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Umgestaltung Entfernen oder bleiben: Debatte um Gedenkstein in Magdeburg-Stadtfeld

Von Stefan Harter Aktualisiert: 17:24

Magdeburg. „Zum Gedenken an Erich Scharf, der im Kampf um Deutschlands Einheit am 30. Mai 1948 hier tödlich verunglückte“ – so lautet die Inschrift auf dem Steinklotz, der an der Ostspitze des Olvenstedter Platzes steht. Auf ihm thront eine verrostete Feuerschale, die Seiten sind teilweise beschmiert. Ein besonders schön oder imposant anzuschauendes Denkmal ist es wahrlich nicht.

Aus diesem Grund könnte der Scharf-Gedenkstein jetzt auch vom Platz verschwinden. Die Stadt will diesen grundlegend neu gestalten. Ein Berliner Planungsbüro hat kürzlich erste Ideen vorgestellt. Der Bürger für Stadtfeld e. V. hat daraufhin den Wunsch geäußert, dass der Stein verschwinden soll. „Hässlich wie die Nacht“, lautete die Begründung eines Mitglieds bei einer Vor-Ort-Begehung. Der zuständige Planer nannte diesen Vorschlag „einen guten Ansatz, man will den Platz schließlich nicht überfrachten.“

Wird Erinnerung an antifaschistischen Widerstandskämpfer ausgelöscht?

In der jüngsten Sitzung der Stadtfelder Gemeinwesenarbeitsgruppe (GWA) gab es jedoch auch kritische Stimmen, die sich gegen dieses Vorhaben aussprachen. Sie vermuteten, dass die Erinnerung an einen antifaschistischen Widerstandskämpfer ausgelöscht werden soll. Von „Geschichtsvergessenheit“ war unter anderem die Rede.

Dabei handelt es sich aber um eine schlichte Namensgleichheit. Denn im Online-Lexikon Wikipedia gibt es tatsächlich einen Erich Scharf. Das 1943 bei Kämpfen im Kaukasus gefallene Thüringer KPD-Mitglied hat mit seinem Namensvetter aus Magdeburg aber nichts zu tun. Und auch dessen vermeintlicher Heldenmut ist offenbar mehr als fragwürdig.

Die Legende vom geretteten Mädchen

Denn was hat es mit dem Stein und dem Mann, an den er erinnern soll, auf sich? Viele Jahre hielt sich die Legende, dass Erich Scharf, der direkt um der Ecke in der Immermannstraße gewohnt haben soll, ein kleines Mädchen vor dem Zusammenstoß mit einem Auto gerettet haben soll. Er selbst kam dabei aber tragischerweise ums Leben.

Für solch eine Heldentat wäre ein Gedenken durchaus gerechtfertigt – man denke nur an die Skulptur für den sowjetischen Soldaten Igor Belikow in der Ernst-Reuter-Allee. Er hatte dort 1969 ein kleines Mädchen mit seinem Mantel aufgefangen, das aus dem Fenster gefallen war.

Polizeibericht vom Unfalltag taucht nach Jahrzehnten auf

Im Fall von Erich Scharf handelt es sich aber offenbar um einen Fall von nachträglicher Geschichtsverklärung. Allein die Inschrift „...im Kampf um Deutschlands Einheit tödlich verunglückt“ widerspricht schon der Legende von der Rettung des Mädchens.

Wie die Volksstimme bereits vor einigen Jahren berichtet hatte, legen zwischenzeitlich entdeckte Dokumente nahe, dass sich der Unfallhergang weit weniger heroisch abgespielt hatte. Demnach gab es am 30. Mai 1948 eine Veranstaltung auf dem Olvenstedter Platz anlässlich des Volksbegehrens für die Einheit Deutschlands. Erich Scharf stand gegen 10.30 Uhr auf dem Trittbrett eines Lkw und verteilte Fähnchen. Als das Fahrzeug anfuhr, verlor er laut Polizeibericht ohne Fremdeinwirkung den Halt und fiel herunter. Er geriet unter den Lkw und wurde überrollt. Seine Kopfverletzungen waren tödlich. Von einem geretteten Kind ist in der Polizeiakte nichts zu lesen.

SED beantragt 1949 Umbenennung des Olvenstedter Platzes

Doch wie kam es nun aber dazu, dass Erich Scharf dennoch einen Gedenkstein erhielt? Christoph Volkmar, Leiter des Stadtarchivs Magdeburg, hat auf Anfrage der Volksstimme erneut im Bestand recherchieren lassen. Dabei stieß seine Mitarbeiterin Konstanze Buchholz auf einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 27. Oktober 1949, wie er berichtet. Dessen Inhalt: die Aufstellung des Gedenksteins.

Auf Antrag der SED-Fraktion sollte damals sogar der ganze Olvenstedter Platz nach Erich Scharf benannt werden. Trotz der einbringenden Partei folgte die Versammlung dem Antrag aber nicht, sondern beschränkte sich auf die Aufstellung eines Gedenksteins, eine „kleine Lösung“, wie es der Archivleiter formuliert.

Keine Aufzeichnung über die Aufstellung des Gedenksteins

„Der Gedenkstein wurde von der Bauverwaltung in Zusammenarbeit mit der Garten- und Friedhofsverwaltung entworfen und durch die Firma Steinmetzmeister Hunholdt im März 1950 angefertigt“, berichtet er weiter. „Es handelte sich also damals um ein offizielles städtisches Denkmal“, so Christoph Volkmar.

Terminvorschlag für die Einweihung war der 30. Mai 1950 gewesen, der zweite Todestag von Erich Scharf. „Allerdings gibt es in der Volksstimme um dieses Datum herum keinen Bericht zur Einweihung, möglicherweise hat sich diese verzögert“, erklärt er. Wann genau der Gedenkstein aufgestellt wurde, bleibt somit vorerst ungeklärt.

Gedenkstein wurde aus preußischem Kriegerdenkmal recyclet

Im Stadtarchiv gibt es dafür aber weitere Informationen zur Zusammensetzung des Gedenksteins, wie Christoph Volkmar erläutert. „Seine Form mutet ja etwas eigen an. Tatsächlich handelt es sich hier um einen Fall von Vergangenheitsrecycling. Es wurde kein neuer Stein gehauen, sondern das Mittelstück aus einem preußischen Kriegerdenkmal nachgenutzt“, beschreibt er.

Damit sei der heute am Olvenstedter Platz stehende Gedenkstein das letzte Fragment eines Denkmals für General Eduard von Fransecky (1807-1890) und seine Magdeburger Soldaten, die unter ihm im Deutsch-Deutschen Krieg von 1866 dienten, so Christoph Volkmar. Dieses Denkmal stand bis zum Jahr 1945 am Askanischen Platz.

Stadtplanungsamt und Kulturbüro sind nicht zuständig

Was den Verbleib oder die Entfernung des Gedenksteins angeht, gibt es Klärungsbedarf. Denn wie Stadtsprecherin Kerstin Kinszorra auf Volksstimme-Anfrage mitteilt, gibt es anscheinend derzeit niemanden, der dafür zuständig ist. Dieses „Kunstwerk“, wie sie es in Gänsefüßchen bezeichnet, sei nicht vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie kartiert und somit auch nicht im Denkmalverzeichnis eingetragen. „Es befindet sich weder in der Baulast des Sachgebiets Stadtgestaltung im Stadtplanungsamt noch in der des Kulturbüros“, teilt sie mit.

Somit erscheint der Gedenkstein aktuell als „herrenlos“, was eine mögliche Entfernung mutmaßlich vereinfachen könnte. Bis es soweit ist, wird es noch dauern. Die Umgestaltungspläne für den Olvenstedter Platz werden erst noch konkretisiert, bevor sie vom Stadtrat beschlossen werden sollen. Erst dann ist klar, ob künftig noch Platz für Erich Scharf und seinen Gedenkstein sein wird.