Geschichte Heimweh im KZ

Eine gefundene Malerei verweist in die dunkelsten Kapitel der Haldensleber Geschichte. Der Künstler: Ein Kommunist aus Domersleben.

26.01.2020, 00:00

Haldensleben l Als Uwe Pigors das Bild fand, wusste er nichts über das Konzentrationslager Sonnenburg. Klar gewesen sei ihm allerdings: Das Haus, das da durch die Gitterstäbe hindurch zu sehen ist, ist das Haus mit der Nummer 15 in der Jacobstraße in Haldensleben. Das Haus, das er vor kurzem gekauft hat. Und in dem er beim Entrümpeln das Bild gefunden hat.

Der 47-jährige Hohenwarsleber begann zu recherchieren. Er fand heraus, dass das heute in Polen gelegene Sonnenburg im Jahr 1933, als Hitler die Macht übernahm, vom Zuchthaus zum Konzentrationslager wurde. Nach dem Reichstagsbrand im Februar waren die Berliner Gefängnisse nicht mehr groß genug. Vor allem Intellektuelle und Kommunisten aus Berlin saßen in Sonnenburg ein, unter ihnen die Schriftsteller Carl von Ossietzky und Erich Mühsam.

Auch ein gewisser Helmut Glüer aus Domersleben, von Beruf Maler, war von März bis Dezember 1933 dort eingesperrt. So geht es aus einer späteren Anklageschrift des NS-Regimes gegen Glüer hervor. Darin heißt es, er habe bereits vor 1933 „an führender Stelle für die Kommunistische Partei Deutschlands gearbeitet“, aus Sicht des NS-Gerichts war er der „Typ eines fanatischen Kommunisten“.

Dass Glüer vor der Machtergreifung der Nazis den Neuhaldensleber KPD-Funktionär Willi Schaper kennengelernt hat, ist nicht unwahrscheinlich. Schaper, so berichtet es Sandra Luthe vom Kreisarchiv, wohnte einst im Haus mit der Nummer 15 in der Jacobstraße. Auch Pigors bestätigt, dass sich diese Adresse Schapers in einem alten Telefonbuch finde. Auch der Haldensleber KPD-Funktionär wurde nach der Machtergreifung verhaftet und nach einem Aufenthalt im Zuchthaus Berlin-Plötzensee in Konzentrationslager nach Sonnenburg gebracht.

In Sonnenburg folterten und misshandelten Berliner SA-Männer mehr als 1000 Gefangene. 1934 wurde das Konzentrationslager wieder aufgelöst und erneut zum Zuchthaus.

Ob sich Schaper und Glüer im Mai 1933 dort getroffen haben, wie es das Bild nahelegt, ist nicht gewiss. Pigors hält das für wahrscheinlich. Wie das Bild dann entstanden ist, bleibt unklar. „Vielleicht konnte Schaper nicht malen und Glüer hat es ihm dann gemalt“, mutmaßt Pigors. Klar ist für ihn, dass das Haus im Mai 1933 für den Gefängnisinsassen ein Sehnsuchtsort ist.

Ein gebrochener Kommunist war Glüer nach der Zeit in Sonnenburg laut des Gerichtsurteils nicht. Wegen Flugschriften und anderen Aktivitäten im Untergrund wurde er später erneut verhaftet und im Jahr 1937 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Ob der Maler das überlebte, ist nicht überliefert.

Schaper überlebte den Krieg. Kurz nach Kriegsende wurde er Landrat des Kreises Haldensleben. Ab 1946 gehörte er dem Kreis- und Landtag an. Später leitete er die Keramischen Werke in Haldensleben. Er starb im Jahr 1984.

Heute wirkt das Haus verfallen. Die Fassade im Erdgeschuss ist rau verputzt. Von den Verzierungen um die Fenster im ersten Stock blättert die Farbe ab. Im Kreisarchiv will Luthe weiter forschen, welche Beziehung Schaper und Glüer zueinander hatten. Das Bild, das die beiden verbindet, will Pigors nach der Renovierung auf jeden Fall im Haus aufhängen.