Serie „Otto ist Einheit“ über 35 Jahre Wiedervereinigung Mit Video: Mutti, die Grenzen sind offen: Ein Magdeburger boxt sich nach der Wende durch
Ulf Steinforth ist Magdeburger durch und durch. Das Organisationstalent verwirft 1989 seinen Plan, in den Westen zu gehen. Stattdessen baut er ein Imperium auf und rettet nebenbei noch eine Biermarke.

Magdeburg - In einer Serie erzählen Menschen aus Magdeburg mit Ost- oder West-Hintergrund ihre Geschichte über Wiedervereinigung und Deutsche Einheit seit 35 Jahren. Hier Ulf Steinforth, Unternehmer, Bierretter und Box-Promoter.
Kurz vor dem 9. November 1989 sitzt Ulf Steinforth mit 22 Jahren in der westdeutschen Prager Botschaft, von deren Balkon aus Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 die Ausreisegenehmigung für DDR-Flüchtlinge verkündet hat. Auch er will raus aus der DDR, deren Regierung seine Brüder aus politischen Gründen inhaftiert und die die BRD freigekauft hat. Damals leben sie längst in Hamburg. „Ich wollte auch ausreisen, aber von Magdeburg aus. Ich war leidenschaftlicher Sammler und wollte so viele Stücke mitnehmen. Sie sollten mein Startkapital im Westen sein“, blickt der international erfolgreiche Box-Promoter und Brauereibesitzer mit einem Schmunzeln zurück.
Video: Serie 35 Jahre Deutsche Einheit: Ulf Steinforth
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Alles abgemeldet, nur die Wohnung noch nicht
Als sich in der Botschaft für ihn nichts nach seinen Wünschen entwickelt, geht er zunächst zurück in seine Geburtsstadt Magdeburg. Dann wird sein Ausreiseantrag genehmigt. Sein Ausreisedatum: 14. November 1989. „Ich hatte schon alles abgemeldet zum Glück, nur meine Wohnung noch nicht“, sagt Ulf Steinforth. Und dann öffnen sich die Grenzen. „Ich hab's erst gar nicht gerafft.“ Stunden später wird er zu seiner nachts arbeitenden und noch völlig ahnungslosen Mutter sagen: „Mutti, die Grenzen sind offen.“
Gigantischer Empfang im Westen Deutschlands
Als er diese Worte überglücklich ausspricht, sind seine damalige Frau und er gerade von einer ersten Stippvisite aus dem Westen zurück. „Als ich hörte, dass da was im Busche ist, sind wir ins Auto und Richtung Helmstedt gefahren.“ Da gibt es zu diesem Zeitpunkt weder Gedränge noch Stau. „Ich denke, ich war einer der ersten Zehn, die über die Grenze gegangen sind.“ Einen Tag später erleben Ulf Steinforth und seine Familie im Norden Westdeutschlands einen „gigantischen Empfang“, wie er sagt.
Ich gehe zurück nach Magdeburg
Doch für immer ist das alles nicht. Ulf Steinforth fasst einen Entschluss: „Ich gehe zurück nach Magdeburg und mache mich selbstständig. Gott sei Dank, hatte ich meine Wohnung noch.“, schmunzelt er. Mit Spiel- und Kondomautomaten erobert er erfolgreich das neue Deutschland. „Das war eine unfassbare Aufbruchsstimmung. Wir haben nicht 24 Stunden am Tag gearbeitet, sondern 38.“
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Ulf Steinforth, der geborene Macher, Manager und Organisator, denkt nie wieder darüber nach, Magdeburg zu verlassen. Lieber baut der gelernte Baumaschinist und dreifache Vater ein Box- und Bier-Imperium auf - und trägt den Namen Magdeburg in die Welt hinaus. „Ich hätte das alles im Westen niemals machen können.“
SES Boxing und einer Biermarke
Ulf Steinforth hat nach eigener Einschätzung in Magdeburg immer Unterstützung erfahren. „Vor allem von den Menschen hier. Sport bedeutet Identität, eine lokale Biermarke auch.“ Im Jahr 2000 gründet er Sport Events Steinforth, kurz SES Boxing, und legt damit den Grundstein für eine beispiellose Erfolgsgeschichte und Karriere. „Ich habe selbst nie geboxt, aber ich kann gut organisieren, kann Dinge auf die Beine stellen. Boxen ist wie ein Wanderzirkus, da bekommt man immer wieder Angebote.“
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Doch sein Talent für andere einsetzen, kommt nicht in Frage. In diesem Jahr feiert SES Boxing 25-jähriges Bestehen. Die Marke ist im Boxsport eine Wucht, das Renommee riesig. Ein „Coup“, der Ulf Steinforth im Jahr 2014 auch mit der Wiederbelebung des Sudenburger Brauhauses gelungen ist. Seitdem begeistert die lokale Brauerei mit gut etablierten Nischenprodukten und schafft eine Verbindung zur Stadt und den Menschen.
Noch nie im Osten? Da fasst man sich doch an den Kopf
Wenn er unterwegs ist und teils elitäre Veranstaltungen des Spitzensports besucht, erlebt er oft das: „Es gibt tatsächlich noch Leute, die sind nach 35 Jahren noch nie im Osten gewesen. Da fasst man sich doch an Kopf!“ Die Entwicklung seiner Herzensstadt sei „mega“. „Magdeburg ist meine Perle“, sagt Ulf Steinforth, der auch Mitglied des Stadtrates ist. „Aber ich sehe mich jetzt nicht so als Berufspolitiker. Mehr als Bürger, der mitwirken darf.“
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Deutschland ist 35 Jahre nach dem Mauerfall „schon zusammengewachsen“, ordnet Ulf Steinforth ein. „Doch man muss trotzdem sagen, dass da bei den Älteren noch Grenzen im Kopf sind. Bei der Nachwende-Generation spielt das keine Rolle mehr.“ Für seine Geburts- und Heimatstadt Magdeburg wünscht er sich einen Sport-Campus. „Sport ist Wirtschaftsfaktor und lockt Investoren. Ich glaube an Leuchttürme. Sportler sind Botschafter für eine Stadt. Und Magdeburg ist Sportstadt.“