Baumarkt Hellweg in Halberstadt. Noch habe dieser offen. „Aber niemand weiß, was morgen ist“, sagt er. Die Schichten seien schon von sechs auf zwei reduziert worden. Ein Teil der Mitarbeiter fange nun um 7 Uhr an, die nächsten um 14 Uhr. Sonst hatten Angestellte auch um 8 Uhr, um 9 Uhr und um 10 Uhr begonnen. Nun sei zum einen die Kundenzahl zurückgegangen, zum anderen herrsche auch Personalmangel, da viele Mitarbeiter nicht da seien, die ihre Kinder zu Hause betreuen müssten.

Ramazan Bozdogan betreibt einen Dönerladen in der Passage. Er sagt: „Seit ein paar Tagen ist der Umsatz um 70 bis 80 Prozent gesunken.“ Heute sei es extrem schlimm. Immer weniger Menschen kämen in die Passage. Viele würden nur schnell zu Edeka und dann das Gebäude sofort wieder verlassen. Wenn das so weitergehe, müsse er seinen Laden während der Corona-Krise schließen. Seine zwei Mitarbeiter habe er noch nicht nach Hause geschickt. Wenn er zumache, könne er ihnen kein Geld mehr zahlen.

Kerstin Gallun arbeitet bei Weltbild. Kein Käufer ist hier zu sehen. „Der Kundenstrom ist heute deutlich runtergegangen“, sagt sie. Am Dienstag seien noch relativ viele Menschen hier gewesen. Einige hätten gedacht, dass heute alle Geschäfte zumachen und noch schnell ein Buch gekauft. Ob der Laden bald komplett schließe, wisse sie nicht.

Wenige Schritte weiter sitzt Le Thi Le vom Schlemmer Eck zusammen mit ihrer Mitarbeiterin an einem Tisch und wartet auf Kundschaft. „Bisher waren ungefähr zehn Leute hier“, sagt sie. Aber nicht auf einmal, sondern über den ganzen Tag verteilt. Es ist 15 Uhr, um 10 Uhr habe sie aufgemacht.

Auf jedem zweiten Tisch steht das Schild „Reserviert“. Aber nicht, weil hier tatsächlich ein Platz freigehalten wird, sondern um den empfohlenen Sicherheitsabstand einzuhalten. „Wenn das so weitergeht, muss ich meine Mitarbeiterin nach Hause schicken“, sagt Le Thi Le. Dann müsse sie die Küche schließen und es würde nur noch Getränke geben. Einen Lohn könne sie ihrer Angestellten dann auch keinen mehr zahlen. Aber ihren Arbeitgeberanteil an Versicherungen, den würde sie weiter übernehmen.

Dann kommen doch drei Gäste. Le Thi Le steht auf. Ohne, dass die drei bestellt haben, weiß sie bereits, welche Getränke diese wollen. Manfred Günther ist Rentner. Zusammen mit seiner Frau und seiner Schwägerin komme er jeden Tag hierher, außer am Wochenende, sagt er. Das sei ihr Ritual und eine gute Gelegenheit, die Wohnung zu verlassen, um in Bewegung zu bleiben, erklärt der 80-Jährige. Obwohl er mit seinem Alter zur Risikogruppe zähle, habe er keine Angst vor dem Virus. Größere Menschenansammlungen meide er. Aber solange das Schlemmer Eck offen habe, wolle er weiter herkommen.

Im Eiscafé Venezia sind vereinzelt Tische besetzt. Mitarbeiter Denny Wedde sagt: „Man merkt, dass weniger los ist.“ Einige Stammkunden würden sogar anrufen, um sich abzumelden. Eine Gruppe aus älteren Herren treffe sich zum Beispiel jeden Dienstag hier. Erst würden sie auf den Markt gehen, dann kämen sie ins Café. Gestern habe sich einer von ihnen gemeldet und erklärt, dass sie nun erst einmal nicht mehr kommen würden. „Das ist total nett, das müssten sie ja gar nicht tun“, sagt Wedde. Wie es mit ihm und seinen Kollegen im Café weitergehe, wenn gar keiner mehr komme, wisse er nicht.

Beim Brillen-Anbieter Apollo ist eine Kundin im Laden, die gerade bedient wird. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis wir das Geschäft hier während der Krise zumachen, sagt ein Mitarbeiter. Der ganze Kundenverkehr liege brach. Er schätze, dass es auf Kurzarbeit hinauslaufen werde. Das sei zwar nicht schön, auf der anderen Seite sei es auch furchtbar langweilig, den ganzen Tag kaum etwas zu tun zu haben.

Thi Hoa Nguyen vom China Bistro sagt: „56 Euro habe ich heute eingenommen. Morgen mache ich vielleicht zu.“ Dafür lohne es sich nicht, den Laden zu öffnen.

Ein paar Meter weiter sitzt beim Imbiss Pasta Pasta Toan Thang Nguyen hinter der Kasse. Heute sei der erste Tag, an dem richtig wenig Leute gekommen sind. 20 Euro habe er vielleicht eingenommen. Sein Chef wolle mit dem Vermieter sprechen und fragen, ob er die Miete während der Corona-Zeit aussetzen könne. Toan Thang Nguyen wünscht sich, dass alle Geschäfte in der Passage zumachen. Er habe Angst, sich mit dem Virus zu infizieren. Auf der anderen Seite müsse er bei einer Schließung auch befürchten, entlassen zu werden. Auch das bereite ihm Angst.

Le van Hiep vom Obst- und Gemüseladen sagt: „Die Situation ist schlecht.“ Morgen mache sie zu. Kaum ein Kunde sei heute erschienen. Wenig Geld habe sie eingenommen. Ihr Chef sage, dass sich das nicht lohnt. Und auch für sie sei es heute, ohne Kundschaft, langweilig gewesen. Ob sie dann entlassen werde, wisse sie nicht.

Im Friseurgeschäft Klier ist kein Kunde. „Wir sind aber noch motiviert“, sagt Friseurin Nicole Balder. Heute sei allerdings auch wirklich extrem wenig los. In den vergangenen Tagen habe sie schon einen leichten Rückgang bemerkt. Es sei auch schwierig, beim Haareschneiden den empfohlenen Abstand von zwei Metern einzuhalten. Aber natürlich versuchten sie und ihre Kolleginnen es und würden nach jedem Haarschnitt die Werkzeuge wechseln. Nadine Grzick ergänzt: „Solange vom Staat nichts anderes beschlossen wird, werden wir morgen auch wieder öffnen.“