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  7. Mit dem Wünschewagen auf den Weihnachtsmarkt Magdeburg: Großer Wunsch einer sterbenden Frau erfüllt

Wünschwagen Ein letzter Wunsch wird Wirklichkeit: Emotionale Reise zum Weihnachtsmarkt

Der ASB-Wünschwagen in Sachsen-Anhalt erfüllt die letzten Träume von Todkranken. Ein berührender Bericht über einen Weihnachtsmarktbesuch, der zeigt, wie kleine Gesten große Freude bringen können.

Von Bernd Kaufholz Aktualisiert: 23.12.2023, 10:48
Mit dem Wünschewagen noch einmal auf den Weihnachtsmarkt: Sybille Leitel (r.) mit Tochter Anke Kählert (l.) sowie den ASB-Wunscherfüllernfüllern Simone und Holger Frank auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt.
Mit dem Wünschewagen noch einmal auf den Weihnachtsmarkt: Sybille Leitel (r.) mit Tochter Anke Kählert (l.) sowie den ASB-Wunscherfüllernfüllern Simone und Holger Frank auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. ASB

Magdeburg - Die Seele von Sybille Leidel war gespalten. Auf der einen Seite wollte die 74-Jährige „noch mal raus“ aus den eigenen vier Wänden, wo sie aufgrund von unheilbarem Mittelohrkrebs seit Längerem palliativ gepflegt wird. Am liebsten noch einmal gemeinsam mit ihrer Tochter Anke Kählert die Atmosphäre auf dem Weihnachtsmarkt aufsaugen.

Ein letzter Herzenswunsch: Noch einmal auf den Weihnachtsmarkt

Auf der anderen Seite hatte sie Scheu vor der Menschenmenge. Deshalb wollte die Haldensleberin auch nicht bei einbrechender Dunkelheit und dem damit verbundenen Ansturm von Weihnachtsmarktgästen nach Magdeburg.

Da der Krebs auch ihren Gesichtsnerv angegriffen hat und ihr das Schlucken erschwert, wollte die Haldensleberin eigentlich auch gar nichts essen und trinken („Das will ich den Menschen um mich herum nicht zumuten. Vielleicht gucken sie komisch?“).

Emotionale Momente teilen

Doch die Bedenken lösten sich am 30. November zwischen Glühweinduft, bunten Lichtern, Kinderlachen und Weihnachtsmusik nach und nach auf. Der Besuch mit dem „Wünschewagen“ des Arbeiter-Samariterbundes (ASB) wurde für die Kranke ein „Ausflug für die Sinne“: Gerüche, Bilder (trotz des unscharfen Sehens durch den angegriffenen Nerv).

Und sogar beim Schmalzgebäck griff Sybille Leidel letztlich zu. Die Haldensleberin und ihre Tochter genossen die Geborgenheit durch die drei Wunscherfüller Simone und Holger Frank sowie Michaela Seifart und deren Gelassenheit.

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Nachdem Mutter und Tochter sich viel Zeit genommen hatten, Weihnachtsgeschenke auszusuchen, verabschiedeten sie sich mit den Worten: „Wir hätten nicht gedacht, dass völlig fremde Menschen so emphatisch sein können und man so schnell das Gefühl bekommt, dass man mit Freunden unterwegs ist.“

Engagement des ASB

Luisa Garthof koordiniert seit der ersten Tour des Wünschwagens vom ASB Sachsen-Anhalt die Touren mit den Sterbenskranken. Sie sagt: „Ich wünsche mir ... – drei Worte mit großer Bedeutung. Der ,Wünschwagen’ erfüllt Menschen ihren letzten Wunsch. Ganz gleich wie alt der Gast und wie groß der Wunsch ist.“

Es meldeten sich fast je zur Hälfte Angehörige für ihre kranken Familienmitglieder beziehungsweise Ärzte, die ihre Patienten bis zum letzten Schritt begleiten.

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„Die Philosophie, die hinter dem ,Wünschwagen’ steht, ist, den Menschen wenigstens für kurze Zeit ihre Krankheit vergessen zu lassen“, so die 40-Jährige.

Seit fünf Jahren bietet der ASB mit seinen sieben Außenstellen in Quedlinburg, Halberstadt/Wernigerode, im Saalekreis, in der Altmark, in Halle/Bitterfeld, Bernburg-Anhalt, Magdeburg, im Salzlandkreis, Burgenlandkreis und in Mansfeld-Südharz Fahrten an. Und seit 2018 hat das speziell ausgestattete Mobil bei 682 Fahrten mehr als 115.000 Kilometer zurückgelegt.

Die Kraft der Gemeinschaft

Anlässlich des „Wünschewagen“-Jubiläums würdigte der Schirmherr des Projekts, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, das Engagement der über 120 ehrenamtlichen „Wünschewagen“-Betreuer mit der Ehrenmedaille des Landes: „Sie sorgen mitgroßem Einfühlungsvermögen dafür, dass sie schwerstkranken Menschen noch einmal Freude empfinden können. Ihr Engagement hilft auch den Angehörigen und verdient höchste Anerkennung.“

Luisa Garthof spricht von „vielen berührenden Momenten“ während der Fahrt mit dem „Wünschewagen“.

Wunscherfüllerin Martina Rieger aus Halberstadt weiß: „Die Dankbarkeit der Fahrgäste und ihrer Angehörigen ist sehr groß.“ Und das mache auch etwas mit ihr: „Ich komme jedes Mal mit einem richtig guten Gefühl nach Hause.“

Für Sybille Leidel und ihre Tochter wird der Besuch des Magdeburger Weihnachtsmarktes ein unvergessliches Erlebnis bleiben, von denen Mutter und Tochter so lange es noch geht, zehren werden.

Der Wünschewagen des ASB: 237 Fahrten in fünf Jahren

166 Wunschanfragen hat es 2023 gegeben (2022: 130). Durchgeführt wurden 63 (48). Geplant sind 5 Fahrten.

Seit dem Start 2018 waren es 237 Fahrten.

Der Altersdurchschnitt liegt bei 63 Jahren, der Jüngste war 5, der Älteste 99 Jahre alt.

Die häufigsten Ziele: Fahrt ans Wasser, Familienausflug und Besuch bei Freunden, Fahrten zu Familienfesten, wie Hochzeit.