Schultheater Judenverfolgung in Lüchow als Theaterstück für Schüler
Mit dem Stück „Hermine Katz und das ungeheure Wissen der Dachböden“ beleuchtet die Freie Bühne Wendland die Mechanismen des Judenhasses im Wendland und der Altmark.

Lüchow/Salzwedel - Die jüdische Familie Mansfeld lebte einst verteilt in den Orten Lüchow, Wustrow und Salzwedel. Von insgesamt zehn Familienmitgliedern überstand nur ein einziges das Naziregime lebend. Nach der Premierenvorstellung des Theaterstücks in der Lüchower Jeetzel-Schule muss das Publikum erst einmal tief durchatmen.
Denn die perfiden Methoden, mit denen die Nazis diesen zuvor ganz normal in die hiesige Gesellschaft integrierten Bürgern das Leben zur Hölle machten, erzeugen Entsetzen und Gänsehaut. Rund 40 Minuten lang hat Kerstin Wittstamm von der Freien Bühne Wendland in diesem Ein-Personen-Stück unter der Regie von Caspar Harlan das Schicksal der Mansfelds nachgezeichnet.
Für das von Harlan selbst verfasste Stück für Schüler ab Klassenstufe sieben haben Regisseur und Schauspielerin vom Lüchower Stadtarchiv bis in die israelische Gedenkstätte Yad Vashem die offiziellen Aufzeichnungen über die Familie Mansfeld recherchiert, Fotografien aufgespürt und mit Zeitzeugen gesprochen. Auf der Internetseite der Freien Bühne Wendland sind die Fundstücke der Recherche im Original nachzulesen unter freiebuehnewendland.de/ archiv-mansfeld. Was sie herausfanden, erzählt Kerstin Wittstamm in der Rolle der Trödelmarkthändlerin Hermine Katz auf der Bühne.
Niemand sprach mehr mit Juden
Die Vorstellung beginnt mit einem Foto aus den 1920er Jahren, das an alle Zuschauer verteilt wird. Darauf zu sehen ist ein hübsches kleines Mädchen mit sanften braunen Augen bei seiner Einschulung: Liesel Mansfeld. Im Laufe der Vorstellung wird das Publikum erfahren, dass das Mädchen als junge Frau in einem Konzentrationslager ums Leben kam. Ebenso wie ihr kleiner Neffe, der „Judenheinzi“, der immer so traurig am Gartenzaun saß, weil von einem auf den anderen Tag keiner seiner deutschen Freunde und Nachbarn mehr mit dem damals Vierjährigen sprechen wollte. Daran erinnert sich noch heute eine Zeitzeugin, die inzwischen in einem Lüchower Seniorenheim lebt.
Anerkannte Mitglieder im Lüchower Schützenverein
Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren die Mansfelds ganz normal in das ländliche Leben integriert gewesen. Gerade das macht Gänsehaut. Die Großeltern von Heinz, Johanna und ihr Ehemann Sigmund, waren beliebte und anerkannte Mitglieder im Lüchower Schützenverein, wie Hermine Katz im Theaterstück erzählt. Auf der Internetseite der Freien Bühne Wendland zeugt davon noch eine alte Fotografie, auf der das Ehepaar im Kreise seiner Vereinsfreunde zu sehen ist.
Doch ab 1938 weht ein anderer Wind. Jedes männliche Familienmitglied muss nun zwingend den zusätzlichen Vornamen „Israel“ tragen, jedes weibliche den Zusatznamen „Sara“. Und diese Namen sind überall anzugeben, als eine Art schriftlicher Judenstern. Selbst bei der Vereinbarung eines Zahnarzttermins besteht diese Pflicht zur Selbststigmatisierung – als Johannas Schwester Ottilie einmal dagegen verstößt, gibt es eine demütigende Standpauke vom Lüchower Bürgermeister, der damals zugleich der örtliche Polizeichef ist. Wittstamm schlüpft zur Darstellung solcher Szenen jeweils in die Rolle der Beteiligten. Apropos: Juden müssen in der Verwaltung eine Antrag stellen, um einen Arzt besuchen zu dürfen. Denn eigentlich dürfen sie das Haus kaum noch verlassen, wie das Publikum erfährt.
Eindrücklich stellt Wittstamm im weiteren Verlauf in wechselnden Rollen dar, wie Stück für Stück die wirtschaftliche Existenz der Familie zerstört und ihnen schließlich auch die Ausreise ins Ausland verwehrt wird.
Polizeiverhör wegen Blumenstrauß
Doch in ihrer menschlichen Abgründigkeit schier unerträglich sind Szenen wie die von der psychisch bereits schwer angeschlagenen Großmutter Mansfeld, die zum Muttertag von einem deutschen Nachbarsjungen heimlich ein kleines Blumensträußchen geschenkt bekommt und sich dafür später in einem Polizeiverhör rechtfertigen muss. Auch die Szene, die das Verkaufsverbot von Schokoladenerzeugnissen und Lebkuchen aller Art an Juden kurz vor Weihnachten 1939 beleuchtet, macht den sinnlosen Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe deutlich und auch für Schüler ab zwölf Jahren sinnlich begreifbar.
Unmotivierter Hass, Mobbing, Ausgrenzung – nicht wenige Kinder und Jugendliche erfahren solche Dinge heute in Klassenchats oder in sozialen Netzwerken am eigenen Leibe. Währenddessen haben Jugendorganisationen rechter Organisationen Zulauf. Das Stück ist deshalb mit seinem Stoff brandaktuell. Auch Schulen im Altmarkkreis können bei Diana Krüger unter der Mobilfunknummer 0176/ 78 51 35 50 Klassenvorstellungen der vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Aufführung buchen.