Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Geldschein aus dem Auto: Die ersten Erlebnisse im Westen
Henk Henniges fuhr nach dem Mauerfall mit dem Moped in den Westen - und erlebte eine wilde Zeit. Heute ist er Magdeburg-Fan mit einer besonderen Beziehung zum Dom.

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Hier Henk Henniges.
Fragt man Henk Henniges nach seinem bis heute eindrucksvollsten Wenderlebnis, dann sitzt er gedanklich sofort wieder mit seiner Freundin auf dem knatternden Moped und fährt beschwingt und frierend aus Magdeburg heraus in Richtung Niedersachsen.
Er erinnert sich an alles bis ins kleinste Detail. „Es war der 12. November 1989 und wir wollten nach dem Mauerfall zum ersten Mal über die Grenze. Und das war wirklich ein absolut einzigartiges Gefühl.“ Viel Aufregung war da im Spiel, als sich der damals 17-Jährige und seine Sozia durch den Stau an den unzähligen Autos vorbeischlängeln – bis sie endlich „drüben“ sind. „Und dann hat uns eine fremde Frau aus dem Beifahrerfenster eines fahrenden Autos heraus einen Zwanzigmarkschein in die Hand gedrückt. Einfach so.“
Batman im Kino
Henk Henniges und seine Freundin investieren das geschenkte Geld in das „erste Wendeerlebnis“, wie er heute sagt. „Wir sind in Helmstedt ins Kino gegangen, haben uns jeder eine Dose Cola und Erdnüsse gekauft und uns den Film ‚Batman‘ angeschaut.“ Bis heute unvergessen.
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Drei Tage zuvor, am 9. November 1989, habe er noch ungläubig mit seinem Vater auf der Couch gesessen und die Geschehnisse an der innerdeutschen Grenze verfolgt. „Wir dachten uns, passiert das etwa wirklich? Wir hatten ja auch keinen Zugriff auf andere Medien um herauszufinden, ob das alles so stimmt.“ Erst drei Tage später habe er die Chance ergriffen, in Richtung Westen aufzubrechen. „Vorher haben wir auf der Brücke gestanden und mit großen Augen den Stau auf der A2 gesehen.“
Lehre zum Koch im Ratskeller Magdeburg
Zum Zeitpunkt des Mauerfalls hat Henk Henniges gerade eine Lehre zum Koch im Restaurant Ratskeller seiner Heimatstadt begonnen. „Ich wollte unbedingt zur See fahren und die Welt sehen. In der DDR ging das unter anderem, wenn du bei der Handelsmarine als Schiffskoch angeheuert hast“, erinnert sich der gebürtige Köthener, der schon als Baby nach Magdeburg kommt und im dörflichen Stadtteil Texas im Nordwesten aufgewachsen ist. „In der DDR ging’s uns als Familie gut, wir sind auch immer in den Urlaub gefahren. Ich war zur Wende ein Teenager und hatte bis dato nicht das Gefühl, irgendwie eingeschränkt zu sein.“
Zwischenstopp in Hotel in Bielefeld
Umbruch und Unsicherheit, so sagt Henk Henniges heute, habe er vor allem beruflich bemerkt. „Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen und dann ging‘s erst einmal für 2 Monate ab in die Arbeitslosigkeit.“ Nach einem kurzen Zwischenstopp in einem Vier-Sterne-Hotel in Bielefeld, kommt er 1992 nach Magdeburg zurück – um es bis heute nie wieder zu verlassen. „Ich muss den Dom sehen, dann bin ich Zuhause.“ Er baut 1994 für einen Bekannten erfolgreich einen der ersten Pizza-Lieferdienste in der Stadt auf. „Es lief gut und ich konnte endlich auch meinem Drang nachgehen, die Welt zu entdecken.“
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Amerika, Afrika, Asien und Europa – Henk Henniges reist bis heute viel und gern. „Und ich koche gern für Freunde und Familie.“
Für Radeberger Gruppe unterwegs
Seit 25 Jahren verantwortet der verheiratete Familienvater die Gebietsleitung für die national und international agierende Radeberger Gruppe mit Sitz in Frankfurt am Main. Deutschlands größte private Brauereigruppe umfasst rund 60 Biermarken und ist auch in der Getränkelogistik und im Getränkefachgroßhandel führend.
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Die Radeberger Gruppe ist Teil der Dr. August Oetker KG in Bielefeld. „Ich betreue seit 1999 als Gebietsleiter die Stadt Magdeburg und das nördliche und mittlere Sachsen-Anhalt“, erklärt Henk Henniges, der sich auch im Vorstand des Ersten Lions Club Magdeburg von 1990 engagiert. „Ich habe nach meiner abgeschlossenen Kochlehre noch in Vollzeit eine zweijährige Fachschule für Betriebswirtschaft und Englisch in Korrespondenz besucht und bin über eine Stelle als Disponent im Getränkefachgroßhandel in das Brauerei-Business gerutscht.“
Bisschen mehr deutsche Küche
Die Investitionen und die positive Entwicklung Magdeburgs seit der Wiedervereinigung habe er vor allem auf der gastronomischen Bühne erlebt. „Magdeburg ist richtig gut aufgestellt, auch wenn mir persönlich die deutsche Küche zu wenig am Markt vertreten ist. Aber das ist so ein Generationending.“
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Henk Henniges schätzt die „sympathische Größe“ seiner Heimatstadt sowohl beruflich als auch privat. „Magdeburg ist groß genug, um bei Bedarf anonym und ganz für sich zu sein, doch klein genug, um sich gut und nachhaltig vernetzen zu können.“