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Klusberge Freie Sicht auf die Felsenfinger

Die Klusberge sind ein besonderer Ort. Und ein Arbeitsplatz. Am Fünffingerfelsen geht es dem Buschwerk an den sprichwörtlichen Kragen.

Von Sabine Scholz 30.07.2020, 01:01

Halberstadt l Halb sieben ist Arbeitsbeginn. Jetzt, da es warm ist, beginnen die Tage für die Frauen und Männer in den Halberstädter Klusbergen zeitig. „Wir ziehen die Arbeitszeit vor, damit wir nicht in die heißeste Phase des Tages kommen“, sagt Holger Müller.

Der Anleiter steht zu Füßen des Fünffingerfelsens, die kleine Truppe hat hier bereits sichtbar entkrautet. An einigen Fichtenstämmen liegt Bruchholz, dass die Mitarbeiter in dieser Arbeitsgelegenheit bereits zusammengetragen haben, an anderen Stellen türmt sich das gerodete Unterholz. Während sich zwei Männer mit Feischneidern langsam am Hang entlang bewegen, ist ein anderer Kollege mit der Astschere dabei, verholzte Triebe zu entfernen. Die beiden Frauen harken und ziehen das geschnitten Grün zusammen. „Ein Mitarbeiter ist krank, deshalb sind heute nur fünf Mitarbeiter im Einsatz“, erklärt Anleiter Müller.

Dass sie hier an einem der mystischen Plätze Halberstadts tätig sind, mache für sie keinen Unterschied, sagen die Mitarbeiter im Gespräch. „Arbeit ist Arbeit, der Ort ist egal.“ Die Hanglage allerdings erfordert achtsames Vorgehen. „Wir sind nur bis zur Bruchkante aktiv, alles oberhalb bleibt stehen“, sagt Holger Müller. Auf dem Felsen zu arbeiten, sei aus Gründen des Arbeitsschutzes schwierig.

Der Arbeitsschutz ist es auch, der einigen der bei AWZ GmbH angestellten Mitarbeitern zu Beginn des Projekts einen zusätzlichen Lehrgang beschert hatte. „Mit einem Freischneider darf nur arbeiten, wer diesen Lehrgang absolviert und sein Zertifikat in der Tasche hat“, berichtete Detlef Rutzen.

„In dem Lehrgang geht es um den richtigen Umgang mit den Geräten, um Arbeitsschutz und um die Pflege und Wartung der Geräte“, so der Geschäftsführer der AWZ GmbH. Diese interne Ausbildung stelle für die Mitarbeiter in den Arbeitsgelegenheiten zugleich einen Mehrwert dar, wenn sie versuchen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Doch darum kümmern sich die fünf Aktiven am Fünffingerfelsen an diesem Morgen nicht, sie arbeiten konzentriert, achten darauf, wohin sie ihre Füße setzen. Große Bruchstücke, die vor den Zugang einer Höhle im Felsen gerollt sind, zeigen, wie brüchig der Sandstein sein kann. Manche der Steine sind überwuchert, fallen im dichten Grünbewuchs erstmal nicht auf. Andere sind über die Jahrhunderte längst zu feinem Sand zermahlen, der sich in den Trampelpfaden rund um diese besondere Felsformation zeigt.

Von der markanten Felsformation kann man auf den gegenüberliegenden Klusfelsen blicken. Das Areal strahlt seit vielen Jahrhunderten eine besondere Anziehungskraft aus. So wurden zu Füßen des Fünffingerfelsens verschiedene Artefakte aus der Steinzeit und Eisenzeit gefunden, die darauf hindeuten, dass es sich beim Fünffingerfelsen um einen alten Kult- und Ritualplatz gehandelt haben könnte.

Auch einem anderen Arbeitsplatz, den die sechs Mitarbeiter in den vergangenen Wochen regelmäßig aufsuchten, um dort Gebüsch und Unterholz zu beseitigen, wird besondere Kraft zugeschrieben.

Zahlreiche Menschen sehen in der heute versiegten Ypsilantiquelle ein altes Quellheiligtum. Die Quelle soll sehr viel Wasser geliefert haben.

Wohl um 1850 soll sie wegen ihrer unbändigen Stärke auf den Name zweier Brüder und griechischer Freiheitskämpfer Ypsilanti getauft und mit einem Stein versehen worden sein. Der Namensstein steht noch. Dass die Quelle versiegte, könnte mit dem um die 1900er Jahre errichteten Kluswasserwerk zusammenhängen. Die Steinfassung der Quelle, vermutlich auch erst im 19. Jahrhundert geschaffen, ist dank des Wirkens der AWZ-Mitarbeiter wieder gut zu erkennen.

Mit ihrer Arbeit sorgen die Mitarbeiter dieser unter dem Titel „Offenland- und Felsbiotope“ stehenden Arbeitsgelegenheit weder für freie Sicht auf die Sandsteinfelsen. Ein Zustand, der bis ins 19. Jahrhundert hinein normal war, damals war das Gebiet der Klusberge völlig kahl. So wie die Kattberge es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren. Erst dann hatte sie Freiherr Spiegel aufforsten und den Landschaftspark anlegen lassen, der heute seinen Namen trägt und seit 1904 im Besitz der Stadt Halberstadt ist.

Die Arbeiten am Fünffingerfelsen sind, wie alle Grün-Projekte, die die AWZ GmbH betreut, mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt sowie mit der Stadt. „Finanziert werden diese Arbeiten von der Kommunalen Beschäftigungsagentur Jobcenter Harz“, berichtet Detlef Rutzen.

So wie alle der insgesamt 22 Arbeitsgelegenheiten, die vom Aus- und Weiterbildungszentrum Halberstadt getragen werden. 15 davon sind Grünprojekte, wie die Pflege oder Freilegung von Streuobstwiesen in Sargstedt und Emersleben, die Bekämpfung des Riesenbärenklaus in Langenstein oder die Arbeiten im Schloss- und im Mühlenpark Langensteins. Auch Projekte in Aspenstedt, Eilenstedt, Aderstedt, in Ströbeck und Mahndorf, auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Langestein-Zwieberge, auf Magerrasenflächen bei Ditfurt oder im Tiergarten Halberstadt gehören dazu.

Rund 170 Frauen und Männer sind zumeist für sechs Monate beschäftigt, manche auch länger, ja nach Art der Arbeitsgelegenheit.