Pandemie Halberstadt rüstet sich gegen Corona
Wie wirkt sich die Pandemie auf Altenpflege,Tourismus, Wirtschaft und Kultur aus?
Halberstadt/ Harzkreis (sr/ii/kr/mg/kl/dl) l Wie gehen wir mit dem Thema Corona um, wie können wir unsere Einrichtungen schützen? Diese Fragen stehen derzeit im Cecilienstift ganz oben auf der Prioritätenliste. Das diakonische Unternehmen hat Einrichtungen an 35 Standorten in Halberstadt, der Gemeinde Huy, in Wernigerode und im Oberharz. Fast 500 Personen sind insgesamt angestellt in den Arbeitsbereichen Kindereinrichtungen, Altenhilfe, Behindertenhilfe und Cochlear-Implant-Rehabilitationszentrum. „Wir haben die aktuellen Handlungsanweisungen an alle herausgegeben, Dienstreisen und Ähnliches sind eingeschränkt“, sagt Verwaltungsdirektor Holger Thiele. Am Freitag findet eine Beratung statt, um zu klären, ob und wie die Einrichtungen noch besser geschützt werden können. „Bis jetzt gibt es aber keinen Anlass für Schließungen“, betont Thiele.
Zu diesem Ergebnis kam auch die Halberstädter Stadtverwaltung. Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) hatte am Donnerstag kurzfristig seine Fachbereichsleiter zum Gespräch gebeten. Darin habe man sich darauf verständigt, dass zum jetzigen Zeitpunkt alle städtischen Kindertagesstätten, Grundschulen und Horte sowie Museen, Stadtbibliothek und sonstige öffentliche städtische Einrichtungen geöffnet bleiben sollen, informiert Stadtsprecherin Ute Huch. Sollte es Ansätze für Verdachtsfälle geben, seien diese umgehend der Stadtverwaltung unter Telefon (0 39 41) 55 11 00 und dem Gesundheitsamt des Landkreises zu melden.
Im Hinblick auf die steigende Zahl von Corona-Verdachtsfällen werde an einer neuen zentralen Anlaufstelle gearbeitet. „Im Laufe der kommenden Woche wird ein öffentlich zugängliches Testzentrum seine Arbeit aufnehmen, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren“, kündigt Ute Huch an.
Gemeint ist damit eine zentrale Anlaufstelle für Menschen mit fiebrigen Erkrankungen, die eine Infektion mit einem Test abklären wollen. Nach Informationen der Volksstimme richten sich die Verantwortlichen auf einen gravierenden Anstieg der Infektionsraten im Harzkreis ein. Deshalb planen sie nach dem Vorbild von Halle wohl eine Art Fieberzentrum als kreisweite zentrale Anlaufstelle für potenzielle Corona-Verdachtsfälle. Zudem soll dem Vernehmen nach die Lungenklinik in Ballenstedt als Schwerpunktklinik für Corona-Kranke vorbereitet werden.
Grund zur Panik besteht dennoch nicht, betont Oberbürgermeister Henke. Aber er appelliert an die Bürger der Stadt und Ortsteile, „sich der besonderen Situation entsprechend besonnen und umsichtig zu verhalten. Uns allen ist bewusst, dass diese Situation Einschränkungen im Alltag zur Folge hat.“ Dazu zählt zum Beispiel die Absage von Veranstaltungen. So ist der „Kräuterkrimi“, der am 13./14. März in der Historischen Museumsapotheke am Domplatz stattfinden sollte, auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Gleiches gilt für sämtliche Vorträge, Seminare, Gruppenführungen und andere Veranstaltungen der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, zu der Dom und Domschatz in Halberstadt, das Kloster Michaelstein, die Burg Falkenstein und die Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg gehören. „Wir haben uns vorsichtshalber dafür entschieden, alle Veranstaltungen bis zum 31. März auszusetzen“, informiert Claus Rokahr, Verwaltungsdirektor der Stiftung.
Dagegen sei Individualtourismus im Dom, der Feininger-Galerie und im Kloster Michaelstein ab dem heutigen Freitag, 13. März, wieder möglich. Seit Mittwoch waren diese Einrichtungen für Besucher geschlossen. Eine Mitarbeiterin einer Servicegesellschaft, die für die Kulturstiftung arbeite, war vom Gesundheitsamt als Verdachtsfall eingestuft worden. „Das Testergebnis ist negativ ausgefallen“, berichtet Rokahr. „Mir ist wirklich ein Stein vom Herzen gefallen.“
Wie man angesichts der Pandemie in Sachen Veranstaltungen und Tourismus handeln soll, sorgt auch im Wernigeröder Rathaus für Kopfzerbrechen. Zum Beispiel der Klavierwettbewerb „Neue Sterne“, der vom 29. März bis zum 5. April in Wernigerode geplant ist. Stadtsprecher Tobias Kascha: „Wir werden sehen, wie die Lage am Montag ist und dann entscheiden, ob der Wettbewerb stattfinden kann.“ Bisher hieß es aus dem Rathaus, der Wettstreit werde nicht abgesagt, man liege unter der 1000-Besucher-Grenze. Zum Wettbewerb haben sich 64 Pianisten aus 24 Ländern angemeldet.
Die nächste Großveranstaltung mit mehreren Tausend Besuchern ist die Walpurgisfeier in Schierke am 30. April. Wernigerodes Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) habe sich dazu mit dem Veranstalter, der Wernigerode Tourismus GmbH (WTG), ausgetauscht. „Wir haben noch nichts entschieden“, so Rathaussprecher Kascha. Der Kartenvorverkauf sei seit Mittwoch ausgesetzt, informiert WTG-Vize Roman Müller. Noch sei nicht abzusehen, wohin sich die Situation entwickelt. „Wir wollen jetzt aber noch nicht absagen. Wir haben ein bisschen Hoffnung.“ Die Entscheidung soll Anfang April fallen.
Anders in Thale: Dort hat Bürgermeister Thomas Balcerowski entschieden, dass Walpurgis abgesagt wird. „Wir werden diese Krise kurzfristig nicht lösen. Es geht um Sicherheit, Vorsorge und das Unterbrechen von Übertragungsketten“, so der CDU-Politiker. Letztlich wäre es auch fatal, angesichts der ungewissen Gesamtsituation jetzt vertragliche Verpflichtungen einzugehen. Deshalb die Absage. Wenn überhaupt, sei maximal Walpurgis-Light denkbar. Vorsorglich geschlossen werde ab Montag auch die Bodetal-Therme.
Eine Absage der in Wernigerode organisierten WTG-Kulturveranstaltungen mit weniger als 1000 Besuchern stehe dagegen noch nicht zur Debatte, so Roman Müller. „Wir halten uns auf dem Laufenden und müssen natürlich die Anordnungen und Auflagen des Landkreises als Genehmigungsbehörde berücksichtigen“, so Roman Müller. Künstler hätten bislang nicht abgesagt. Auf dem Veranstaltungenplan stehen für die nächsten Tage Ulla Meinecke, Markus Lanz, Cavemann und Vicky Leandros. Zumindest nach derzeitigem Stand. Die Tourismusexperten stehen ebenso wie die Stadtverwaltungen mit den Kliniken und dem Gesundheitsamt in Verbindung, um auf die täglich neuen Entwicklungen im Fall Corona zu reagieren.
Für Bürger sind die Informationen und Hinweise zum Virus auf der Internetseite des Landkreises beziehungsweise direkt hier erhältlich. Für allgemeine Fragen hat der Landkreis ein Bürgertelefon eingerichtet. Dieses ist täglich in der Zeit von 8 bis 20 Uhr unter Telefon (0 39 41) 59 70 55 55 zu erreichen.
„Das Wichtigste ist es, Ruhe zu bewahren“, mahnt Prof. Dr. Klaus Begall, ärztlicher Direktor des Halberstädter Ameos-Klinikums, im Hinblick auf das Corona-Virus. „Bisher gibt es keinen bestätigten Fall in Halberstadt.“ Aber es seien auch in der Domstadt einige Personen getestet worden, bei denen der Verdacht einer Ansteckung bestand. Aus Vorsorge sei dies unter isolierten Bedingungen geschehen und meist nicht innerhalb des Krankenhauses. „Wir sind für die Schwerkranken zuständig, nicht für Testungen innerhalb der Stadt“, erläutert Begall. „Die Ressourcen an Ärzten und Pflegekräften sind nicht unendlich.“ Deshalb verweist er eindringlich darauf, dass Menschen, die befürchten, sich angesteckt zu haben, nicht das Krankenhaus aufsuchen. „Und auch nicht die Arztpraxen“, so Begall. In solchen Fällen solle man sich telefonisch ans Gesundheitsamt oder den Hausarzt wenden, um die Verfahrensweise abzustimmen.
Das Klinikum selbst sei auf den Ernstfall vorbereitet. Eine Station könne jederzeit als Isolierstation genutzt werden. Dort arbeiten die Mitarbeiter dann in Schutzkleidung, Patienten erhalten einen Mundschutz, um Ansteckungen zu vermeiden, wie Begall erläutert. Selbst für die Essensausgabe gelten dann gesonderte Regelungen.
Noch gebe es keine Engpässe, was Schutzkleidung und Desinfektionsmittel angeht. „Wir haben die Situation relativ schnell erkannt und entsprechend gehandelt.“ Während es aus anderen Kliniken schon Meldungen über Diebstähle von Desinfektionsmitteln gegebenen hat, seien diese im Ameos-Klinikum schon seit geraumer Zeit eingeschlossen. Darüber, wer welche erhält, wird Protokoll geführt.
Unter den Mitarbeitern sei die Stimmung gut. „Alle wissen, dass wir in einer ernsten Lage sind, aber bisher ist mir nicht zu Ohren gekommen, dass sich ein Mitarbeiter ängstlich geäußert habe.“ Im Gegenteil, es sei bisher von allen signalisiert worden, auch länger zu arbeiten oder einzuspringen, sollte es notwendig sein.
Um die Ausbreitung der Pandemie zu vermeiden, sei es dringend angeraten, sich an die Verhaltensweisen, die unter anderem vom Landkreis herausgegeben werden, zu halten. „Die werden ja nicht einfach so herausgegeben“, betont der Mediziner. „Häufiges und gründliches Händewaschen ist extrem wichtig.“ So sollte der erste Gang nach dem Einkaufen zum Waschbecken führen. Zudem solle man Abstand zu anderen Personen wahren, Händeschütteln und Umarmungen unterlassen und große Menschenansammlungen meiden. Nicht nur, um sich selbst zu schützen. „Jeder trägt auch die Verantwortung, seine Großmutter oder Mutter und Menschen, die zu Risikogruppen zählen, zu schützen“, gibt Begall zu bedenken.
Von hektischen Hamsterkäufen rät er dagegen ab. „Die bringen nichts“, so der Mediziner. Er habe selbst gesehen, wie leer die Regale im Supermarkt aktuell oft seien. „Bleibt zu hoffen, dass die Menschen das alles irgendwann auch wirklich aufbrauchen und nicht alles wegschmeißen.“ Angebrachter sei es aus seiner Sicht, sich umfassend zu informieren und die aktuellen Meldungen zu verfolgen.
Wie der erfahrene Mediziner, rät auch Katharina Neuber zu Besonnenheit. Sie ist die erste Vizepräsidentin der Halberstädter Rolandinitiative und als solche mit Wirtschaftsvertretern unterschiedlicher Branchen im Harzkreis im Kontakt. „Gerade im Gast- und Hotelgewerbe zeigt Corona schon Auswirkungen“, berichtet sie. „Aus Angst stornieren Leute ihre Buchungen, Feiern werden abgesagt.“
Das bereitet auch Roman Müller, dem Vize-Chef der Werigeröder Tourismus GmbH, Sorge. Die Corona-Krise wirke sich „dramatisch“ aufs Hotel- und Gaststättengewerbe in Wernigerode aus. „Ich kann noch keine konkreten Zahlen nennen, aber die Tendenz ist klar da.“ Viele Übernachtungsbetriebe würden von Stornierungen berichten.
Ebenso seien Auswirkungen der Pandemie in der Autoindustrie spürbar, sagt Katharina Neuber. „Das wurde mir aus Wernigerode berichtet. Gerade diejenigen, die in Lieferketten mit China verbunden sind, haben Einschnitte.“ Sie hoffe, dass sich die Situation schnell beruhigt, damit die Auswirkungen gering bleiben.
„Bisher ist die Situation bei keinem Unternehmen existenzbedrohend“, sagt Thomas Rimpler, Wirtschaftsförderer der Stadt Halberstadt. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles nicht spurlos an der Halberstädter Wirtschaft vorübergehen wird. Auch Unternehmen von hier sind innerhalb Deutschlands und international verflochten.“
Im Landkreis Goslar gilt ab Freitag, 13. März, ein generelles Besuchsverbot für alle Alten- und Pflegeheime.