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Momentaufnahme Besuch in Klein-Rumänien in Magdeburg

Im Stadtrat schildern Magdeburger unhaltbare Zustände an zwei Plätzen, vor allem abends und nachts. Die Volksstimme besuchte die Orte.

Von Katja Tessnow 23.08.2018, 12:38

Magdeburg l „Bürger fürchten immer mehr No-go-Areas – OB Trümper als Weltmeister im Abwiegeln“, so übertitelt der erst unlängst für die Alternative in den Stadtrat Magdeburg nachgerückte AfD-Stadtvorsitzende Ronny Kumpf eine Stellungnahme zur jüngsten Bürgerfragestunde im Rat. Konkret beklagen dort zwei Magdeburger – ein junger Familienvater und ein Rentner – Lärm und Müll am Wormser Platz in Sudenburg und im Neustädter Viertel nahe dem Moritzplatz.

Die Abende sind lang und warm, für einen Ausflug an die Orte des Geschehens bestens geeignet, denkt sich die Autorin. Der achtjährige Sohn fragt, ob er mit darf. Warum nicht? Momentaufnahmen eines Abendspaziergangs durch zwei Magdeburger Viertel.

Einstimmung in Sudenburg, 21.30 Uhr
Auf dem Wormser Platz an der Wolfenbüttler Straße – er grenzt unmittelbar an Wohnblöcke an – stehen Klettergerät, Sandkasten, Tischtennisplatte, Bänke – eine überschaubare Spielplatzlandschaft. Das Leben im Straßenzug ist fast eingeschlafen als die Abendsonne sich zum Untergehen anschickt.

Der Spielplatz ist noch nicht verwaist. Zwei Frauen mit Kopftüchern haben sich am Rand auf einer Picknickdecke niedergelassen. Sechs Kinder – geschätzt zwei bis sechs Jahre alt – spielen im Sand und an den Geräten. Viel Geräusch machen sie nicht.

Mein Sohn spielt eine Weile mit und befindet den Spielplatz als sauber. Ich sehe ein paar Zigarettenkippen, das war’s.

Eine Verständigung mit den anderen Spielplatzgästen ist nicht möglich, sie sprechen weder Deutsch noch Englisch und danach enden meine Sprachfähigkeiten.

Guten Abend! Die Kinder winken. „Ist doch alles in Ordnung hier“, sagt mein Sohn, aber natürlich – das erkläre ich ihm – ist das nur eine Momentaufnahme.

Wir fahren also weiter nach Neue Neustadt und müssen das Viertel, das hier im Zentrum massiver Anwohnerkritik steht, nicht lange suchen.

Hinter der Grünstraße in Neue Neustadt, 22 Uhr
Im von unsanierten Plattenbauten umstellten Carré zwischen Grün- und Haldensleber Straße herrscht Hochbetrieb. Auf der Straße trifft sich eine ausschließlich ausländische Gemeinde – Ausstieg in „Klein-Rumänien“.

Auf den Straßen und Plätzen haben sich Menschengruppen versammelt. Hinterm Sperrmüllhaufen unterhalten sich rund ein Dutzend Frauen. An Straßenecken und am Fahrbahnrand, auf Kofferhauben gelehnt, auf Bordsteinen sitzend, rund um Laternenmasten versammelt, stehen Gruppen aus entweder Männern oder Frauen – in der Regel getrennt – gemischten Alters.

Viele Kinder aller Altersgruppen sind auf der Straße. Der ans Viertel angrenzende Spielplatz im Hinterland des Gesundheitsamtes an der Lübecker Straße ist nach Sonnenuntergang proppevoll. Mein Sohn macht auch hier den Spieltest, ist aber schnell wieder bei mir zurück.

Auch hier ist kein deutsches Wort zu hören. Eingewanderte Familien bleiben unter sich. Er habe sich da halt „ein bisschen einsam“ gefühlt.

Mein Sohn ist überrascht vom ungewohnten Anblick, aber nicht ängstlich. Als wir Hand in Hand durch die Straßen spazieren, werden wir mehr oder weniger wahrgenommen, hier gegrüßt, da ignoriert, aber nirgends belästigt oder bedroht.

Die Stimmung ändert sich etwas, als ich den Fotoapparat in Anschlag bringe, um die Szene – auf Abstand, kein Mensch in Nahaufnahme – im Bild festzuhalten. Während sich auf dem Wormser Platz kein Mensch daran störte, kommt in Neustadt sofort ein Mann auf mich zu, gestikuliert mit den Händen, „keine Fotos“, verstehe ich und sonst kein Wort. Eine Frau stößt hinzu, dann noch ein paar Kinder. Von allen Seiten richten sich Blicke auf uns.

Von einem Balkon – FCM-Fahne an der Brüstung – brüllt einer der offenbar letzten einheimischen Bewohner des Blocks: „Das ist ein freies Land. Machen Sie hier ruhig Fotos!“ Der Mann hat schon recht, denke ich bei mir, aber sein Tonfall irritiert. Er ist sehr aggressiv, wenn auch nicht gegen mich gerichtet und genau wie die hochempfindliche Reaktion der Rumänen auf den Fotoapparat, eine Botschaft auf die offenbar große Spannung, die hier haarscharf hinter der Fassade gelassen-südlichen Nachtlebens zwischen Zugezogenen und Einheimischen permanent auf der Straße liegt.

Am Ende erlösen uns rumänische Kinder aus der misslichen Lage. Sie sprechen fließend Deutsch. Ein Mädchen, vielleicht zehn, bittet mich fordernd: „Kann ich die Fotos mal sehen?“ Ich habe nichts zu verbergen und scrolle mich vor den Kinderaugen auf dem Display durch die Aufnahmen. Die Augen des Mädchens hellen sich auf: „Ihr Sohn?“ Ich nicke; zum Glück habe ich auch ihn fotografiert.

Das erklärt das Kind den umstehenden Erwachsenen. Der Mann hebt die Hände zu einer entschuldigenden Geste, die Frau entfernt sich zeternd – Situation bereinigt. Angenehm war sie nicht. Dass ich Journalistin bin, habe ich bewusst nicht erwähnt. Ich will das Viertel erleben, wie es sich für Ottonormal anfühlt.

Eine gewisse Skepsis vor der Fotokamera ist keine Eigenheit von Rumänen, sondern im Gegenteil auch unter Deutschen verbreitet. Allerdings stand hier zusätzlich das Verständigungsproblem im Raum.

Ein Kollege gesteht mir später, dass er da alleine besser kein Foto machen würde. Mag sein, dass ein deutscher Mann ohne das eigene Kind an der Hand und auf dem Speicherchip ein paar mehr Probleme als ich bekommen hätte – reine Spekulation.

Auf dem Rückweg zum Auto fragt uns ein rumänischer Junge, etwa im Alter meines Sohnes, was wir hier machen. „Spazieren gehen“, sage ich. Ich frage den Jungen, ob er nebenan zur Schule geht. „Ja“, sagt er. Sein Gesicht hellt sich auf: „Gute Schule. Meine Mutter geht auch da hin.“ Die Mutter steht neben uns und nickt freundlich: „Lernen Deutsch.“

Die Grundschule Am Umfassungsweg findet mit Elterncafé samt Sprachkurs Zugang zu den Familien. Die Rumänin ist begeistert davon und sagt: „Ich mag die Deutschen.“ Der Sohn sitzt auf dem Bordstein und sieht etwas traurig aus, als er hinterher setzt: „Aber viele Deutsche mögen uns nicht.“

Eine No-go-Area haben wir nicht gefunden, aber in Neustadt eine kleine Parallelwelt. Der Rentner, der sich im Rat beklagt, lebt seit 1977 mitten im Viertel und fühlt sich nicht mehr zu Hause. Als Spaziergängerin hat mich hier gar nichts schockiert, aber für den Kulturschock des betagten Anliegers habe ich Verständnis.