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Handwerk Sachsen-Anhalts kleinster Schuhmacher

Hans-Joachim Klein hat sich vor 30 Jahren selbständig gemacht. Bis heute ist er der einzige Schuhmacher in Osterwieck.

Von Jörn Wegner 28.07.2015, 17:42

Osterwieck l Hans-Joachim Klein heißt nicht nur so, er ist es auch. „Ich bin wahrscheinlich der kleinste Schuhmacher in Sachsen-Anhalt“, sagt er. Wer seine 1,35 Meter unterbieten kann, solle sich bei ihm melden.

Das ginge in der Neukirchenstraße 31 in Osterwieck. Dort hat der Schuhmacher seit 30 Jahren sein Geschäft. Einen kleinen Verkaufsraum vorne und eine noch kleinere Werkstatt hinten. Dort sitzt Hans-Joachim Klein auf einem Hocker mit besonders kurzen Beinen an einer uralten Adler-Nähmaschine und bearbeitet Lederschuhe.

Klein wird in Osterwieck gebraucht, das machen die vielen Kunden deutlich, die Schuhe, Taschen und Lederwaren in seinem Geschäft abgeben und abholen. Doch das Handwerk mache alles andere als reich, sagt Klein. Den Großteil der Aufträge machen Kleinstreparaturen aus. Die können zwar auch aufwendig sein. „Aber ich kann ja nicht sagen, das kostet jetzt 10 oder 20 Euro“, sagt der Schuhmacher. Das müsste er eigentlich nehmen, zum Beispiel für die Flipflops, bei denen ein Bändchen angenäht werden muss, oder bei der gelösten Sohle einer Sandale. Das könne er seinen Kunden aber nicht zumuten, und so kassiert Klein vor allem einstellige Beträge

Während in diesem Jahr viele von denen, die sich nach der Wende in die Selbständigkeit gewagt haben, ihr 25. Firmenjubiläum feiern, ist Klein schon fünf Jahre länger sein eigener Chef. Zu DDR-Zeiten habe es nur eine Schuhmacher-PGH in Halberstadt gegeben. Die sei mit der Reparatur all der kaputten Schuhe, die die Leute in den Sammelstellen abgegeben haben, kaum hinterhergekommen. Die verantwortlichen Politiker erkannten den Mangel, und gaben das Schuhmacherhandwerk für private Unternehmensgründungen frei. Für den gelernten Orthopädieschuhmacher Hans-Joachim Klein war das eine Chance, und für die Osterwiecker ein Zugewinn an Lebensqualität. Fortan mussten sie nicht mehr wochen- oder gar monatelang darauf warten, dass ihre Schuhe aus Halberstadt zurückkommen.

Doch dann kam die Wende und mit ihr ein Überangebot an billigen Schuhen. „Mit einem Mal war Feierabend“, sagt Klein. Die Leute hätten nur noch neu gekauft, Reparaturen waren nicht mehr gefragt.

„Da habe ich gesagt, jetzt musst du dir irgendwas einfallen lassen“, sagt der Schuhmacher. Eine Partnerschaft mit einem Schuhhändler aus Hornburg sorgte für Veränderung in der Werkstatt. Seitdem verkauft Klein auch Schuhe. Aus Hornburg bekommt er sie auf Komissionsbasis. Dafür ist er prozentual am Gewinn beteiligt, ein Vorteil, da das unternehmerische Risiko minimiert ist. Der Nachteil: „Es könnten auch ein paar Prozente mehr sein“, sagt Klein.

In seinem Schuhangebot bildet sich die Kundschaft ab. Weiches Leder und Sohlen mit starker Dämpfung dominieren. Billigstschuhe fehlen genauso wie Luxusprodukte. Kleins Kunden sind ältere Menschen, die den Weg in die großen Schuhketten in den umliegenden Städten genauso scheuen wie Online-Geschäfte. Doch die ältere Kundschaft werde zunehmend weniger. „Die Leute sterben mir weg“, sagt Klein.

Beim Schuhmachernachwuchs sehe es nicht viel besser aus. In zwei Jahren ist Klein 65 und damit Rentner. „Wenn jemand übernimmt, dann mache ich gern weiter, ein paar Stunden in der Woche“, sagt er. Doch ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Einmal habe er eine Praktikantin in der Werkstatt gehabt. Für ihre Anstellung hatte die Schuhmacherin die bescheidene Gehaltsvorstellung von 1200 Euro im Monat. Doch das war schon zu viel. „Für zwei reicht es einfach nicht“, sagt Klein. Die Frau musste er wieder nach Hause schicken.

Trotz aller Probleme, die Arbeit mache ihm großen Spaß. Überhaupt ist er sehr stolz auf seinen Werdegang. Für einen Kleinwüchsigen sei es sehr ungewöhnlich, ein Handwerk erlernt zu haben und dieses auch noch selbständig auszuführen. Organisiert ist Klein im Selbsthilfeverband der Kleinwüchsigen. Fast alle Mitglieder würden im Öffentlichen Dienst arbeiten.

Wenn Klein in zwei Jahren tatsächlich sein Geschäft schließt, verschwindet ein weiterer traditioneller Handwerksbetrieb aus Osterwieck. Dann bleibt der Stadt lediglich ein Schuhdiscounter, bei dem ein Reparaturbetrieb unvorstellbar wäre.