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Erinnerung Der Tod als ständiger Begleiter

Um über Erfahrungen in Auschwitz zu erzählen, reist Zeitzeugin Anastasia Gulei derzeit durch Sachsen-Anhalt. Erste Station: Salzwedel.

Von Antonius Wollmann 26.09.2017, 03:00

Salzwedel l Anastasia Gulei war ein Teenager, als sich vor ihr die Tore zur Hölle öffneten. Im September 1943 wurde sie nach Auschwitz gebracht. An jenen Ort also, der wie kein anderer für die Vernichtung der europäischen Juden im 2. Weltkrieg durch das nationalsozialistische Deutschland steht. 1,5 Millionen Menschen jüdischen Glaubens fanden hier den Tod. Mitten in der Nacht kam sie dort an, nie wird sie diesen Moment vergessen. „Es war hell wie am Tag, überall brannte das Licht der Scheinwerfer“, berichtet sie am Montag den Schülern der Lessing-Ganztagsschule.

Von Auschwitz hatte sie vor ihrer Verschleppung nichts erfahren, sie wusste also nicht, was sie erwartete. Einen russischen Aufseher fragte die Ukrainerin, ob es sich um eine Fabrik handelte. Der antwortete nur: „Du wirst schon früh genug sehen, was hier passiert.“

Anastasia Gulei war keine Jüdin, sie gehörte zur Gruppe der unzähligen Zwangsarbeiter, die in den Außenlagern in der Kriegsproduktion eingesetzt wurden. Das bedeutete nicht, dass sie geschont wurde. Auch in den Fabriken herrschten unmenschliche Bedingungen. Vernichtung durch Arbeit hieß das Prinzip, nach dem die Nazis die Zahl der Zwangsarbeiter nach Plan dezimierten.

Auch mehr als 70 Jahre danach fällt es der Zeitzeugin sichtlich schwer, über das Erlebte zu sprechen. Immer wieder rollen Tränen über ihr Gesicht. Dennoch gelingt es ihr eindringlich, das Grauen zu schildern: „Das Schlimmste waren die regelrechten Ströme von Tausenden Menschen zu beobachten, die jeden Tag ankamen. Wir wussten, dass sie bald sterben würden. Aber die Neuankömmlinge ahnten davon nichts, als sie ins Lager gingen.“ Die Sätze, übersetzt von Dometscherin Luibov Danylenko, wirken. Ganz still war es in der voll besetzten Aula der Lessing-Schule.

Als im Januar die Nachricht die Runde macht, dass die Rote Armee kurz vor Auschwitz steht, macht sich zum ersten Mal Hoffnung breit. Das Martyrium scheint endlich zu Ende zu gehen. Doch weit gefehlt. Zusammen mit anderen Zwangsarbeiterinnen wird Anastasia Gulei nach Deutschland gebracht. Erst nach Buchenwald, kurz darauf ins Lager Bergen-Belsen in Niedersachsen. Angesichts der drohenden Niederlage haben die Nazis offensichtlich nur noch ein Ziel: Bis zum Kriegsende so viele Häftlinge wie möglich zu töten. In den Baracken grassieren Seuchen, jeden Tag sind die Insassen nach ihrer Ankunft im Winter den eisigen Temperaturen ausgesetzt.

Das Sterben wird zur Normalität, kein Tag vergeht, an dem nicht die Leichen aus der Baracke geschafft werden. „Es ist erstaunlich, dass wir nicht alle verrückt geworden sind. Aber offensichtlich ist der Mensch in der Lage, sich auch an die schlimmsten Dinge zu gewöhnen“, sagt Anastasia Gulei. Als die britische Armee das Lager schließlich befreit, fällt es ihr dennoch schwer, Freude zu empfinden. Zu präsent ist die Erinnerungen an all die Mädchen, die es nicht geschafft hatten zu überleben.

Für die Lessing-Schüler hat sie am Ende noch eine eindringliche Botschaft: „Wenn Ihr bald wählen dürft, gibt eure Stimme nicht Parteien, die auf Hass setzen und Aggressionen schüren.“