Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Mit Video: Magdeburger Augenärztin - Zuhören und Empathie sind wichtig
Dorle Katrein Steinführer ist Augenärztin in Magdeburg. Wie sie die Wende und den Neustart in Magdeburg erlebte.

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Hier Dorle Katrein Steinführer, Augenärztin.
Wenige Wochen vor dem Mauerfall am 9. November 1989 ist Dorle Katrein Steinführer voll approbiert. Von da an darf sie als Ärztin arbeiten und in Praxen oder Kliniken tätig sein. Das Ziel der gebürtigen Schönebeckerin: Fachärztin für Augenheilkunde werden.
Video: Serie 35 Jahre Deutsche Einheit: Dorle Katrein Steinführer ist Augenärztin in Magdeburg
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Ihr Medizinstudium der Humanmedizin nimmt sie Anfang der 1980er Jahre in Leipzig auf, 1988 geht sie für ein praktisches Jahr am Ende ihres Studiums nach Elsterwerda, das heute in Brandenburg liegt. „Die dortige Klinik hat mich dann nach Hoyerswerda delegiert“, blickt die Augenärztin mit eigener Praxis in Magdeburg auf diese spannende Zeit des Umbruchs zurück. „Ich war Assistenzärztin in Ausbildung zur Augenärztin.“
Maueröffnung am Radio erlebt
In Hoyerswerda (heute Sachsen) und anderswo sind die Montagsdemos zu diesem Zeitpunkt auf ihrem Höhepunkt. „Ich war jung und interessiert und natürlich bin ich da auch hingegangen. Ich bin mitgelaufen, habe mir die Reden angehört und immer gemischte Gefühle gehabt.“
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Unter die Gewissheit, dass sich etwas ändern muss, mischen sich bei der jungen Ärztin auch immer wieder Irritation und Verunsicherung. „Die Änderung, die kommen musste, war unausweichlich. Ich stand voll hinter dem, was da auf den Demos thematisiert wurde.“ In ihrem spartanischen Zimmer im Schwesternwohnheim ist ein altes Radio damals die einzige Verbindung zur Außenwelt. „Als die Mauer aufging, saß ich vor diesem kleinen Ding.“
Kündigung und Rückzahlung des Gehalts
Dorle Katrein Steinführer wird, wie so viele andere, in den „Chaos-Strudel“ nach der Wiedervereinigung gerissen. „Ich erinnere mich, dass ich Anfang 1990 einen Brief von der Klinik in Elsterwerda bekommen habe. Es war meine Kündigung. Und die Aufforderung, alle gezahlten Monatsgehälter von je 560 Mark zurückzuzahlen.“ Ein Schock für die junge, engagierte Ärztin. „Sie wussten ja auch nicht, was kommt. Sie wollten mich als Kostenpunkt loswerden. Ich war komplett überfordert.“
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In dieser problematischen Zeit bewirbt sie sich „in alle Himmelsrichtungen“, wie sie sagt. „Ich bin dann in Magdeburg gelandet. Ich steckte damals in dem Sonderkonstrukt, von der Krankenkasse bezahlt zu werden. Ich brauchte eben nur einen Arbeitsvertrag.“
Mehr Konkurrenz unter den Ärzten
Im November 1991 setzt Dorle Katrein Steinführer ihre Facharztausbildung fort, sucht sich ein Promotionsthema und geht weiter ihren Weg. „Ich habe Mitte der 1990er Jahre promoviert“, berichtet die Medizinerin. „Ich wollte als Augenärztin immer meine operativen Ambitionen ausleben. Ich wollte in den OP, das war mein Traum damals.“ Die heutigen Probleme der fachärztlichen Unterversorgung hat es damals nicht gegeben. „Doch es gab mehr Konkurrenz, was für die Ärzte zur damaligen Zeit schwierig und herausfordernd war.“
An Klinik in Düsseldorf
Auf Dresden und Cottbus folgt das St. Martinus-Krankenhaus in Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen, wo Dorle Katrein Steinführer von 2002 bis 2013 als Oberärztin tätig ist. „Ich bin damals schon viel zwischen Schönebeck und Düsseldorf gependelt, weil es meinen Eltern immer schlechter ging und ich mich um sie kümmern musste.“
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Als sie zu Hause dringend gebraucht wird, kündigt sie fristlos ihre Düsseldorfer Stelle und kehrt nach Sachsen-Anhalt zurück. Sie schaltet eine Annonce, um wieder in Arbeit zu kommen. „Das war gleich ein Treffer. Wichtig war mir, weiter operieren zu können.“ 35 Jahre nach dem Mauerfall betreibt Dorle Katrein Steinführer gemeinsam mit Dr. Susan Schmitz eine renommierte Praxis für Augenheilkunde in der Magdeburger Innenstadt. „Wenn die Wende nicht gekommen wäre, wäre ich als Frau wohl nie an den OP-Tisch gekommen“, betont sie. „Rückwirkend muss ich sagen: Die Wende kam für mich zur richtigen Zeit.“
Tristesse ist verschwunden
Dr. Dorle Katrein Steinführer ist glücklich darüber, dass aus dem „Magdeburger Grau-in-Grau“ längst Helligkeit und Freundlichkeit geworden ist. „Überall, wo man hinguckt, gibt es Veränderung. Die Tristesse ist verschwunden.“ Der Rheinländer sei mehr der „leichtlebige“ Typ Mensch, der gemeine Sachsen-Anhalter mehr gradlinig und zuverlässig. Für das Zusammenwachsen von Ost und West hat die Augenärztin große Hoffnung. „Noch ist da einiges zu tun. Aber im Grunde richtet sich doch das alles nicht nach der Himmelsrichtung, oder?“
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Sicherlich habe es Lebensgeschichten voller Verlust und Scheitern gegeben. „Da darf man auch nicht drüber bügeln“, sagt sie. „Da braucht es Zuhören, Verständnis und Empathie. Dann klappt das. Und die junge Generation wächst doch schon ganz anders auf. Für die gibt es keine Grenzen.“