Königin der Instrumente Halberstädter Spezialisten hauchen alter Orgel neues Leben ein
Im Dezember 2021 wurde die Orgel in der Gehrendorfer Kirche ausgebaut und nach Halberstadt zur Reparatur gebracht. Jetzt ist sie wieder zurück.

Gehrendorf - Wann letztmalig Orgelklänge aus dem Gehrendorfer Gotteshaus drangen – im Ort weiß dass keiner mehr so genau. Es muss Jahrzehnte her sein. Doch jetzt gibt es Hoffnung für die Königin der Instrumente.
Die Zeichen standen denkbar schlecht. Der Holzwurm hatte ganze Arbeit geleistet. Das Herzstück der mechanischen Gehrendorfer Orgel – im Fachjargon Windladen genannt – war in einem dermaßen desolaten Zustand, da ging nichts mehr. „Das war eigentlich alles nur noch Schrott“, sagt Pfarrer Wolfgang Schwarzer.
Eines war von Anfang an klar: Eine Instandsetzung, sollte das überhaupt noch möglich sein, wird teuer. 50 000 Euro würde eine Reparatur kosten. Woher nehmen? Lange suchte der Gemeindekirchenrat nach einer Finanzierungsmöglichkeit. 2016 dann ein Hoffnungsschimmer. Über das Leader-Programm der Europäischen Union gibt es Fördergelder für Projekte im ländlichen Raum.
Einen Versuch war es wert. Also wurde ein Antrag gestellt. Und siehe da – es floss Geld. Und zwar soviel, dass zunächst einmal der Holzwurm, der sich im Laufe der Jahrzehnte durch die Kirche gefressen hatte, bekämpft werden konnte. Das geschah mittels einer Vergasung. Problem Nummer eins war somit gelöst. Doch die Trochorgel aus dem Jahr 1862 blieb weiter stumm.
Was einmal klappt, klappt vielleicht ein zweites Mal, dachten sich die Gemeindeglieder. Erneut wurden Fördergelder beantragt. Diesmal für die Reparatur der Orgel. Und sie wurden genehmigt. Dank weiterer finanzieller Unterstützung von der Landeskirche, dem Kirchenkreis Salzwedel und der Gehrendorfer Gemeinde selbst konnte die Orgel Ende des Jahres 2021 zur Restaurierung gebracht werden. Jetzt ist sie wieder zurück und wird eingebaut.
Große Schäden am Windladen und den Pfeifen
Die Schäden seien immens gewesen, erzählt Steffen Peter von der Halberstädter Orgelbauwerkstatt. Sein Fachgebiet ist die Technik. Das Herzstück musste komplett auseinandergenommen werden. Das Herzstück, für den Laien ein unscheinbarer Holzkasten, verbindet die Technik vom Spieltisch, den Wind vom Balg und die Pfeifen, die oben drauf stehen, miteinander. Unzählige Ventile und deren Flächen mussten neu beledert und der gerissene Windladen wieder ausgespahnt werden. Allein der Ausbau der Orgel ist ein komplizierter Vorgang. Ein aus Hunderten unterschiedlichen Teilen zusammengesetztes Puzzle, das für die Reparatur erst abgebaut und am Ende wieder zusammengesetzt wird. Einzig die Tonmechanik konnte stehenbleiben. „Da mussten wir nur ein paar Drähte austauschen“, erläutert Steffen Peter.
Die Orgel hat sieben Manualregister plus zwei im Pedal. 439 Pfeifen – mit einer Länge von wenigen Zentimetern bis zu zweieinhalb Meter - sind in der Orgel verbaut. „Die Prospektpfeifen aus Zink haben wir abgeschliffen, aufgearbeitet, Beulen raus und neu lackiert.“ Original sei das Ausgangsmaterial mit einer Zinn-Blei-Legierung versehen gewesen. Doch während des Krieges brauchte man das Material als Kanonenfutter. Deswegen wurden sie gegen Zink ausgetauscht. Auch die Holzpfeifen mussten zum Teil in die Werkstatt. Die Schäden durch den Holzwurm waren zu groß. „Wir haben die mit Schellack aufgefüllt, damit sich die Wurmlöcher zusetzen und der Ton wieder Stabilität bekommt“, beschreibt Steffen Peter. Schellack ist eine harzige Substanz, die aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus gewonnen wird.
Eine Besonderheit weist die Gehrendorfer Orgel auf. „Es ist ganz selten, dass das Herzstück hochkant steht und die Pfeifen liegen. Ich mache den Job jetzt seit fast 30 Jahren und hab diese Art der Konstruktion zum ersten Mal gesehen“, berichtet Orgelfachmann Peter. Ein Umstand, der die Arbeit der Spezialisten nicht gerade einfacher mache.
Tonhöhen mit dem Stimmhorn verändern
Für das Einstimmen der Pfeifen ist Daniel Gatzsche zuständig. Lautstärke und Klang müssen miteinander harmonieren. Sein wichtigstes Werkzeug ist das Stimmhorn. Durch vorsichtiges schlagen auf die Pfeifenmündung können diese nach innen oder außen gebogen und somit die Tonhöhen verändert werden, erklärt der 44-Jährige.
Ein paar Tage wird es noch dauern, bis die Königin in der Gehrendorfer Kirche wieder komplett zusammengesetzt ist. Aber schon jetzt können die Orgelbauer ihr ein paar Töne entlocken. Benjamin Jürges vom Gemeindekirchenrat war einer der Ersten, der die Königin wieder hören durfte.
Ist die Orgel optimal an die Akustik des Kirchenraums angepasst, kann sie alles: laut, leise, wild oder sanft – wie ein Orchester. Nicht umsonst wird sie auch als Königin der Instrumente bezeichnet. Ihr Äußeres prachtvoll, der Klang gewaltig.
Wolfgang Schwarzer lässt es sich nicht nehmen, selbst einmal ein paar Töne anzuschlagen. In der Kirchengemeinde sei die Freude über die Instandsetzung groß. Zwar gebe es zu den Gottesdiensten Musik aus der Box, aber das wäre nicht vergleichbar mit dem Klang einer echten Kirchenorgel.
Was fehlt, ist ein Orgelspieler. „Ich denke, zu den Festtagen können wir da immer jemanden organisieren. Künftig soll hier mehrfach im Jahr ein Orgelkonzert stattfinden.“ Zum Reformationstag am 31. Oktober ist die Wiedereinweihung der Gehrendorfer Orgel geplant. Schwarzer: „Mit diesem Klangerlebnis könnte die Kirche wieder richtig voll werden. Wir wollen auch Jüngere für die Orgel begeistern.“
