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Konservatorium Musikschule der Zukunft als Solidarmodell

Stephan Schuh leitet das Magdeburger Konservatorium seit einem Jahr und will die Einrichtung öffnen und umbauen.

Von Rainer Schweingel 05.08.2015, 12:12

Ein gutes Jahr ist der neue Leiter der Magdeburger Musikschule jetzt im Amt. Vor einem Jahr sah er das Magdeburger Konservatorium in der „Bundesliga“ der deutschen Musikschulen. Wie soll es weitergehen? Rainer Schweingel sprach mit Stephan Schuh nach seinem ersten Jahr Amtszeit.

Volksstimme: Sie sind jetzt ein Jahr hier. Sind Sie angekommen?
Stephan Schuh: Ja, ich bin zwar noch Wahl-Dresdner und hier noch auf der Suche nach einer passenden Wohnung. Aber ja, ich bin angekommen und will auch auf Dauer hierbleiben.

Haben sich Ihre Erwartungen an Magdeburg erfüllt?
Das kann ich so genau nicht sagen. Magdeburg war für mich vor meinem Wechsel so etwas wie ein unbeschriebenes weißes Blatt Papier. Deshalb hatte ich keine Vorerwartungen. Rückblickend auf das erste Jahr und das Umfeld kann ich sagen: Magdeburg hat sehr viel zu bieten an städtischem und kulturellem Leben mit viel Niveau. Stellvertretend sei nur das Theater, das Puppentheater oder das Forum Gestaltung genannt. Dazu gibt es sehr viel Kleinkunst in den Stadtteilen.

Zwölf Monate stehen Sie nun auch an der Spitze der Magdeburger Musikschule, die Sie vor Ihrem Amtsantritt deutschlandweit in der „Bundesliga der Konservatorien“ sahen. Bleiben Sie bei der Einschätzung?
Absolut. Wir haben viele sehr gute Musikpädagogen hier bei uns im Haus, die alle bei der Musikschule fest angestellt sind. Das ist ein hohes Gut und Pfund, mit dem man arbeiten kann. Nicht zuletzt beweisen die vielen erfolgreichen Teilnahmen unserer Schüler und Musiklehrer an Bundes- und Europawettbewerben, was hier von den Lehrern und Schülern geleistet wird.

Trotzdem: Vor einem Jahr deuteten Sie Reformen für die Musikschule an. Was ist daraus geworden?
Dabei bleibt es. Um das Niveau zu halten und weiter zu verbessern, müssen wir neue Wege gehen. Ich habe dazu einen Plan ausgearbeitet ...

... und der besagt?
Einige Punkte kann ich schon nennen: Erstens müssen wir die Schule in Richtung Europa noch weiter öffnen. Dazu gehören für mich der Ausbau der Zusammenarbeit mit Partnereinrichtungen u. a. in Le Havre, Sarajevo, Radom, Südtirol, Paris oder Zary in Polen. Zweitens müssen wir uns in Magdeburg noch stärker vernetzen. Ein Beispiel: Mit der Bibliothek als unserem räumlichen Nachbarn legen wir eine Veranstaltung auf unter dem Titel „Text trifft Ton“. Die Musikschule sehe ich als Teil der städtischen Kulturlandschaft, die nicht nur Musikunterricht erteilt, sondern in die Stadt ausstrahlt. Deshalb spreche ich auch immer von einem Stand- und einem Spielbein, auf dem wir stehen. Das Standbein ist die Musikausbildung, das Spielbein die kulturellen Impulse, die wir mit eigenen Ideen aussenden.

Das bedeutet konkret?
Stadt und Land geben uns für unsere Arbeit viel Steuergeld. Also haben wir auch etwas zurückzugeben. Eine Idee ist zum Beispiel die Schaffung einer „Elbsuite“. Eigenkompositionen sollen in den Elbanlieger-Städten entstehen und künstlerisch verarbeitet werden. Zehn Städten haben wir unsere Ideen mitgeteilt, fünf davon haben sich begeistert zurückgemeldet: Spindleruv Mlyn, Vrchlaby und Hradec Kralove in Tschechien sowie Hamburg und Dresden. Mit den Einrichtungen dort planen wir die „Elbsuite“, zu der jeder unterschiedliche Bestandteile einbringen kann. Der eine zeichnet etwas, der andere komponiert. Die „Suite“ ist nicht etwas Vorgegebenes, sondern entsteht quasi während der gemeinsamen Arbeit. „Work in progress“ sagt man neudeutsch dazu. Im Sommer 2016 könnte es losgehen in allen Anrainerstädten von der Elbquelle bis zur Mündung.

Was sagt denn Ihr Budget dazu?
Das ist noch eine schwierige Aufgabe. Man kann ja viele Ideen haben, aber sie müssen auch finanziert werden. Solche Zusatzaufgaben können und dürfen auch nicht unser Budget belasten. Deswegen bin ich gerade auf der Suche nach Sponsoren. Die ersten Signale sehen aber schon ganz gut aus. Das trifft auch für eine weitere Idee zu von sogenannten „Polyästhetischen Veranstaltungen“. Sie greifen ein Thema mit Video, Lesung, Tanz und Musik auf und verarbeiten es mit Partnern künstlerisch. Ein erster Abend unter dem Motto „Winter in Wien“ ist für die kommende Wintersaison geplant. Solche Abende sollen die Musikschule auch für Interessenten öffnen, die nicht direkt, zum Beispiel durch ihr eigenes lernendes Kind, mit der Schule verbunden sind. Das ist ein großes Ziel für mich, für die Musikschule neue Zielgruppen zu erschließen. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Aber ich gehe lieber drei Schritte nach vorn und stolpere zweimal als aus Angst stehen zu bleiben.

Sehen Sie auch Änderungsbedarf in der Musikschule selbst?
Ja, aber da stecke ich noch in der Anfangsphase meiner Überlegungen. Mir schwebt eine Musikschule der Zukunft als Solidarmodell vor, bei dem alle dasselbe zahlen, aber jeder nach seinem Bedarf eingestuft und gefördert wird. Heute zahlt man beispielsweise für 30 Minuten und bekommt 30 Minuten, ob man sie braucht oder nicht ...

... und Sie wollen eine Pauschale, also eine Art Flatrate einführen?
Man könnte es so nennen. Aber noch sind es nur Überlegungen. Ich könnte mir eine Art Gutschein für Einstufungen vorstellen für Elementar-, Extensiv-, Intensiv- und studienvorbereitende Ausbildung. Das würde die Kreativität, Flexibilität und Transparenz erhöhen. Aber noch ist alles ein Gedankenspiel, das ja nach Vollendung auch noch mit dem Stadtrat abzustimmen wäre. Ab dem kommenden Kalenderjahr könnte ich mir ein Pilotprojekt mit einigen Lehrern bei uns vorstellen.

Sie hatten auch bauliche Veränderungen an der Musikschule im Auge. Was wurde daraus?
Dafür gibt es schon konkrete Pläne. Wir wollen die Musikschule nicht nur inhaltlich nach außen öffnen, sondern auch baulich. Wir haben zwar ein sehr schönes, modernes Haus mit guten Bedingungen, aber von außen sieht man das nicht. Alles ist zugehängt, undurchsichtig, verschlossen. Wenn man unten in die Musikschule reinkommt, dann sieht man nicht, wo man ist. Das möchte ich gern ändern. Unser Forum unten soll nach außen hin sichtbar und für jeden Besucher sofort begehbar werden. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass hier nachts mitten im Raum ein angestrahlter Flügel steht, der von außen jedem zeigt: Hier ist die Musik zu Hause. Dass wir da etwas tun müssen, zeigte mir neulich eine Taxifahrt. Als ich dem Fahrer sagte, dass ich ins Konservatorium möchte, fragte der: Konservatorium – wo ist das nochmal?

Magdeburg verlor vor Jahren die Musiklehrerausbildung an die Uni nach Halle. Ein Fehler?
Ja, natürlich, ein großer Verlust. Deshalb habe ich auch Gespräche mit Universitätsrektor Jens Strackeljan aufgenommen um mal auszuloten, ob wir nicht einen Teil dieser entstandenen Lücke schließen könnten. Das ist zwar noch eine weit entfernte Vision. Aber ich halte die Weiterentwicklung unseres Konservatoriums hin zu einer Akademie, die einen künstlerischen Teil universitärer Ausbildung übernehmen könnte, durchaus für eine substanzielle Idee. Und da im nächsten Jahr Landtagswahlen sind, werde ich bei dem einen oder anderen Kandidaten mal nachfragen, wie er dazu steht.