Seit 100 Jahren herrscht eine gastfreundliche Atmosphäre in dem Haus, in dem es heute griechische Spezialitäten gibt Markt 26: Torte und Tanz im ,Kaffee Schnermann\'
Jedes Haus auf der Havelberger Altstadtinsel hat eine interessante Geschichte zu erzählen. Eines davon ist das große Eckhaus am Markt. Seit nunmehr über 100 Jahren befinden sich in diesem Gebäude gastronomische Einrichtungen.
Havelberg l Hans Lorenz hat Anfang der 1920er Jahre am Markt 26 (heute Nummer 24) das gleichnamige Café, das er von Emil Knittel übernahm, betrieben. Schon zu dieser Zeit gehörte zu den Cafés eine "Conditorei". An den dann folgenden Betreiber des Cafés, Alois Schnermann, kann sich der heute 107-jährige Havelberger Gustav Gerneth noch sehr gut erinnern. "Ich habe genau gegenüber dem ,Kaffee Schnermann\' gewohnt. Elli und Alois Schnermann hatten drei Kinder. Der ältere Sohn Axel erlernte den Beruf des Maurers und der zweite Sohn, Knut, war Koch. Die Tochter der Schnermanns, Ilka Newzella, lebt heute in Köln und betreibt dort eine große Bäckerei."
Das "Kaffee Schnermann" war sehr beliebt. An den Wochenenden fanden Tanzveranstaltungen statt. Die beiden Musiker Hans Winter und Erich Brauer haben für Unterhaltung gesorgt. Von seiner Wohnung aus konnte Gustav Gerneth in den oberen kleinen Saal schauen, in dem die Gäste tanzten. Später, zu DDR-Zeiten, tanzten hier die FDJler und die russischen Soldaten.
Erich Brauer versetzte aus Geldnot seine Tuba im Pfandhaus
Bei Schnermann ging es, obwohl man in den 20er Jahren nicht von den besten Jahren sprechen konnte, immer recht lustig zu. Die Zeiten waren sogar so schlecht, dass Erich Brauer 1928 in Hamburg seine geliebte Tuba ins Pfandhaus bringen musste. "Das Pfandhaus lag direkt neben der bekannten Davidwache. Zu dieser Zeit bin ich auf dem Schlepper ,Brunhilde\' der Hamburger Firma ,Bessmann\' gefahren. Das war die Bekleidungs-Fabrik von Heiner Bessmann, die es seit 1898 gibt und heute noch besteht. Nur kurze Zeit später gab mir Erich Brauer den Pfandschein mit und bat mich, seine Tuba wieder mit nach Havelberg zu bringen", berichtet der Havelberger Senior. "Ich hatte einen polnischen Schiffer auf dem Schlepper, der hat dann mit der eingelösten Tuba die halbe Reeperbahn verrückt gemacht."
Auf dem alten Foto vom "Kaffee Schnermann" ist gut zu erkennen, dass sich links neben dem Eingang einmal ein Laden befand. Dort wurden Waren aus der eigenen Backstube verkauft - überall duftete es verführerisch nach frischgebackenem Brot und Gebäck. Im Winter fror man nicht so schnell, weil die Wärme des Backofens sich im ganzen Haus ausbreitete. Viele Menschen kamen und kauften Leckereien und hörten Neuigkeiten aus der Stadt. Besonders zu den Feiertagen hatten die Bäcker viel zu tun, denn die Havelberger brachten ihre Kuchen in Formen oder auf Blechen zum Abbacken in die Backstube.
Auslieferer Otto Ullrich fällt betrunken die Treppe herunter
Der Eingang zur Backstube befand sich von der Domstraße aus, zwei Gesellen arbeiteten dort. Neben Kuchen und Torten wurden Brot und Brötchen gebacken. Otto Ullrich, der eigentlich Fleischer war, fuhr die Brötchen mit seinem Chevrolet zu den Kunden.
In dem kleinen Laden konnte man auch Getreide abgeben, um dafür Brot zu bekommen. "Meine Jungs sind oft Getreide stoppeln gegangen. Die Ähren wurden mit einer einfachen Schere abgeschnitten", schildert Gustav Gerneth, dessen Sohn gerade 80 Jahre alt geworden ist. Weiter erzählt er: Im "Kaffee Schnermann" fanden etwa 20 Personen Platz, im oberen Zimmer konnten weitere 40 bis 50 Personen sitzen. Diese Treppe ist Otto Ulrich einmal stockbetrunken herunter gefallen. Auf allen Vieren kroch er durch das "Kaffee", ist in sein Chevrolet gestiegen und losgefahren.
Rechts neben dem "Kaffee Schnermann" befand sich das Handarbeiten- und Kurzwaren-Geschäft von Marie Hülsebeck.
Nach dem Krieg hatte man Alois Schnermann in Bautzen eingesperrt, weil er zu Adolf Hitlers Zeiten bei den sogenannten Kettenhunden war. Elli Schnermann führte das "Kaffee" allein weiter und hatte mit den drei Kindern ihr Tun. Durch einen Verrat kam auch sie ins Gefängnis. Sie hatte jemandem einen Brief mitgegeben, der in Berlin in den Postkasten gesteckt werden sollte. Der Brief wurde aber bei der Polizei abgegeben. Nun stand die Mutter von Elli Schnermann mit den Kindern alleine da. Sie führte das Café so gut es ging weiter. Elli wurde nach zwei Jahren entlassen und stieg dann wieder in das Geschäft ein.
Ensemble wird zum Kreiskulturhaus, in dem die Jugend tanzte
"Zum Großen Markt war in allen Kneipen der Stadt Hochbetrieb und ich half bei Schnermanns aus. Ich stand am Tresen, steckte Bier an oder verkaufte draußen am Bierstand." An einen Großen Markt kann sich Gustav Gerneth noch besonders gut erinnern, "da habe ich 24 Stunden durchgearbeitet".
Im Keller des Cafés wurde auch noch Speiseeis hergestellt, das eine Frau mit einem zweirädrigen Wagen ausfuhr und verkaufte.
Axel Schnermann hatte auf dem Boden gehobelte und gefalzte Bretter zu liegen, die Elli an Anton Kluge verkaufte, der sich gerade einen Garten zugelegt hatte. So konnte sie wieder eine Zeitlang mit ihren Kindern gut leben. 1948 kam Alois Schnermann aus Bautzen zurück.
"Mit der Kreisgründung Anfang der 1950er Jahre sind sie dann in den Westen abgehauen", beendete Gustav Gerneth seinen Ausflug in die Vergangenheit.
Aus dem "Kaffee Schnermann" wurde eine HO-Gaststätte und aus dem gesamten Haus das "Kreiskulturhaus Havelberg". In der Gaststätte wechselten mehrfach die Betreiber und im damaligen Geschäft von Marie Hülsebeck entstand ein Saal. Hier wurde nach Musik von Frank Schöbel, Wolfgang Ziegler, Hauff und Henkler, Karat und anderer DDR-Größen getanzt. Der Saal wurde auch für viele andere Zwecke genutzt, denn die HO war der Stadt und der Partei unterstellt. Ausstellungen, Versammlungen und Auszeichnungsveranstaltungen fanden statt. Zu den Wahlen kamen zahlreiche Wähler in den Saal und sogar heiraten konnte man hier. Da sich in dem Haus Markt 26 auch die FDJ-Kreisleitung befand, trafen sich oft Jugendliche zu Begegnungen der verschiedensten Art.
Nach der Wende erwarb Investor Manfred Heinze die Immobilie und ließ sie als Wohn- und Geschäftshaus aus- und umbauen.
Seit 1992 befindet sich eine griechische Gaststätte mit einem großen Biergarten davor im Parterre des Hauses. Die Eingangstür des einstigen "Kaffee Schnermann" gibt es nicht mehr und im damaligen Kurzwaren-Geschäft von Marie Hülsebeck genießen seit 20 Jahren Gäste griechische Gastlichkeit im Restaurant "Akropolis".
Am 25. November 1992 hatte Konstandinos Galanis, Kosta genannt, das Restaurant in Havelberg eröffnet. Unter seiner Regie wurde das Lokal schnell zu einer festen Größe auf der Altstadtinsel. Im Mai 2001 hat sein Cousin Eleftherios Tioutios das Restaurant übernommen. Großen Anklang finden die Abende mit griechischer Livemusik. Viele Betriebs- und Familienfeiern haben hier schon stattgefunden. Zum 20-jährigen Bestehen 2012 konnte Eleftherios Tioutios zahlreiche Gäste und Gratulanten begrüßen. "Wir blicken jetzt natürlich auch in Richtung Bundesgartenschau 2015 und werden uns bis dahin noch einiges einfallen lassen."
Das ist sicher auch ganz im Sinne der ersten Betreiber des Kaffees Schnermann, die sich über ein volles Haus freuten.