Stadtgeschichte Nachtwächter lernt beim Rundgang in Oebisfelde seinen Sohn an
Wenn die Oebisfelder schlafen, zieht ein Aufpasser durch die Gassen. Ulrich Pettke vom Heimatverein verrät, welche Gefahren in dunklen Ecken lauern.

Oebisfelde. - „Oh, was sehe ich? Händler, Handwerker und Gesindel“, ruft aus dem Fenster des Heimatmuseums Ulrich Pettke. Er ist der Vorsitzende des Heimatvereins und war wieder einmal in das Gewand des Nachtwächters geschlüpft.
Gleich zu Beginn der Nachtwächterführung empfangen Minnesänger Oliver Wolf und seine Familie die „Neubürger“ auf dem großen Burghof mit mittelalterlichen Klängen. Der Hof sorgt mit flackernden Schwedenfeuern, Feuerkörben und Fackeln für ein romantisches Ambiente. Die Führungen sind immer schnell ausverkauft. Es ist die letzte Tour in diesem Jahr.
Bevor es entlang des kleinen Burghofes und durch die Altstadt geht, bringt der Pestdoktor (Maike Hermannsdörfer) jedoch die von der Cholera und Lepra befallenen Ankömmlinge aus der Stadt hinaus ins Siechenhaus.
Der Nachtwächter mit Gassenstock und Laterne wird zum ersten Mal von seinem „Sohn“ (Sven Groneberg) begleitet. Der Oebisfelder soll später mal in achter Generation die Tradition des Nachtwächters fortsetzen. Auf humoristische Weise macht Pettke seinen Nachfolger mit den Pflichten des Nachtwächters vertraut. Nicht immer befolgt der Sohn dabei die Anweisungen seines Vaters.
Spanner in der Badstubenstraße
Neben den Mitgliedern des Heimatvereins verwandeln sich auch Akteure vom Castrum-Verein und dem Chor Al Cantara in Gestalten, die scheinbar direkt aus dem Mittelalter angereist sind. Die Schaulustigen dürfen jetzt nur nicht den Anschluss verlieren, denn in den dunklen Ecken lauern Gefahren. Eingreifen muss der Wächter in der Badstubenstraße. In den dortigen Kellern der Häuser waren einst Tröge aufgestellt, in denen sich die Oebisfelderinnen reinigten. Dies wiederum zieht die Spanner an. Drei von ihnen werden vom Wächter ertappt. Im gegenüberliegenden Haus beschwert sich Rosemarie Reisner über den Lärm und schüttelt kurzerhand den Inhalt ihres Nachttopfes aus dem Fenster auf die Passanten. Als ungefährlich erweist sich hingegen der holzbeinige Bettler. „Heinrich ist bekannt in der Stadt. Er schnorrt jeden um eine milde Gabe an, da er sieben Kinder zu versorgen hat“, weiß der Nachtwächter.
Unterwegs gibt es für die Gäste so manche Überraschung. Im Brunnen finden die Nachtschwärmer auch den verschollenen Schatz des Burgherrn. Die Kostbarkeiten bestehen aus Flaschen mit Kräuterschnaps, der an die künftigen „Neubürger“ verteilt wird.

Still wird es an der Stadtkirche, als dort Mönche vorbei gehen, um sich zur Andacht zu sammeln. Auch gibt es immer wieder humoristische Einlagen mit ernstem, zum Teil historischem Hintergrund. Bei den Begegnungen erfahren die Gäste auch etwas zu alten Sprüchen und ihrer Herkunft. Der Nachtwächter verrät, woher das Wort Torschlusspanik stammt. „Wurden bei Einbruch der Nacht die Stadttore geschlossen, war bei Reisenden Eile angesagt, um noch vor Torschluss hinter die schützenden Stadtmauern zu gelangen. Wer es nicht rechtzeitig schaffte, musste vor der Stadtmauer nächtigen, was damals nicht ganz ungefährlich war“, erklärt Pettke. Klar wird schnell, was es heißt, etwas auf dem Kerbholz zu haben, steinreich zu sein oder sein Fett wegzubekommen.
„Der Magistrat hat heut verkündet, dass noch Jauch in die Aller mündet“, reimt Pettke. Da der Gerstensaft knapp werden könnte, sei es unter Strafe streng verboten, in die Aller zu urinieren oder zu koten. Auf dem Marktplatz wird es blutig. Der Scharfrichter schlägt einen Dieb auf dem Richtblock eine Hand ab. Zur Stelle ist sofort der Totengräber. Auf seinem Karren befindet sich ein Sarg mit einer toten Hexe. Die abgeschlagene Hand des Diebes kommt mit in die Kiste. „Der Ausflug in die Vergangenheit hat richtig Spaß gemacht. Wir haben viel Spannendes über die Stadtgeschichte erfahren und auch das Gruseln erlernt. Es war jeden Taler wert“, sind sich die Nachtschwärmer einig.
Die nächsten Nachtwächterführungen sind für April 2024 geplant. „Dann wird es wieder ein etwas abgewandeltes Programm geben“, verspricht Pettke.