Interview Schönhausen pleite

Hohe Umlagen zwingen Schönhausen in die Knie. Die Devise des Bürgermeisters: Anpacken statt meckern!

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 26.01.2018, 12:04

Schönhausen l Welche Bilanz er zieht und welche Pläne er und die Gemeinde für 2018 hegt, möchte Anke Schleusner-Reinfeldt von Schönhausens Bürgermeister Holger Borowski im Interview zum Jahresauftakt wissen.

Volksstimme: Mit guten Gewerbesteuern, Dank des zahlreich angesiedelten Handwerks und Handels sowie Mieteinnahmen konnte die Gemeinde bislang gut leben und sich auch Diverses leisten. Das ist nun vorbei – auch Schönhausen ist pleite. Sicher kein gutes Gefühl für die größte Kommune im Elbe-Havel-Land.

Holger Borowski: Ja, es schmerzt! Schönhausen wird trotz guter Steuereinnahmen und fleißiger Bürger durch die hohen Umlagen, die wir an den Landkreis abführen müssen, und durch große Kostenaufwendungen wie beispielsweise bei der Reparatur der ICE-Brücke zwischen Schönhausen und dem Damm in die Knie gezwungen. Aber wir suchen nach Lösungen, um aus dieser Misere herauszukommen.

Sie sind selbst Mitglied im Rat der Verbandsgemeinde und wissen, dass sich an den Umlagen nicht viel zum Vorteil der Mitgliedsgemeinden ändern wird. Welchen Weg sehen Sie, die finanzielle Situation wieder zu entspannen?

Für mich gibt es einen Drei-Wege-Plan: Erstens die wirtschaftliche Lage der Gewerbetreibenden und Landwirte muss nicht nur stabilisiert, sondern stetig weiter nach vorn gebracht werden. Auch die Ansiedlung neuer Betriebe ist wichtig; zweitens die starke kommunale Infrastruktur durch gute ärztliche Betreuung, Verkehrsanbindungen, viele Vereine und soziales Wohnungsangebot weiter fördern und drittens dieses Wohlfühl für jeden Einzelnen in der Gemeinschaft stärken. Dazu zählt auch die Naherholung mit Parkanlagen und Spielplätzen sowie eine altersgerechte Umgebung.

Sich selbst aus der Patsche zu ziehen, wäre zumindest zu einem kleinen Teil durch die Vermietung der doch recht vielen leerstehenden Wohnungen machbar. Aber dafür müssten sie erst einmal modernisiert werden, damit sich Mieter finden – hat die Gemeinde Geld dafür?

Durch Sparmaßnahmen und Cleverness kann man was bewegen! Wir haben leerstehende Wohnungen, die noch mit Kohleöfen ausgestattet sind. Der Aufwand zur Sanierung ist zu groß. Mit Absprache der Verwaltung und Ratsmitglieder könnte man den zweiten Block in der Neuen Straße mit Fördergeldern abreißen und somit Geld sparen. Es gibt genug andere Gemeindewohnungen in Hohengöhren und Schönhausen, die durch Modernisierungen bezugsfähig wurden.

Gerade einladend am südlichen Ortseingang wirkt die Fassade des großen 60-WE-Blockes am Mühlenberg mit den teilweise brachliegenden Gärten davor nicht...

Stimmt, aber der Vorgarten und die Fassade stehen für mich nicht an erster Stelle. Wichtig ist der Innenausbau und dann erst das Drumherum. Wer möchte, kann natürlich gerne anpacken und die Gärten günstig nutzen.

Von der Investitionspauschale, die auch Schönhausen für Investitionen in der Verbandsgemeinde zahlt, ist seit Bestehens des Verbandes kein Geld in Schönhauser Projekte geflossen. Das soll nun mit dem Bau des neuen Kindergartens passieren. Auch wenn die Gemeinde darauf keinen Einfluss hat – was sagen Sie dazu, dass sich der Baustart so lange hinzieht?

Wir konnten in den Medien die Antragsstellungen verfolgen und immer wieder von Ergänzungen zum Bauantrag beziehungsweise Auflagen hören. Ich habe kein Verständnis für diesen chaotischen Paragraphenwandel. Es wird kein Trost sein für die Kinder, Lehrer, Eltern und Erzieher. Doch ich weiß, dass die Verbandsgemeinde bemüht ist, den Bau endlich zu vollziehen.

Voran geht es dagegen mit der neuen Turnhalle als größtes Flutprojekt.

Ja. Und wenn alles klappt, können wir sie im Herbst mit einem Handballturnier einweihen. Gute Planer und Firmen stehen uns zur Seite.

Mit dem Stand der Behebung der Schäden nach der Flut sind Sie jetzt, im Sommer fünf Jahre nach der Katastrophe, zufrieden?

Es ist schon viel geschafft. Diejenigen, die diese Katastrophe erlebt haben beziehungsweise davon betroffen waren, wissen, dass es mehrere Jahre bedarf, alles wieder herzurichten. Mehr als 160 Grundstücke hatten mehr als eine Pfütze im Keller. Teilweise stand das Wasser 1,50 m hoch und bis zu acht Wochen in den Kellern.

Im Park, wo das Wasser meterhoch gestanden hatte, ist noch viel zu tun. Wie lange wird das Gelände noch gesperrt bleiben?

Das kann man noch nicht sagen. Der erste Abschnitt zur Ostseite ist fertig. 2018 geht es weiter und wir warten auf die Erneuerung der Brücke an der Herkulesfigur sowie zwei Stege zur ehemaligen Teehausinsel und zum Pfarrgarten. Bauchschmerzen macht mir der alte Baumbestand. Die riesigen Bäume finden nach dem Hochwasser mit ihrem Wurzelwerk in dem schlammigen Boden keinen Halt mehr. Selbst bei Windstille kippen sie um. Wir versuchen, die Fertigstellung bis Ende 2019 umzusetzen.

Wie soll die Pflege der großen barocken Anlage realisiert werden – die beiden Schönhauser Gemeindearbeiter werden das kaum bewältigen.

Zunächst haben die ausführenden Firmen zur Parkgestaltung die Pflicht, den Park für mehrere Jahre zu pflegen. Dann ist die Gemeinde in der Pflicht. Dafür werden mindestes zwei Personen mit gärtnerischer Ausbildung benötigt. Bisher hatten wir Hilfe von Kräften über den zweiten Arbeitsmarkt. Diese Maßnahmen sind allerdings befristet und somit keine Basis für alle Jahre. Im Vorfeld muss man nach Lösungen suchen. Ich stelle mir vor, einen Verein zu gründen und auch Senioren einzubeziehen. Ich begrüße, dass unser Park nun ein „Gartentraum“ ist.

Mit der Otto-von-Bismarck-Stiftung läuft die Zusammenarbeit wie gewünscht?

Die Stiftung und auch unsere Kirche bemühen sich, unsere Geschichte mit guten und fachlichem Wissen zu präsentieren. An dieser Stelle möchte ich ein Dankeschön sagen für die finanzielle Unterstützung der Stiftung beim wunderschönen und ideenreichen Jahresausklangempfang und unserer sehr schönen Seniorenweihnachtsfeier.

Eines der großen Vorhaben 2018 ist unabhängig von der Flutsanierung der Ausbau des linken Nebengebäudes am Bürgerzentrum, einst Schul-Sekretariat, zum Arzthaus. Ist das umfangreiche Projekt bis Jahresende überhaupt zu realisieren?

Ja, der Stein rollt. Die Aufträge sind erteilt und die Sanierung beginnt demnächst. Ich hoffe, dass das Haus schnellstmöglich bezugsfertig ist.

Natura 2000 wird auch für Schönhausen Einschnitte mit sich bringen. Sie hatten gegen die Stellungnahme der Verbandsgemeinde zum Entwurf gestimmt – warum?

Ich muss mich jetzt noch einmal wiederholen: Vor Jahren demonstrierten wir erfolgreich gegen das Kohlekraftwerk bei Arneburg und nahmen uns damit ostelbisch die Möglichkeit, dort Arbeitsplätze zu finden und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erleben. Wir wollen unsere Flora und Fauna schützen. Jetzt kommt Natura 2000 mit Birkhühnern und Seeschwalben, die hier nie existiert haben, und man will uns – der Bevölkerung, den Vereinen, den Landwirten und Gewerbetreibenden – den Lebensraum nehmen. Auch der Tourismus, den wir weiter ausbauen möchten, wird eingeschränkt. Ein klares Nein zu Natura 2000 in unserem Gebiet! Wir zeigen schon Kulanz beim Biber, der große Eichen fällt und unsere Gräben mit seinen Burgen verstopft, und bei Waschbären, die die Nester der Singvögel und Niederwild plündern. Allem zum Trotz haben wir in unserer Region mit Hege und Pflege und im Einklang der Menschen mit der Natur alles für eine gesunde Flora und Fauna getan.

Den Neuen Wiehl wieder zu einer attraktiven Badestelle für die Schönhauser zu machen, ist wohl nicht realisierbar?

Doch, man muss nur hingehen und baden. Steht das Wasser still, vermehrt sich der Bewuchs. Die Wasserqualität ist die gleiche wie in den Hohengöhrener Kieslöchern. Der Badestrand wurde schon vor Jahren von der Gemeinde hergerichtet. Warum wurde er nicht genutzt? Parkplätze sind vorhanden, ein tolles Ambiente in der Natur ist gegeben mit viel Ruhe, der Badestrand ist sauber und gepflegt.

Seit Jahren wird davon geredet, auf dem Friedhof eine halbanonyme Urnenstelle zu schaffen – passiert ist noch nichts.

Leider. Überhaupt hat der Friedhof Aufholbedarf, hier gibt es mehrere „Baustellen“. Ich möchte den freiwilligen Helfern Danke sagen, die in ihrer Freizeit für Ordnung und Sauberkeit sorgen. Bei der Abstimmung zum Haushaltsplan wurde vom Gemeinderat die Kostendeckung für die Schaffung der halbanonymen Stätte gestrichen. Hier sind nun wieder Sponsoren gefragt. Wer sich sofort meldete, war Bernd Witt, der ehemalige Verbandsgemeindebürgermeister. Ich habe auch noch andere Firmen, die ihre Hilfe für das Objekt angeboten haben. Wir müssen den Friedhof wieder in einen würdigen Zustand bringen.

Kann die Gemeinde, auch wenn sie pleite ist, die für das Dorfleben so wichtigen Vereine weiterhin unterstützen? Die neue Turnhalle wird für zusätzliche Belastung sorgen ...

Der Gürtel ist schon eng geschnallt. Aber die Vereine sind für das Dorfleben wichtig. Alle Forderungen können wir nicht deckeln, wir müssen Prioritäten setzen. Ist eine Heizung im Seniorentreff wichtiger als ein Fahrstuhl im Sportlerheim, der nur zu gewissen Anlässen von wenigen Personen genutzt wird? Die Deckung der Betriebskosten der neuen Halle wird eine Herausforderung.

Viele Schönhauser Straßen sind, auch dank der Flutmittel, neu. Die Heidestraße dagegen sollte schon vor vier, fünf Jahren erneuert werden. Ist das Projekt mittelfristig realisierbar?

Ich habe gleich nach Amtsantritt versucht, die Heidestraße herzurichten mit einer Oberflächenbehandlung, um den Anwohnern die anteilmäßigen Straßenausbaukosten zu ersparen – die Umsetzung ist mir bisher nicht gelungen. Um den Wünschen der Anwohner nachzukommen, werde ich ein Planungsbüro beauftragen, eine Kostenschätzung für die Heidestraße zu erstellen, auch für die Heinestraße und die Bergstraße. Es stehen flutbedingt noch ein paar weitere Erneuerungen an, unter anderem der Bismarckstraße in Schönhausen und der Dammstraße in Hohengöhren.

Die Verkehrsausschilderung in der Gemeinde sollte überarbeitet werden – wie ist der Stand der Dinge?

Eine Kontrollfahrt mit den Regionlabereichsbeamten wurde vorgenommen. Fast ganz Schönhausen ist 30-km/h-Zone. Auch in der Bismarckstraße mit viel Verkehr und Besuchern, die zum Verwaltungsamt wollen, Schulkindern an der Wartehalle und einer Vielzahl der Patienten der Physiotherapie wird schneller gefahren als die geltenden 50 km/h. Hier möchte ich die Bismarckstraße von der Kreuzung B 107 bis Ortsausgang Damm generell mit 30 km/h ausschildern lassen, um den Verkehr zu beruhigen. Probleme gibt es auch mit parkenden Fahrzeugen in der Heinestraße und im Wiesengrund, wo Versorgungsfahrzeuge und auch Rettungsdienste nicht passieren können. Die Raserei am Ende der Mittelstraße ist auch ein Problem. Eine Verkehrsinsel wäre angebracht.

Wofür bräuchte die Gemeinde 2018 eigentlich Geld?

Das Fass hat keinen Boden. Die Wohnungspolitik muss auf gesunde Füße gestellt werden. Was mir schon immer unter dem Nagel brennt, ist der Bau eines Pflegeheimes auch mit betreutem Wohnen. Ich brauche einen Investor und einen Betreiber. Einen Bauplatz würden wir günstig zur Verfügung stellen.

Wann wird es in Schönhausen mal wieder ein Dorffest geben?

Am liebsten morgen! Es stehen dennoch viele kleine und große Feierlichkeiten an, beispielsweise das Kreiskirchenfest im Juni, im Juli der 160. Geburtstag des Chores, im August 125 Jahre Feuerwehr und auch die Einweihung der neuen Turnhalle wird gefeiert. Auch in Hohengöhren und auf den Dämmen ist was los. Ich hätte die im Haushaltsplan festgelegten 700 Euro für einen Neujahrsempfang am liebsten für ein Dorffest genutzt. Aber der Rat hat sich für einen Empfang entschieden.

Gibt es dafür einen Termin?

Frühestens Mitte Februar.

Haben sie persönlich ein guten Vorsatz für 2018?

Die Aufgaben als ehrenamtlicher Bürgermeister sind nicht einfach. Ich möchte versuchen, Nägel mit Köpfen zu machen – ob im Beruf, als Bürgermeister oder auch privat. Ich habe gelernt: viele wissen und können alles besser. Ich bin immer verantwortungsbewusst! Da passt das Motto der MDR-Reihe, über die im Herbst ein Raum im Jugendklub hergerichtet wurde, ganz gut: Hier wird nicht gemeckert, sondern zugepackt!