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Forschung Guericke liegt nicht in Halle

Die Hoffnung auf erfolgreiche Suche nach den verschollenen Gebeinen des Magdeburger Sohnes Otto von Guericke hat einen Dämpfer erhalten.

Von Rainer Schweingel 14.06.2020, 05:00

Magdeburg/Halle l Nachdem vor zwei Jahren nach einer Recherche der Volksstimme bekannt wurde, dass sich unter Knochenfunden an der Johanniskirche in Magdeburg auch die Gebeine des großen Sohnes der Elbestadt befinden könnten, hatten die Spekulationen über den Verbleib der Überreste neue Nahrung erhalten.

1997/98 waren bei Grabungen an der Johanniskirche Knochenhorte gefunden und zur Aufbewahrung in das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie nach Halle gebracht worden. Dort lagern sie in mehr als 300 Kisten – weitgehend unerforscht. Hintergrund sind unter anderem Kosten und der Umstand, dass die Johanniskirche und ihr Umfeld über Jahrhunderte Begräbnisort war. Ein besonderes archäologisches Interesse bestand deshalb an der Untersuchung der Überreste nicht. Es gab einfach keine Hinweise auf untersuchenswerts Material.

Das änderte sich vor zwei Jahren, als die Otto-von-Guericke-Gesellschaft aufgrund eigener Recherchen Guerickes Gebeine unter diesen Knochenresten in den Kisten in Halle vermutete. Nach einer Debatte im Stadtrat setzte die Stadt eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Stadtarchivs und unter Beteiligung von Landesdenkmalamt, Guerickegesellschaft und Magdeburger Museen ein. Die wiederum hat nun Ergebnisse vorgelegt.

Magdeburgs Kulturbeigeordneter Matthias Puhle, selbst ein großer Mittelalterexperte: „Die im Landesamt aufbewahrten Gebeine aus archäologischen Untersuchungen in der Johanniskirche 1997/98 stehen nicht im Zusammenhang mit Otto von Guericke.“ Anlass dafür seien die Zeitstellung der romanischen Friedhofsfunde und die anthropologisch-archäologischen Daten zu den Funden in der Guericke-Alemann-Gruft, hieß es weiter. Übersetzt heißt das: Die gefundenen Knochenreste stammen aus dem 12. und 13. Jahrhundert und damit weit vor der Lebenszeit von Guericke im 17. Jahrhundert.

Zudem habe es zwischen 1716 und 1719 eine Umbettung von Guerickes sterblichen Überresten aus der Johanniskirche in die Nikolaikirche am Domplatz durch dessen Enkel Leberecht von Guericke gegeben. Guerickes Gebeine können also nicht unter den Knochenfunden sein, die 1997/98 an der Johanniskirche geborgen wurden.

Damit könne auch ausgeschlossen werden, dass sich die sterblichen Überreste Otto von Guerickes im Landesamt Depot in Halle befinden. Puhle schlussfolgert daraus: Weitere Untersuchungen wie etwa DNA-Analyen würden sich damit erübrigen.

Wo aber sind dann die Gebeine des großen Stadtvaters? Der Bericht geht davon aus, dass die Überreste 1807 während der französischen Besatzung vor den Toren der Stadt an unbekanntem Ort beigesetzt wurden, möglicherweise auch einfach nur verscharrt wurden. Jüngste Forschungen vermuten die Gebeine irgendwo im Osten der Stadt im Bereich des Cracauer Angers oder in der Altstadt vor dem Sudenburger Tor. Die Stiftskirche St. Nikolai am Domplatz, in der sich die Ruhestätte Guerickes befand, war damals unter Napoleon zu einem Lazarett umfunktioniert worden. Heute stehen dort das Hundertwasserhaus und die Nord LB.

Archäologische Untersuchungen 1907/08 hatten die Guerickegruft in der Kirche nur noch „ausgeräumt“ vorgefunden. 1959 wurde die Kirche abgerissen und der Standort seither mehrfach neu bebaut. Puhle: „Es bestehen somit keine Erfolgsaussichten für weitere Untersuchungen in der Johanniskirche, da Guerickes Gebeine hier nicht zu vermuten sind." Eine Suche nach den Gebeinen an den vermuteten Bereichen im Osten der Stadt oder vor dem Sudenburger Tor, an denen Napoleons Truppen die Überreste vergraben haben sollen, sei nicht umsetzbar. Man wisse ja nicht, wo man suchen solle und was überhaupt noch vorhanden sei, so Puhle. Guerickes Überreste dürften also nur noch durch einen Zufallsfund ans Licht kommen.

Die neu gewonnenen Erkenntnisse zu den Spuren Otto von Guerickes sollten somit einen vorläufigen Endpunkt hinter eine jahrhundertelange Suche setzen, erklärt Puhle. Sie können aber genutzt werden, um die Johanniskirche und die dortige Gedenkstätte für Otto von Guericke als herausragende Erinnerungsorte Magdeburgs weiter zu profilieren und ihre Bedeutung für die Stadtgeschichte zeitgemäß zu vermitteln.

Zum 400. Jahrestag der Stadtzerstörung im Dreißigjährigen Krieg sei für das Jahr 2031 ein Gesamtkonzept geplant, in das eine Aufwertung der Otto-von-Guericke-Gedenkstätte in der Johanniskirche sowie Infotafeln am ehemaligen Standort der Nikolaikirche am Domplatz einfließen könnten.

Die neuen Erkenntnisse werden nun im Kulturausschuss am 1. Juli und Anfang September im Stadtrat behandelt.