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Prozesse Neue Sorgen für die Sorgenfrei-Akteure

Nach Entdeckung einer Cannabis-Zucht in einer Pension in Sorge (Harz) sind drei Männer angeklagt.

Von Dennis Lotzmann 27.09.2016, 01:01

Sorge/Magdeburg l Hans Dorrestijn sieht sich gleich mit mehreren Problemen konfrontiert: Nach der Unterbringung von zahlreichen Asylsuchenden im Herbst vorigen Jahres streitet er nach eigenen Angaben mit dem Landesverwaltungsamt in Halle über Schadensersatz, weil während der Unterbringung von bis zu 220 Menschen einiges zu Bruch gegangen sei. Obendrein fordert der 50-Jährige vom Land einen finanziellen Ausgleich, weil der Unterbringungsvertrag vorzeitig gekündigt worden ist. Und damit nicht genug: Nun sieht sich der Holländer auch noch mit einer Anklage konfrontiert.

Knapp ein Jahr nach einer Razzia des Landeskriminalamtes (LKA) in der von Hans Dorrestijn betriebenen Pension „Sorgenfrei“ hat die Staatsanwaltschaft in Magdeburg ihre Ermittlungen abgeschlossen und Konsequenzen gezogen: Der 50-Jährige und zwei weitere Männer „sind wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor dem Amtsgericht Wernigerode angeklagt“ worden, bestätigt Gerichtssprecher Christian Löffler auf Anfrage. Über eine Zulassung der Anklage und einen konkreten Verhandlungstermin sei allerdings noch nicht entschieden.

Gleichwohl hat sich der Anfangsverdacht damit aus Sicht der Staatsanwaltschaft erhärtet. Am 29. Oktober vorigen Jahres waren LKA-Beamte in Sorge vorgefahren, um Dorrestijns Pension „Sorgenfrei“ zu durchsuchen. Die Vermutung, dort Cannabis-Pflanzen zu finden, bestätigte sich. In mehreren Räumlichkeiten wurden die LKA-Beamten fündig, schließlich hoben die Fahnder eine ganze Hanfplantage aus. Damals war seitens der Ermittler von hunderten Cannabis-Pflanzen die Rede, die Staatsanwaltschaft sprach unmittelbar nach der Razzia von rund 700 Pflanzen.

Eine Zahl, die laut Anklage korrigiert werden muss. Dort werde der Fund auf rund 250 Pflanzen beziffert, so Gerichtssprecher Christian Löffler. Gleichwohl ändert das aus Sicht der Justiz nichts am Vorwurf. „Dieser richtet sich nicht nur gegen den 50-Jährigen, sondern auch noch gegen einen 44- und einen 43-Jährigen, die auch angeklagt sind“, so Löffler.

Nach Recherchen der Volksstimme handelt es sich bei dem 44-Jährigen um Dorrestijns Bruder. Der 43-Jährige ist ein Deutscher, der in der Vergangenheit in der Pension mithalf oder möglicherweise dort noch immer beschäftigt ist.

Hans Dorrestijn wollte sich zum konkreten Vorwurf gegenüber der Volksstimme nicht im Detail äußern. „Nur soviel: Ich habe von diesen Pflanzen nichts gewusst“, beteuert der Besitzer der Pension „Sorgenfrei“. Gut möglich, dass die eigentliche Frage der Täterschaft erst in der Verhandlung vor dem Amtsgericht geklärt werden kann.

Die Entwicklung rund um Hans Dorrestijn entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Der heute 50 Jahre alte Niederländer war im Sommer 2015 einer der ersten, die im Harz auf den sprunghaft angestiegenen Zustrom von Asylsuchenden reagierten. Er öffnete kurzfristig seine Pension und entlastete damit das Land, das seinerzeit händeringend Unterkünfte für die vielen Flüchtlinge suchte.

Er habe in einer akuten Notsituation helfen wollen, erklärte Hans Dorrestijn in der Vergangenheit immer wieder. Er habe mithilfe der Flüchtlinge seine eher schwach ausgelastete Pension längerfristig füllen und vermieten können, halten ihm Kritiker entgegen.

Tatsächlich bestätigt Dorrestijn, dass das Land einen von September 2015 bis Ende März 2016 befristeten Mietvertrag für seine Pension abgeschlossen habe. Nach dem Fund der Cannabis-Pflanzen reagierte das Land umgehend. Die bis zu 220 Flüchtlinge wurden andernorts untergebracht. Nach Recherchen der Volksstimme wurden der Nutzungsvertrag fristlos gekündigt und die Mietzahlungen vorzeitig eingestellt. Die Syrer verließen im Herbst 2015 teilweise unter Tränen die Pension.

Ob das Land anschließend einen finanziellen Ausgleich an Dorrestijn zahlte, ist unklar. In den Landesbehörden hält man sich bedeckt – wegen der laufenden Ermittlungen, weil der Fall vertragliche Eckdaten tangiert und weil Dorrestijn gegenüber dem Land finanzielle Forderungen aufmacht und wohl klagen will. Offenbar ist man auch bestrebt, zunächst den Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens abzuwarten.

Dorrestijn selbst hatte im Herbst vorigen Jahres erklärt, er wolle kein Geld, sondern weiterhin Flüchtlinge aufnehmen. Dazu kam es – wegen der laufenden Ermittlungen und der später rückläufigen Flüchtlingszahlen – nicht mehr. Nun macht der Betreiber finanzielle Forderungen wegen der vorzeitigen Vertragsauflösung und wegen Beschädigungen in der Pension auf. Konkret beziffern mag er sie nicht, aber: „Es waren sehr viele Leute untergebracht, da hat es Schäden gegeben. Die waren erheblich.“ Zudem habe er wegen der Flüchtlingsaufnahme investiert und beispielsweise für 23 000 Euro extra eine Fluchttreppe beschafft.

Ein pikanter Punkt. Kann Dorrestijn vor Gericht seine Unschuld beweisen und belegen, dass er als Hausbesitzer von jener Plantage nicht wusste, könnte sich die Frage nach einer Schadensersatzpflicht seitens des Landes stellen.

Zunächst aber muss der 50-Jährige in eigener Sache vor das Amtsgericht. Dort drohen ihm nach Angaben von Gerichtssprecher Löffler bei einem Schuldspruch zwischen einem und maximal vier Jahre Haft.