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Kita-Schließung Warum „Sputnik“ in Halberstadt das Aus droht

Die Stadt Halberstadt will nach über 40 Jahren die Kinderbetreuung in der Kita „Sputnik“ beenden. Die Eltern halten nicht still und organisieren Widerstand.

Von Jörg Endries 21.07.2023, 09:30
Noch werden Mädchen und Jungen n der Kita „Sputnik“ in Halberstadt betreut. Ende 2024 soll die Einrichtung jedoch schließen.
Noch werden Mädchen und Jungen n der Kita „Sputnik“ in Halberstadt betreut. Ende 2024 soll die Einrichtung jedoch schließen. Foto: AWO Kreisverband

Halberstadt - Eltern, Kinder und der Träger der integrativen Kindertagesstätte „Sputnik“ in der Halberstädter Maxim-Gorki-Straße können es nicht fassen: Die Kita soll tatsächlich schließen - für immer.

Im Rathaus fiel die Entscheidung, den Pachtvertrag mit dem AWO-Kreisverband nicht zu verlängern. Das bedeutet, Ende 2024 soll Schluss sein. Dagegen laufen die Betroffenen Sturm. Am Dienstag, 25. Juli, ab 16 Uhr wollen sie auf dem Holzmarkt vor dem Rathaus gegen das drohende Ende des „Sputnik“ protestieren. 1800 Flyer seien laut Elternrat in der Stadt verteilt worden, um die Öffentlichkeit über den Kampf zum Erhalt der Kita zu informieren und um Unterstützung zu bitten.

Die harten Fakten vorweg. Die Stadt Halberstadt ist nicht Eigentümerin des Gebäudes, in dem die Kita untergebracht ist. Der Kommune gehört der Grund und Boden, auf dem das Haus steht. Am 31. Dezember 2024 läuft der Pachtvertrag, der zwischen Stadt und AWO existiert, ab. Eine Verlängerung steht ausdrücklich nicht im Raum, weil das Gebäude stark sanierungsbedürftig sei, bestätigt die Stadtverwaltung auf Anfrage. Daher ist der AWO-Kreisverband gezwungen, die Kita zu schließen.

Eltern geben nicht auf

Die Eltern wollen ihre Kita auf keinen Fall aufgeben, bestätigen stellvertretend Daniela Simon, Anna-Lenna Brandenburg und Matthias Meldau im Gespräch mit der Volksstimme. Nach ihren Aussagen seien bereits über 4000 Unterschriften gegen die drohende Schließung der Kita gesammelt worden.

Der Eltern- und der Kinderrat habe bei Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU) vorgesprochen, auch die AWO-Geschäftsführung. „Wir haben schon so viel versucht, leider erfolglos, da unser Oberbürgermeister alle Vorschläge abgelehnt hat“, bedauern erzürnt die beiden Frauen.

„Wir klammern uns nicht generell an das Gebäude. Uns ist klar, dass hier viel Geld investiert werden müsste, um es zukunftsfähig zu machen“, sagt Kita-Leiter Marcel Damm. Die AWO habe der Stadt das Angebot unterbreitet, dass die Kita in ein anderes Gebäude umziehen könnte, auch mit weniger Kindern, selbst das Angebot für einen Neubau habe es gegeben. Doch alle Vorschläge, den „Sputnik“ zu erhalten, seien von der Stadt abgeschmettert worden. „Am Verhandlungstisch muss die optimale Lösung gefunden werden. Es kann nicht sein, dass man einfach sagt, das Haus wird Ende 2024 dicht gemacht.“

Einen dicken Hals bekommen die Vertreter des Elternrates und Marcel Damm, wenn sie von der Stadtverwaltung das Argument hören, in der Stadt gebe es derzeit Überkapazitäten, also nicht belegte Kita-Plätze. Von denen soll es laut Kommune zurzeit 283 geben, Tendenz stark ansteigend auf über 480, bestätigt Peter Kuschel, Fachbereichsleiter Innere Verwaltung, Bildung, Jugend, Sport der Stadtverwaltung, auf Volksstimme-Anfrage.

„Irgendwas muss da nicht stimmen. Ich habe Eltern, die keinen Hortplatz für ihr Kind finden. Ich habe Familien aus Heimburg und Kroppenstedt, die bringen ihre Kinder zu uns, weil die Stadt keine anderen freien Kapazitäten hat. Daher stelle ich fest, das wir gebraucht werden“, sagt Marcel Damm. Dem stimmt Daniela Simon zu. „Ich habe fünf Jahre gebraucht, um für mein Kind einen Platz in Halberstadt zu bekommen. Daher kann ich das Argument, es gibt fast 300 freie Betreuungsplätze in Halberstadt, nicht nachvollziehen.“

Angebote der Stadt an die Eltern, dass sie ihre Kinder jetzt schon in anderen städtischen Einrichtungen anmelden und unterbringen können, seien bislang ins Leere gelaufen, berichten die Elternvertreter. Das habe konkrete Ursachen. Sie nennen nur einige Fakten von einer langen Liste, warum eine Schließung kein Thema ist: „Das Personal in der Kita ist toll und engagiert, hier nimmt man sich Zeit für jedes Kind, sie können mitbestimmen, es gibt eine Frühförderung, die AWO hält ein Heilpädagogenteam vor, Logopäden und Ergotherapeuten kommen ins Haus, die Öffnungszeiten sind transparent. Außerdem gibt es keine Urlaubsschließzeit.“

Kai-Gerrit Bädje, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbandes, bestätigt, dass die Stadt bislang alle Vorschläge zur Lösung des Problems abgeschmettert habe. „Bereits 2014 sprachen wir mit der Kommune über einen möglichen Neubau auf dem Kita-Gelände, der preiswerter wäre als die Sanierung des alten Hauses. Darauf ging man leider nicht ein“, so Kai-Gerrit Bädje. Das letzte AWO-Angebot an die Stadt war, die Kita „Pfiffikus“ zu erweitern, um den „Sputnik“ dort mit zu integrieren. Auch darauf sei der OB nicht eingegangen.

Abbau von Überkapazitäten

Im Rathaus führt man auf Volksstimme-Anfrage Gründe für das Kita-Ende auf. Der Landkreis Harz als öffentlicher Träger der Jugendhilfe und der Kita-Entwicklung fordere alle Kita-Träger, auch die Stadt Halberstadt, seit Jahren auf, einen wachsamen Blick auf Überkapazitäten zu haben, erklärt Fachbereichsleiter Peter Kuschel.

„Mit Stand vom Juni 2023 haben wir in der Kernstadt Halberstadt einen Überhang von 283 Kita-Plätzen. Das ist die Ursache dafür, dass wir angehalten sind, diesen Überhang nicht weiter eskalieren zu lassen.“ Denn in etwa zwei Jahren würde die Kommune auf Grund der demografischen Entwicklung weitere 200 nicht besetzte Kita-Plätze besitzen. Im Interesse einer kosteneffizienten Bereitstellung der Plätze sei die Stadt auch im Sinne der Eltern daran interessiert, das Angebot zu optimieren.

Garantie für Kita-Platz

Aus diesem Grund hätten sich der Stadtrat und die Verwaltung dazu entschlossen, nach 2025 die Kita „Kinderland“ zu schließen, wenn die zurzeit geschlossene Kita „Ententeich“ saniert ist. Die zweite Einrichtung sei der „Sputnik“.

„Trotzdem garantieren wir jedem Elternhaus in Halberstadt innerhalb von 48 Stunden einen Kita-Platz“, unterstreicht Peter Kuschel. In der Kreisstadt habe man eine gesunde Struktur. In 16 städtischen Kitas würden derzeit 1600 Mädchen und Jungen betreut, 800 weitere in acht Einrichtungen von freien Trägern.

Die Kündigung des „Sputnik“-Pachtvertrages habe mit der dringenden Sanierung des über 40 Jahre alten Gebäudes einen konkreten Hintergrund. Die Kosten würden mehrere Millionen Euro betragen, so Peter Kuschel. Die AWO sei zwar als Träger bereit, das Geld auszugeben. Diese Investition würde allerdings künftig die Elternbeiträge für die Kinderbetreuung in der gesamten Stadt in die Höhe treiben.

Kostenspirale

Thomas Fahldieck, Abteilungsleiter Kindertagesstätten, Schulen und Sport: „Der Zuschussbedarf würde sich erheblich erhöhen. Dann liegt es an uns zu sagen, wir als Stadt übernehmen die Kosten, was angesichts der Haushaltsprobleme unmöglich ist, oder wir legen es auf alle Eltern mit Kita-Kindern um. Aber warum sollen wir das für eine Einrichtung tun, die wir auf Grund der vielen freien Plätze in der Stadt eigentlich gar nicht benötigen.“

„Ich sehe bis heute bei freien Trägern in den letzten zehn Jahren keine Bereitschaft zum Abbau von Kapazitäten“, betont Peter Kuschel. Daher würde man jetzt die Möglichkeit nutzen, den „Sputnik“ zu schließen. Ohne Ende des Pachtvertrages hätte das nicht auf der Tagesordnung gestanden.

Für die Stadt sei es kein Problem, die Kinder aus dem „Sputnik“ in anderen Einrichtungen unterzubringen. Die 58 Hortkinder würde man künftig in der Spiegel-Grundschule betreuen. „Die Krippen- und Kindergartenkinder werden komplett versorgt. Bis dahin haben wir unter anderem 60 freie Plätze in der Kita ’Sonnenschein’“, sagt Peter Kuschel.