Straßenmusik Magdeburgs bekanntester Straßenmusiker Matthias Marggraff über Corona, Meinungsvielfalt und die Liebe zur Ostsee
Die Ostsee ist das Beste, was Deutschland zu bieten hat, findet Cellist Matthias Marggraff. Er lässt sich derzeit ein neues Cello bauen und hat erstmals schauspielerische Erfahrungen gesammelt. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam.

Volksstimme: Als Magdeburgs wohl bekanntester Straßenmusiker hast du dir in den vergangenen Jahren auch viele Engagements gesichert. Geht es für dich weg von der Straßenmusik?
Matthias Marggraff: Nein, Straßenmusik mache ich nach wie vor. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Es spielt sich auf der Straße einfach anders – du bist anders drauf, und das ist sowohl fürs Spielen als auch für die Psyche wichtig.
Was ist dir wichtiger?
Wenn eins von beidem wegfallen würde, wäre das nicht so toll. Mit der Straßenmusik bleibst du einfach im Fluss, kommst ins Gespräch mit lustigen Leuten. Für mich gehört beides dazu.
Du hast aber auch vor der Kamera gestanden.
Ja, Marcus Kaloff, ein Regisseur und ziemlich cooler Typ, hatte mir ein Skript zum Lesen gegeben. Dann waren wir in Diesdorf eine Runde spazieren und er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, eine bestimmte Rolle einzunehmen und den Soundtrack zu machen. Ich habe Ja gesagt. Und im Dezember 2020 habe ich den Soundtrack fertiggestellt.
Für den Film 'Scham und Schweigen' spiele ich einen abgerockten Cellisten, der nicht lesen und schreiben kann.
Matthias Marggraff, Cellist
Wen stellst du in diesem Film dar?
Für den Film „Scham und Schweigen“ spiele ich einen abgerockten Cellisten, der nicht lesen und schreiben kann. In die Rolle habe ich aber erst vor Ort so richtig gefunden. An den meisten Drehtagen musste ich mein Cello mitbringen und entweder richtig spielen oder so tun, als würde ich spielen. Die Premiere war im Cinemaxx. Das war schon ziemlich cool, und der Film ist auch ein wenig pikant.
Möchtest du dich in dieser Richtung weiterentwickeln?
Wenn jemand mal anfragt, vielleicht für eine Rolle, in der ich den Cellopart übernehme, das könnte ich mir vorstellen. Aber ich bin nicht so der Typ, der Texte auswendig lernt. Das ist deckungsgleich mit der Musik: Ich spiele nicht nach Noten, sondern improvisiere.
Wie hat Corona deine Arbeit verändert?
Durch Corona ist vieles unsicherer geworden. Es ging irgendwie, aber frag mich nicht wie. Positiv denken, locker bleiben, in die Natur gehen, weiter durchziehen, sich gesund ernähren. Ich glaube nicht, dass es da ein Geheimrezept gab. Ich habe nach wie vor Bookings gehabt. Ein Dauerzustand ist das aber nicht.
Corona ist ein emotionales Thema. Ich kann beide Seiten verstehen.
Matthias Marggraff
Wie siehst du die Pandemie-Beschränkungen?
Ich denke, impfen ist okay. Das sollte auch jeder machen. Aber alles dichtzumachen, ist falsch. Wenn nur noch Virologen entscheiden, halte ich das für einseitig. Aber Corona ist ein emotionales Thema. Ich kann beide Seiten verstehen. Nicht nur Künstler sind hart getroffen, viele mussten ihr Backup verballern. Das Schwierigste ist aber nicht einmal nur der finanzielle Aspekt. Die ganze Kreativität geht flöten, wenn du nicht aktiv bist. Bestimmte Dinge kannst du nicht zu Hause üben, sondern musst sie permanent auf der Bühne bringen. Ich finde auch harte Meinungen in Ordnung, aber manche streiten sich wie die Kesselflicker.
Was meinst du damit?
Du vertrittst nicht meine Meinung, deshalb werfe ich dich aus meiner Freundschaftsliste. Cancel Culture ist schädlich und nicht zielführend. Nach rechts muss man sich klar abgrenzen, aber ansonsten ist es doch normal, dass man nicht in allem einer Meinung ist. Irgendwann wird Corona weniger relevant, dann wäre es doch schade, wenn Freundschaften daran zerbrochen wären.
Wo macht man als Magdeburgs bekanntester Straßenmusiker eigentlich Urlaub und ist das Cello dann immer mit dabei?
Ich war auf Hiddensee und auf Rügen. Vorrangig habe ich dort Urlaub gemacht, aber auch hier und da mal gespielt. Konzertbuchungen hatte ich dort leider nicht. Aber einfach irgendwo hinsetzen und mal ein bisschen Krach machen, das schon. Ich bin in Mecklenburg-Vorpommern geboren, zwar nicht an der Küste, aber die Ostsee ist in Deutschland die Krönung. Baden, Meer, Bernsteine suchen, das war der Knaller. Auch Hiddensee hat mir sehr gefallen.
Archäologische und Forschungsveranstaltungen interessieren mich besonders.
Matthias Marggraff
Du hast von Veranstaltungen in Verbindung mit Reisen erzählt. Welche Veranstaltungen haben dich denn schon wohin geführt?
Dieses Jahr war ich in Belgien, bei einem Event von der Landesvertretung Sachsen-Anhalt. Ansonsten gibt es von Hochzeiten bis zu Fachvorträgen bis hin zu Firmenmeetings viele Dinge. Archäologische und technische Forschungsveranstaltungen interessieren mich besonders.
Das heißt, du hörst dir die Vorträge mit an?
Wenn man es nur für das Geld machen würde, dann hätte man schon verloren. Mich interessieren auch die Vorträge.
Du hast schon von Erfahrungen erzählt, bei denen Leute dir ein Engagement angeboten haben und quasi mit Öffentlichkeit bezahlen wollten.
Ja, aber das hat stark abgenommen, dank explizitem Hinweis auf meiner Website. Aber manche haben eine komische Vorstellung von Künstlern in der Richtung: Arm, aber sexy. Ich selbst habe auch schon manches Mal gedacht, dass dieser oder jener Auftritt eine coole Referenz wäre, aber im Zweifel trotzdem abgelehnt, wenn es keine oder keine gute Gage gab. Ich gehe ja auch nicht zu Kaufland und möchte meine Einkäufe umsonst oder für die Hälfte haben. Equipment kostet Geld. Es sollte heute selbstverständlich sein, dass Künstler von ihrer Kunst auch leben können müssen.
Was ist das für ein Cello, das du dir bauen lässt?
Ich habe viel rumrecherchiert und bin auf einen ziemlich krassen Typen gestoßen, der sehr openminded ist. Die meisten Carboncello-Bauer lassen über Basics mit sich reden, aber über mehr eben nicht. Und ich bin auf der Suche nach einem ganz speziellen Sound. Der Cellobauer in Belgien, Tim, hat mir noch keinen Wunsch abgeschlagen.
Mein favorisierter Klang ist eher scharf und transparent, tendenziell wie eine Gambe.“
Matthias Marggraff
Wie würdest du diesen speziellen Klang beschreiben?
Mein favorisierter Klang ist eher scharf und transparent, tendenziell wie eine Gambe.
Und wie sieht es mit CDs aus, wenn man dich auch zu Hause hören möchte?
Es gibt viele Leute, die sagen: Bring mal etwas Neues raus. Aber das kannst du nicht übers Knie brechen. Wenn ich ein Album rausbringe, will ich mich nicht hetzen lassen. Ich habe noch nicht den einen adäquaten Weg für Aufnahmen gefunden. Es gibt ein paar CDs. Die sind aber nicht deckungsgleich mit der Straßenmusik. Auf der Straße spielst du einfach anders.
Welche Pläne hast du für das neue Jahr?
Durch die Corona-Pandemie kann ich nicht viele Pläne machen. Es wird mit der Straßenmusik weitergehen, und ich hoffe, dass sich der Kalender nach und nach füllt. Man kann nicht fett in die Planung gehen. Das neue Cello wird Zeit brauchen, um es einzustellen und einzuspielen. Es gibt tausend Sachen, um die du dich kümmern musst, wenn du einen guten Sound haben möchtest. Ansonsten gern Buchungen, alles außer AfD, optimistisch bleiben, seinen Standpunkt vertreten und gesund leben.
Weitere Informationen zu Matthias Marggraff alias Prypjet Syndrome gibt es hier und hier.