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Grottenolme Neues von den "Menschenfischlein"

Die Rübeländer Grottenolme sorgen weiter für Aufsehen. Wissenschaftler haben jetzt ihre Forschungsergebnisse vorgestellt.

Von Ingmar Mehlhose 26.10.2017, 01:01

Rübeland l Proteus Anguinus scheut zwar bekanntlich nichts mehr als Licht. Wissenschaftlich betrachtet wird das Dasein des europäischen Schwanzlurchs aber immer weiter vom Dunkel des Olmensees in der Hermannshöhle befreit.

Beim öffentlichen Vortragsabend am Dienstag im Rübeländer Restaurant „Tannengrund“ konnten den gut 50 Zuhörern im Gastraum gleich mehrere ganz neue Erkenntnisse präsentiert werden. Nachdem wie bereits im Oktober 2016 erneut die Hoffnung auf Nachwuchs für die Mini-Drachen geplatzt war, wurde umgehend mit der Suche nach den Ursachen für das Absterben der zehn und letztlich sogar elf entdeckten Eier begonnen.

Eine mögliche ist der bereits vermutete, durch jahrzehntelange Münzeinwürfe erhöhte Schwermetallgehalt des Wassers, berichtete Friedhart Knolle von der gemeinnützigen Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz. „Dramatischer“ ist aus Sicht der Wissenschaftler aber eine bei den Untersuchungen in einem Labor nachgewiesene Konzentration von Polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen – kurz PAK. Knolle: „Das atmen wir zum Beispiel an Tankstellen ein.“ Und: „Wir haben ein kleines Schadstoffproblem, da müssen wir dran.“

„Verschiedene Erklärungsversuche“ zu der durch Schimmel eingetretenen Verpilzung der Eier nannte Anne Ipsen. Eventuell spielt das Gift eine Rolle, erläuterte die promovierte Biologin. Möglicherweise aber war es ein Fehler, den Zufallsfund im August sofort zu separieren. Anne Ipsen: „Wir vermuten, dass das Timing nicht gut war und wir die Eier zu früh angefasst haben.“ Und: „Drei Wochen später hätten sie vielleicht eine Chance gehabt. Wir wissen es nicht.“ Demnach war erst die Entwicklung zum Stillstand gekommen „und dann kam der Schimmel“.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz als Veranstalter in Kooperation mit dem von Thomas Schult geleiteten Team des Tourismusbetriebes der Stadt Oberharz am Brocken konnten alle eingeladenen Referenten im Höhlenort begrüßen.

So wie Dr. Wolf-Rüdiger Große vom Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er war zu Beginn der 1980er Jahre selbst an dem (letztlich missglückten) Versuch beteiligt, das Geschlecht der Rübeländer Grottenolme zu bestimmen. In seinem kurzen Beitrag skizzierte er die Evolutionsgeschichte dieser Relikte der Urzeit.

Anne Ipsen resümierte: „Sie hatten damals einfach nicht das Glück, das wieviele Jahre später hatten.“ Die wegen ihres Äußeren auch als „Menschenfischlein“ bezeichneten Schwanzlurche besitzen offensichtlich keinen Jahresrhythmus. Die Projektleiterin: „Man kann deshalb nicht voraussehen, wann sie sich fortpflanzen.“ Seinerzeit müssen die Tiere gerade eine sexuell inaktive Phase durchlebt haben.

Wobei Tempo und Grottenolm sich beinahe völlig ausschließen, wie Olivier Guillaume vom Höhlen-Laboratorium in Moulis (Frankreich) in seinem Vortrag belegte. Demnach dauert es normalerweise etwa 15 Jahre, bis ein Weibchen geschlechtsreif ist. Männchen sind da „etwas schneller“. In dem 1948 auf Betreiben der französischen Regierung gegründeten Institut in den Pyrenäen war 1952 zunächst damit begonnen worden, die Tiere zur Zucht zu bringen. Die ersten Grottenolme stammten wie die in Rübeland aus Slowenien.

Guillaume: „1952 wurden die ersten Eier entdeckt.“ 1959 gelang die Premiere – ein „erfolgreicher Schlupf“. Ein Weibchen kann sich im Übrigen ungefähr alle zehn Jahre fortpflanzen, jeweils mit bis zu 30 Eiern. Seither gab es rund 150 Gelege mit ungefähr 4500 möglichen Nachwuchs-Lurchen.

Aber, so der Biologe: „Nur sehr wenige haben es geschafft.“ Ebenfalls äußerst gering ist die Überlebensrate der Jungtiere. Sie liegt bei um die 50 Prozent. Sind die Olme dann allerdings erwachsen, gedeihen sie fast ausnahmslos weiter – und dies durchschnittlich 68, maximal sogar 100 Jahre.

In etlichen Fällen ließen Infektionen die Brut frühzeitig dahinscheiden. Um dieses Risiko zu minimieren, wurde 1971 in Moulis eine zweite Höhle installiert.

Wie der Experte zudem bekräftigte, besteht derzeit kaum eine Chance, Männchen und Weibchen voneinander zu unterscheiden. Lediglich dann, wenn die weiß-blassen Wesen sich fortpflanzen, sind die Eier durch die Bauchwand zu erkennen.

Und sie wachsen nur äußerst gemächlich. Nach zwölf Jahren erreichen die Olme eine Länge von 20 Zentimetern, bis zu 35 sind möglich. Guillaume: „Sie bewegen sich manchmal an einem Tag nur fünf Minuten.“ Auch dies erschwert ihre Erforschung.

Sicher ist hingegen, dass die Mini-Drachen monatelang ohne Nahrung auskommen können. Sie eventuell sogar bis zu vier Jahre lang darauf verzichten, sich Kleinstlebewesen wie Wasserasseln, Flohkrebse und Würmer zu erjagen. Letzeres im Übrigen trotz ihres sonstigen Daseins als Energiesparkünstler „erstaunlich schnell“.

In Moulis sind die Forscher jetzt an einem Punkt angekommen, wo über neue Wege der Zucht nachgedacht wird. Auf Dauer ergibt es nämlich keinen Sinn, immer auf die Ursprungstiere zurückzugreifen.

Es geht darum, zügig eine effektive Methode zu finden, mit der den Olmen bei der Fortpflanzung geholfen werden kann, ohne sie gesundheitlich zu schädigen. Sprich: Ihre Stimulation zu erweitern.

Die weiteste Anreise hatten Magdalena und Gregor Aljancic von der Gesellschaft für Höhlenbiologie, Tular-Höhlen-Laboratorium aus Slowenien. Der Wissenschaftler berichtete über „The Story of Proteus“. Demnach gibt es in den unterirdischen Flüssen des Dinarischen Karstes eine besondere Vielfalt mit über 100 verschiedenen Höhlentierarten.

Speziell die Erforschung der Grottenolme hat eine sehr lange Geschichte. Bereits 1689 war die Premieren-Publikation zu dieser Spezies herausgegeben worden. Aus dem Jahr 1805 stammt die erste Zeichnung eines lebenden Tiers.

Bereits seit 1951 sind die Lurche vom Staat gesetzlich geschützt. Zuvor waren sie vom 19. Jahrhundert an weltweit verschifft und an Besucher der Höhle „für ein paar Groschen“ verkauft worden. Laut Aljancic gingen so bis 1940 schätzungsweise etwa 4000 Stück verloren. Deshalb warb der Forscher in Rübeland auch für die Zukunft. Er sagte: „Lassen Sie uns gemeinsam für diese Tiere das Beste tun.“

Abgerundet wurde der Abend durch weitere Vorträge. Dabei stellte Uwe Fricke, Arbeitsgemeinschaft für Karstfreunde Harz und Mitglied der Rübeländer Höhlenforscher, das Refugium der derzeit noch vier weiblichen und drei männlichen Amphibien näher vor. Zudem schilderte er die Bemühungen, mit Hilfe von Foto- und Filmdokumenten sowie diversen selbstgebauten Gerätschaften neue Erkenntnisse über sie zu gewinnen, um ihren Erhalt zu sichern.

Prof. Dr. Thomas Hildebrandt vom Leibnitz-Institut für Zoo und Wildtierforschung im gemeinnützigen Forschungsverbund Berlin widmete sich dem Thema „Ultraschalluntersuchung exotischer Tierarten für den Artenschutz“. Seine Kollegin Dr. Susanne Holtze präzisierte dessen Aussagen speziell auf die Rübeländer „Fremdlinge“ bezogen.

Laut Ablaufplan waren für den Vortragsabend 135 Minuten geplant – dieser Zeitrahmen wurde weit überzogen. Dafür gab es im Höhlenort aber so viele Grottenolm-Informationen wie noch nie.