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Aktive machen Umzug zum gelungenen geschichtlichen Streifzug / Ortsbürgermeister ist begeistert: "Heute wurde Geschichte des Dorfes so richtig lebendig"

Von Gerald Eggert 07.09.2011, 04:31

Eine Woche lang haben die Emersleber ihr 875-jähriges Ortsjubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen begangen. Am vergangenen Sonnabend sorgten sie mit einem gleichsam bunten wie historischen Umzug durch das Dorf für den Höhepunkt ihrer Festivitäten.

Halberstadt/Emersleben. "Nur gut, dass ich unseren Umzug nicht kommentieren muss", flüsterte Ortsbürgermeister Guido Spillecke mit heiserer Stimme zehn Minuten vor Beginn des Marschs. Im Verlauf der Festwoche habe er so viele Reden gehalten wie noch nie in solch einem kurzen Zeitraum, selbst am Vormittag war sein Wort noch gefragt. Nun bekam er keines mehr heraus. Also überließ Spillecke das Kommentieren des Festzuges Marco Weiß als Leiter des Festkomitees.

Der Ortschef und mehrere Ratsherren verfolgten derweil - herausgeputzt mit Gehrock und Zylinder - den Zug von dem zur Tribüne umfunktionierten Anhänger, winkten den Teilnehmern begeistert zu und genossen diesen festlichen Höhepunkt sichtlich.

Die meisten aktiven Teilnehmer hatten sich bereits mehr als eine Stunde vor dem Start am Ortsrand versammelt und dort entsprechend eines detaillierten Planes formiert. Es war genau festgelegt, in welcher Reihenfolge Menschen und Fahrzeuge die insgesamt 13 Bilder zur Ortsgeschichte zu bilden haben.

Als der Zug sich kurz nach dem Stundenschlag der Petri-Kirchenglocke in Bewegung setzte, säumten zahlreiche Zuschauer die Straßenränder. Als erstes - und damit als rundum gelungenen Auftakt - bekamen sie das von sechs jungen Frauen getragene und aus vielen Blüten gestaltete Ortswappen von Emersleben zu sehen. Zwei von ihnen setzten damit eine Tradition fort, denn ihre Mütter hatten vor 25 Jahren zur 850-Jahr-Feier diese ehrenvolle Aufgabe übernommen.

Dem Block mit Wappen und Fahnen folgten eine Darstellung des vor 70 Jahren gefundenen Fürstengrabes samt Goldschatz und hoch zu Pferd die "Edlen von Amersleve". Landsknechte erinnerten zudem an den Einzug Wallensteins in Halberstadt und Emersleben, ein Pferdefuhrwerk an 150 Pesttote (von damals 300 Einwohnern) im Jahre 1626. Auf das 825-jährige Kirchenjubiläum im kommenden Jahr wurde mit dem Modell der Sankt-Petri-Kirche und den alten Glocken hingewiesen.

"Was ich in diesen Tagen erlebt habe, freut mich und macht mich stolz"

Immer wieder wurde das Dorf in der Vergangenheit vom Tod heimgesucht: 1883 erkrankten 260 der damals 700 Einwohner an Trichinose, 52 starben. Jahrzehnte später beklagten die Emersleber 33 Opfer des Zweiten Weltkrieges. Nachdem die vielen Flüchtlinge aus dem Osten ins Dorf gekommen waren, zogen bald auch die Russen ein, die Bodenreform veränderte vieles und das damalige Volksgut wurde gegründet.

Fleischer, Müller, Bäcker, Schmied, Schuster und Maler machten die Vielfalt des Handwerks im Ort um 1900 deutlich. Hans-Hermann Weiß brachte die "Zickenjagd" von 1947 in Erinnerung, bevor Frauen mit Kinderwagen, Krankenschwestern und viele Kinder die Entwicklung von Volksbildung und Gesundheitswesen darstellten. Alte und moderne Feuerwehrtechnik schloss sich an, gefolgt vom Block der Vereine. "Das sind Menschen, auf die Verlass ist, die in unserem Ort viel bewegen und ihn mit prägen", hieß es.

Wer mit "Erich hat uns wachgeküsst" gemeint war, wussten alle Emersleber, denn Erich Frowerk ist den Dorfbewohnern in guter Erinnerung. Im Bild elf widmete man sich den vergangenen 27 Jahren, die der damalige Bürgermeister sehr wesentlich mit geprägt hat. Es war die Zeit von neuer Eigenständigkeit, gefolgt von kommunaler Selbstverwaltung direkt nach der Wende mit wirtschaftlichem Aufschwung dank Gewerbegebiet und Neuansiedlungen im Landgrabenfelde, später der Eingemeindung nach Halberstadt und zahlreichen Baumaßnahmen.

Allerdings ging man im Umzug auch kritisch um mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre. Von "leerer Stadtkasse" war auf Schildern zu lesen, von "Um-jeden-Cent- Betteln", von nur noch bescheidenen Möglichkeiten, die Haushaltspolitik zu beeinflussen. Die Frage, ob damit wohl gar ein neuer Dornröschenschlaf drohe, beantworteten die Emersleber umgehend: "So etwas dürfen wir alle nie wieder zulassen!"

"Das sind Menschen, auf die Verlass ist und die in unserem Ort viel bewegen"

Nach eineinhalb Stunden mit fröhlichem Marsch durchs Dorf endete der Umzug am Gutshof, wo der Festplatz mit zahlreichen Angeboten für Jung und Alt wartete. "Heute wurde Emersleber Geschichte so richtig lebendig", freute sich Guido Spillecke und dankte allen Organisatoren und Mitwirkenden. Er verstehe das Engagement der Bürger für das Jubiläumsfest und während der Festwoche auch als eine Identifikation mit dem Ort. "Was ich in diesen Tagen erlebt habe, freut mich und macht mich stolz. Das Dorf wurde herausgeputzt und geschmückt, das Aufstellen der Puppen entwickelte sich zu einem schönen Wettbewerb unter den Nachbarn, zu allen Veranstaltungen kamen die Bewohner in großer Zahl. Vereine und Privatpersonen - wie zum Beispiel Kai Joetze und seine Familie mit dem Ostschuppen - haben sich stark eingebracht, Ideen entwickelt und verwirklicht. Und natürlich hat auch das Festkomitee unter der Leitung von Marco Weiß ganze Arbeit geleistet."