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Gotteshaus Seit 150 Jahren Kirche ohne Namen

Die evangelische Kirche zu Klein Oschersleben wurde vor 150 Jahren eingeweiht. Im Schlussstein des Bauwerkes ist das Jahr 1868 eingelassen.

Von Yvonne Heyer 06.10.2018, 01:01

Klein Oschersleben l Die Kirchenglocken der Klein Oschersleber evangelischen Kirche riefen die Gläubigen aus den Kirchengemeinden Klein Oschersleben, Groß Germersleben, Bottmersdorf und Hadmersleben in zweierlei Hinsicht zu einem besonderen Gottesdienst. Gemeinsam feierten die Menschen Erntedank und den 150. Geburtstag des Gotteshauses.

Dieses war nach nicht einmal einem Jahr Bauzeit 1868 eingeweiht worden. „Zu lesen ist dies im Schlussstein“, berichtet Pfarrer Theo Spielmann im Festgottesdienst.

Erbaut wurde das Gotteshaus zu einer Zeit, als die Zuckerrübe die Dörfer und Landwirte reich machte. „Beim Bau konnte also aus dem Vollen geschöpft werden. Nötig war der Bau geworden, da der Zuckerrübenanbau in der Börde viele Menschen aus anderen Gegenden in die Region lockte. So war auch die einstige Kirche in Klein Oschersleben zu klein geworden, ein Neubau musste her“, erinnert Theo Spielmann. Kanzel, Taufstein und Steine im Treppenturm stammen aus der Vorgängerkirche.

Doch schon ab 1914 fehlte der Gutsbesitzerfamilie von Kotze zunehmend das Geld, die Kirche zu erhalten. „Und fiel der kleiner werdenden Kirchengemeinde mehr und mehr auf die Füße“, erinnert Pfarrer Spielmann.

Hätte es in den 1980er Jahren nicht eine Geldspende von Rudolf von Kotze in Höhe von 2000 D-Mark gegeben, stünde die Kirche wohl heute nicht mehr. Mit dem „Westgeld“, 1:0 in Ostmark umgetauscht, wurden daraus 20.000 Mark, konnte 1986 das Kirchendach neu gedeckt werden. Doch der Verfall im Innern des Gotteshauses wurde immer sichtbarer. Pfarrer Gottfried Kalkhoff musste seinerzeit vor jedem Gottesdienst erst den abgefallenen Putz zusammenfegen und einen Bauhelm aufsetzen.

In den vergangenen 15 Jahren ist die Klein Oschersleber Kirche in vielen, vielen Schritten dank unterschiedlichster Fördertöpfe, mithilfe des Kirchenkreises Egeln und der Kirchengemeinde saniert worden und erstrahlt in neuem Glanz. Das Kirchenschiff bekam einen neuen Anstrich, die Fenster wurden aus in der Kirche gelagerten Fragmenten wieder neu gestaltet. Aktuell spart die Kirchengemeinde auf eine elektrische Läuteanlage, da starke Arme zum Läuten mehr und mehr fehlen. Doch die Kirchenglocken sollen nicht verstummen.

Weit ist die Kirchengemeinde mit der Sanierung des Gotteshauses gekommen. Doch Kirchenältester Eckart Römmer relativiert: „Wir müssen weiter um den Erhalt kämpfen. Die Vergabe von Fördermitteln wird nicht einfacher. Irgendwann müssen auch die Dächer wieder neu gedeckt werden.“

Eckart Römmer und seine Frau Marion haben zum Kirchenjubiläum eine Geschichtstafel gestaltet.

„Unsere Kirche ist so schön geworden. Gerade deshalb würde ich mir wünschen, dass mehr Menschen zu den Gottesdiensten kommen“, meint der 82-jährige Klein Oschersleber Horst Langenbeck.

Nun ist die evangelische Kirche zu Klein Oschersleben 150 Jahre alt geworden, ist es gemeinschaftlich gelungen, die Kirche im Dorf zu lassen. Aber seit 150 Jahren ist das Klein Oschersleber Gotteshaus ohne Namen. Blickt man in die nähere Umgebung, heißen viele Kirchen St. Martin oder St. Stephanus, in den katholischen Gemeinden sind es oftmals die Marien-Kirchen.

Mit dem Werden und Wachsen der Zuckerrübenverarbeitung, mit dem Ende des 2. Weltkrieges und aktuell wieder haben sich Menschen auf den Weg gemacht, sind auf der Flucht, müssen sie sich neue Existenzen ein neues Zuhause aufbauen. Und so macht Pfarrer Theo Spielmann den Vorschlag, die Klein Oschersleber Kirche nach Ruth aus der biblischen Geschichte zu benennen. Ruth kehrt als Witwe mit ihrer Schwiegermutter Noomi in das Land Israel zurück. Dort ist sie nicht willkommen und doch kümmert sich die junge Frau um die Ältere, sorgt mit dem Ährenlesen dafür, dass sie etwas zu essen haben. „Stoppeln gehen. Das haben auch die Menschen nach dem Krieg kennen gelernt und so ihre Familien durch gebracht“, erinnert Pfarrer Spielmann. „Mit Ruth ziehen wir die Parallelen zur heutigen Zeit, zur christlichen Gemeinschaft. Einer ist für den anderen da.“

Theo Spielmann bat die Gemeinde, über seinen Vorschlag nachzudenken. „Ich finde den Vorschlag gut. Er ist für mich eine Reminiszenz an die Frauen und an die Landwirtschaft, die nach wie vor unsere Region prägt. Ruth steht für mich für eine würdige, aktive und einfache Nächstenliebe“, so Kirchenältester Eckart Römmer.