300 Jahre Stadtgeschichte Magdeburg-Werder: Unternehmen zwischen den Elbarmen
Im Sommer 1722 wurde der Werder, die Insel zwischen den Elbströmen, erstmals besiedelt. In einer Serie berichten die Heimatforscher Nadja Gröschner und Frank Kornfeld Interessantes aus der Geschichte des Werders. Am 16. Juli wird das Jubiläum mit einem Fest gefeiert.

Magdeburg - Im Jahr der Besiedlung 1722 kamen auch die ersten Ansiedler auf den Werder, um hier Gärten anzulegen. Der Werder entwickelte sich zum ersten Erholungsgebiet der Magdeburger. Später folgten dann auch erste Handwerksbetriebe. So auch die 1845 in der Altstadt gegründete Harmonikafabrik des Instrumentenbauers Friedrich Gessner.
Gessner entstammte einer angesehenen Magdeburger Musikerfamilie. Das Unternehmen nahm seinen Sitz in der Mittelstraße 11 und begann hier mit dem Handharmonikabau. Die Firma Gessner bestand bis zum Jahr 1919, dann wurde sie von der Firma Hohner übernommen und geschlossen.
Das größte Hemmnis für die Handharmonika auf dem Weg zum volkstümlichen Instrument war die unzureichende Bassbegleitung. Diesem Problem nahm sich ein Werderaner an, Carl Marschner. Der junge Carl Marschner absolvierte bei Gessner seine Lehre. 1909 bekam er seinen Meisterbrief im Instrumente- und Harmonikabau.
Bass-Mechanik aus Magdeburg für Harmonikas
Da seine Ideen zu einer Bassmechanik bei seinem Chef auf keine offenen Ohren trafen, machte sich Carl Marschner 1911 zusammen mit seinem Bruder Walter unter der Firmenbezeichnung „Gebrüder Marschner, Akkordeon-Bassmechaniken-Fabrik Magdeburg“ in der Gartenstraße 18 selbstständig.
In der kleinen Werkstatt wurden ohne Strom, mit einfachsten Maschinen die Teile bearbeitet. So musste die Ehefrau von Carl Marschner auf einem umgebauten Fahrrad treten, um den Dynamo für die Stromerzeugung anzutreiben. Pause bekam sie nur, um für die Belegschaft das Mittagessen zu kochen.
Während sich Walter um die kaufmännischen Belange des jungen Unternehmens kümmerte, tüftelte Carl intensiv an einer Bassmechanik auf der Basis der zwölf Grundtöne der Musik. In einem ersten Schritt gelang es ihm durch Druck eines Knopfes gleichzeitig drei Töne erklingen zu lassen, den Dur- und den Moll-Akkord. Er entwickelte diese Bassmechanik so weiter, dass er durch das Spielen eines Knopfes den Septim-Akkord erzeugte. Noch heute basiert darauf das moderne Akkordeon.
Betrieb wurde 1972 verstaatlicht
1928 erhielt die Firma Marschner das Reichspatent „Bassmechanik für Handharmoniken“. In den 1920er Jahren lieferte Marschner 60, 80 bis zu 120 bässige Mechaniken weltweit aus. Mittlerweile war die Werkstatt in der Gartenstraße viel zu klein. Die Marschners kauften 1936 die ehemalige Ausflugsgaststätte „Werderschlösschen“ an der Alten Elbe. In den großzügigen Räumen wurde eine moderne mechanische Werkstatt eingerichtet.
Die Firma produzierte überwiegend Bassmechaniken, die für Klingenthal bestimmt waren. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs gingen Marschners Patente verloren. Nach 1945 wurden diese, die mittlerweile abgelaufen waren, an die Firma Hohner neu erteilt. Nach dem Tod von Carl Marschner 1958 übernahmen seine Söhne Wilfried und Rudi die Firma. Ende der 1960er Jahre war Wilfried alleiniger Firmeninhaber.
1972 wurde der Betrieb verstaatlicht. Wilfried Marschner wurde als Betriebsdirektor in seiner eigenen Firma angestellt. Von nun an wurden hauptsächlich für das Fernsehgerätewerk Staßfurt Leiterplatten hergestellt. Die Bassmechanikenproduktion wurde nach Klingenthal verlegt. In den 1980er Jahren stellte der Betrieb auf dem Werder seine Produktion ein, Wilfried Marschner ging in den Ruhestand.
Wo Karutz seine Anfänge hatte
Eine kuriose Geschichte zum Akkordeon: Als vor einigen Jahren ein Magdeburger in Schweden Urlaub machte, wurde er eines Abends von seinem Vermieter, einem blonden, großen Schweden, mit den Worten: „Komm runter, ich will heute Abend auf dem ,Magdeburger‘ spielen“ angerufen. Voller Ehrfurcht ging der Magdeburger zum Schweden, nichts Gutes ahnend. Als dieser dann gemütlich auf dem Stuhl mit seinem Akkordeon saß, klärte der Schwede den Urlauber darüber auf, dass das Akkordeon in Schweden „Magdeburger“ heißt. Leider konnte bis heute nicht genau geklärt werden, warum das so ist.

Eine weitere bekannte Magdeburger Firma, die sich auf dem Werder niedergelassen hatte, war die Firma Karutz. Wilhelm Karutz hatte 1837 in der Stephansbrücke im Knattergebirge sein Reinigungsunternehmen gegründet. Als Erstes führten sie das chemische Reinigen von Textilien ein. Durch eine Unachtsamkeit brannte die Firma nieder und die Genehmigung zum Wiederaufbau an alter Stelle wurde nicht erteilt. Darum erwarb der Firmenbesitzer ein Grundstück auf dem Werder, Weidenstraße 7, und ließ es bebauen. Fast 30 Jahre, von 1873 bis 1902, hatte Karutz hier ihren Stammsitz. Danach zogen sie auf ihr neues Fabrikgelände an der Diesdorfer Straße.
Das Gebäude auf dem Werder übernahm die Firma „Dornemann & Co ,Kunstgewerbliche Werkstätten-Messingschriftgießerei-Ferrotypengießerei und Gravuranstalt‘“.
Stempel-Tietze war auf dem Werder ansässig
Anfang der 1920er Jahre wurde unter der Leitung des bekannten Leipziger Architekten Hans Böhme das Gebäude im Stil des Neuen Bauens umgestaltet. Bis Anfang der 1970er Jahre war die Firma Dornemann hier ansässig. Danach firmierte hier der VEB Prägeschriften und Gravuren, später dann ein Betriebsteil der Volksstimme, in der Wendezeit kurzzeitig die Prägeschriften GmbH.
1992 kaufte die Firma „Stempel-Tietze“ das gesamte Areal von der Treuhand. Auch diese Firma hat eine lange Tradition, gegründet wurde sie 1836. Seit 1936 war sie in Familienbesitz, 1972 erfolgte die Verstaatlichung unter dem neuen Namen „VEB Magdeburger Schilderfabrik“. Nach der Wende wurde die Firma wieder in den Besitz der Familie überführt.
Beachten Sie auch unseren Beitrag zu den Brücken im Bereich des Werders.
