Nach Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburgs Oberbürgermeisterin über den Prozess gegen den Attentäter Taleb A.: „Es war kaum auszuhalten“
Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris schildert ihre bewegenden Eindrücke aus dem Prozess gegen den Attentäter des Weihnachtsmarkt-Anschlags. Warum sie den Täter unbedingt sehen wollte – und was dieser Moment für sie bedeutete.

Magdeburg. - Auf dem Weg ins Rathaus wird Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris täglich an jenen 20. Dezember 2024 erinnert – den Tag des Attentats auf den Weihnachtsmarkt. Doch in diesen Wochen beginnt die schmerzliche Erinnerung bereits vor ihrer Haustür: Der Hubschrauber, der den Attentäter Taleb A. zu den Verhandlungsterminen bringt, landet ganz in der Nähe ihres Wohnhauses. Polizeisperren und Sicherheitskräfte säumen die Straßen – ein ständiger Hinweis auf die Dimensionen der verhängnisvollen Tat.
Am Mittwoch, dem 18. November, entschied sich Borris, den Täter selbst zu sehen und nahm an der Verhandlung teil.
„Ich wollte mindestens einmal diesem Menschen, der uns so viel Schmerz bereitet hat, gegenüberstehen“
Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris
Als Oberbürgermeisterin Simone Borris den Gerichtssaal betrat, tat sie das nicht nur in ihrer politischen Funktion. Sie kam als Mensch, als Magdeburgerin – und als jemand, der das Unfassbare mit eigenen Augen sehen wollte. „Ich wollte mindestens einmal diesem Menschen, der uns so viel Schmerz bereitet hat, gegenüberstehen“, sagt sie.
Der Moment, in dem sie Taleb A. erblickte, habe sich tief eingeprägt. „Ich hatte eine gute Blickachse auf ihn.“
Ein Prozess, der viel Kraft kostet
Eine Erfahrung, die sie, wie sie betont, „nur ein einziges Mal“ machen möchte. Der Blick sei notwendig gewesen, aber kaum zu ertragen. Neben ihr saß eine Krankenschwester, auch sie zum ersten und vermutlich zum letzten Mal im Saal. Beide spürten in diesem Augenblick: Dieser Prozess kostet Kraft – mehr, als man vorher ahnt.
An diesem Verhandlungstag sagten Mitarbeiter des Gesundheitswesens aus, jene, die unmittelbar nach dem Anschlag Hilfe geleistet hatten. Was sie berichteten, sei zutiefst bewegend gewesen, erzählt Borris. Der Angeklagte hingegen verlor sich immer wieder in „Detaildeutungen“, verzerrte, rechtfertigte. Für die Oberbürgermeisterin war es „unerträglich, wie dieser Mensch dort seine Aussagen tätigt“. Für die Betroffenen im Saal müsse es erst recht kaum auszuhalten gewesen sein.
Rechtsstaatlichkeit unter extremen Bedingungen
Gleichzeitig habe sie ein Aspekt besonders beeindruckt: der Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit. Dass der Angeklagte Zeugen befragen darf, gehört dazu – auch wenn, wie Borris sagt, diese „Fragen“ kaum als solche zu erkennen waren. „Er hat weniger gefragt, als vielmehr Statements abgegeben“, Anschuldigungen und Rechtfertigungen, mit denen er sich selbst in ein anderes Licht zu rücken versuchte.
So schwer die Minuten im Saal auch waren, sie machten für Borris eines deutlich: Rechtsstaatlichkeit ist mitunter schmerzhaft. Sie verlangt, dass man Dinge aushält, die man nicht aushalten möchte. Während Taleb A. sich in Szene setzt, müssen diejenigen zuhören, die sein Handeln überlebt haben.
Der Blick auf den Angeklagten, die Atmosphäre, die Konfrontation mit diesem Kapitel – all das sei belastend. Und doch, so zitiert Borris auch Ministerpräsident Rainer Haseloff, der am Mittwoch bei der Würdigung der Rettungskräfte sprach: „Das müssen wir aushalten.“
Magdeburgs Verantwortung für die Betroffenen
Der Prozess liege nicht in der Verantwortung der Stadt, betont sie. Er sei Sache der Justiz. Doch Magdeburg trage eine andere Verantwortung: die Betroffenen zu unterstützen. Das Familieninformationsbüro diene dabei als zentrale Anlaufstelle, gerade auch jetzt nach den ersten ausgezahlten Unterstützungsleistungen. Dort erhielten Betroffene Orientierung in dem „Wirrwarr an rechtlichen Möglichkeiten“, erklärt Borris.
Gemeinsam mit der Opferbeauftragten arbeite man daran, „Licht in den Tunnel zu bringen“ und praktische Hilfsangebote zu bündeln. Ihren Besuch im Gericht wolle sie ausdrücklich nicht als Bewertung des laufenden Verfahrens verstanden wissen. Es sei eine persönliche, notwendige Erfahrung gewesen – ein Blick auf den Menschen, der diese Tat begangen hat.