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Thema im Stadtrat Wenn Einsamkeit die Magdeburger krank macht

Einsamkeit betrifft nicht nur ältere Menschen, auch immer mehr jüngere leiden darunter. Die Landeshauptstadt Magdeburg will der Entwicklung entgegenwirken.

Von Sabine Lindenau 09.09.2023, 02:30
Ein Mann steht am Fenster seiner Wohnung (gestellte Szene). Einsamkeit ist ein Thema, das immer mehr Menschen betrifft. Ein junger Mann erzählt, was sie mit ihm gemacht hat.
Ein Mann steht am Fenster seiner Wohnung (gestellte Szene). Einsamkeit ist ein Thema, das immer mehr Menschen betrifft. Ein junger Mann erzählt, was sie mit ihm gemacht hat. Symbolfoto: dpa

Magdeburg - Er will nicht länger schweigen. Stattdessen redet Stefan Marquardt über das, was oft noch als Tabu-Thema gilt. In der Gesellschaft, aber auch bei den Betroffenen. Der 36-Jährige fühlt sich seit seinem 20. Lebensjahr einsam. Daran hat sich seit 16 Jahren nichts geändert. Im Gegenteil. Das Gefühl hat sich weiter verstärkt. Und ihn krank gemacht. Er leidet an Hypochondrie. Was bedeutet, dass seine Organe komplett gesund sind, er aber dennoch glaubt, schwer krank zu sein.

Magdeburger hat psychosomatische Störungen entwickelt

Seine psychosomatischen Störungen führt er auf seine Einsamkeit zurück. Sie hat den jungen Mann immer stärker in einen Sog aus Ängsten, Depressionen und Wut gezogen. Er hat angefangen, sich selbst zu verletzen. „Ich bin seit sechs Jahren in Behandlung, suche immer wieder Ärzte auf.“ Doch eine körperliche Diagnose gibt es nicht. Die Psychotherapie hilft ihm auch nur bedingt. Er sehnt sich danach, der Einsamkeit, die ihn krank macht, entkommen zu können.

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Stefan Marquardt hat in Magdeburg eine Selbsthilfegruppe geleitet: „Zusammen Einsamkeit verbannen“. Doch der Zuspruch sei so gering gewesen, dass es sie nicht mehr gibt. Es sei nicht untypisch für einsame Menschen, dass sie sich daheim verbarrikadieren und den Kontakt zur Außenwelt mehr und mehr meiden, sagt der 36-Jährige. Er macht es nicht. Er sucht Anschluss. „Aber die Leute sehen immer mein trauriges Gesicht.“ Und egal, ob bei Konzerten, im Restaurant oder beim Sport: Kontakte knüpft er kaum.

Magdeburger Verwaltung sucht nach Fördermöglichkeiten

Dass das Thema immer mehr Menschen betrifft, ist auch im Magdeburger Stadtrat bekannt. Er hat bei seiner Sitzung im April Oberbürgermeisterin Simone Borris beauftragt, „zu prüfen, ob und wie eine gesamtgesellschaftliche Strategie der Stadt Magdeburg gegen Einsamkeit ab dem Jahr 2024 im Dezernat Soziales, Jugend und Gesundheit umgesetzt werden kann“.

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Die Verwaltung hält die Idee, eine Fachstelle für Einsamkeit im Dezernat V zu errichten und über das Phänomen der Einsamkeit zu sensibilisieren beziehungsweise aufzuklären, grundsätzlich für gut. Doch sie gibt zu bedenken, dass dies Kosten und mehr Personal nach sich ziehen würde. „Dies ist aufgrund der angespannten finanziellen Haushaltslage derzeit nur mit Fördermitteln möglich. Hierfür wird die Verwaltung zukünftige Förderprogramme im Blick behalten“, informierte Jugendamtsleiterin Cornelia Arnold jüngst.

Besonderer Bedarf bei Senioren in Magdeburg

Sie sieht einen besonderen Bedarf für die Fachstelle Einsamkeit im Bereich der Seniorenarbeit. Junge Menschen hätten eher die Chance, ihre Einsamkeit zu bewältigen. Im Gegensatz zu Älteren, die aufgrund ihres Alters, gesundheitlicher Einschränkungen, abnehmender Mobilität und der stärkeren Fokussierung auf den Wohnort weniger Möglichkeiten und Ressourcen hätten.

Wie Arnold informiert, arbeite die Bundesregierung derzeit an einer Strategie gegen Einsamkeit. Geplant seien etwa bundesweite Kampagnen oder Aktionswochen, aber auch Programme zur Förderung und Linderung von Einsamkeit oder neue ESF-Förderprogramme. „Im Dezernat für Soziales, Jugend und Gesundheit könnte die Erarbeitung der Strategie gegen Einsamkeit beobachtet und entsprechenden Projektideen entwickelt werden, um zukünftig schnell auf Förderaufrufe reagieren zu können“, so die Jugendamtsleiterin.

Neue Gruppe „Denke nie an Hypochondrie“

Stefan Marquardt will nicht länger warten. Er wünscht sich, seine psychosomatischen Störungen loszuwerden und gründet nun eine neue Selbsthilfegruppe. „Denke nie an Hypochondrie“ soll sie heißen und auch unter dem Dach der Kobes Kontakt- und Beratungsstelle für Selbsthilfegruppen am Breiten Weg 251. Was ihm helfe, seien Achtsamkeitsübungen, die er in der Therapie gelernt habe. „Ich bin inzwischen soweit zu sagen, dass ich mich nicht mehr selbst verletzte.“ Er habe sich viel gekratzt, sogar Haare rausgerissen und sich die Zähne kaputt gebissen. „Einsamkeit macht viel kaputt, sie kann einen zerstören“, weiß Stefan Marquardt, den auch immer mal wieder Gedanken gequält haben, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch der Lebensmut sei immer größer gewesen. Er will die Hoffnung nicht aufgeben. „Nur kommt das Glück nicht, auch wenn man danach strebt“, sagt der 36-Jährige.

Im Stadtrat ist eine Fachstelle im September Thema.