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Aktion in Barby Wer verschenkt Zeit an alte Leute?

Die Arbeiterwohlfahrt in Barby startet einen Versuch: Ehrenamtliche sollen „Seniorenpatenschaften“ übernehmen.

Von Thomas Linßner 18.10.2017, 01:01

Barby l Zu Beginn eine kleine Episode, die sich im Altenpflegeheim Stadtgraben zugetragen hat, wohl aber auf jedes andere Heim übertragbar wäre. Eine Gruppe alter Menschen sitzt mit gelangweilten oder entrücktem Blick im Aufenthaltsraum beim Nachmittags-Kaffee. Plötzlich strafft sich der Körper einer etwa 75-jährigen Frau, die aus dem Fenster blickt. „Och schön, mein Enkel kommt!“ Kurz darauf betritt ein junger Mann den Raum. „Hallo Oma“, sagt er knapp, wobei seine Augen die Runde absuchen. „Ist Mutter nicht hier? Ich dachte, die besucht dich!“ „Nein, die ist nicht hier. Aber fein, dass du gekommen bist.“ „Ach so? Die ist nicht hier? Ich habe nicht viel Zeit. Machs gut, Oma.“ Eine Minute später ist der junge Mann wieder verschwunden. Die positive Körperspannung der alten Frau ist ebenso schnell verflogen, wie der Enkel verschwunden ist.

In diesem Fall hatte die alte Dame wenigstens noch Angehörige im Ort. Es gibt aber auch Heimbewohner, wo das nicht so ist, weiß Awo-Projektkoordinatorin Saskia Schenk.

Für jeden Bewohner in einem Heim müssen Pflegekräfte zum Beispiel aufschreiben, was er kann, was er können soll – und was sie dafür zu tun gedenken. Die Bürokratie ist enorm - da bleibt kaum Zeit für persönliche Gespräche. Deshalb startet die Awo in Barby jetzt einen Versuch. „Wir suchen Menschen, die Zeit zu verschenken haben“, sagt Awo-Geschäftsführerin Ines Grimm-Hübner. Was im ersten Moment etwas lyrisch klingt, hat einen nüchternen Hintergrund. Ehrenamtliche können die alten Leute im Heim besuchen, weil dem Pflegepersonal die Zeit knapp geworden ist. „Wer sich dafür bereit erklärt, braucht keine Angst vor einer Vereinnahmung zu haben“, erklärt Ines Grimm-Hübner. Soll heißen: Die freundlichen Helfer werden moralisch nicht zu einer Regelmäßigkeit gezwungen. Sie können die Heimbewohner besuchen, wenn ihnen danach ist und wenn sie eben „Zeit zu verschenken haben“.

Man könnte es auch „selbstloses gutes Werk“ nennen. Was käme auf die „Zeitverschenker“ zu? Zwanglose Gespräche, den alten Menschen etwas vorlesen, Gesellschaftsspiele oder Skat spielen. Oder einfach nur zuhören. Es könnte auch für die Besucher interessant werden, wenn alte Menschen aus ihrem Leben erzählen. Männliche Bewohner haben vor allem Erinnerungen an den Krieg und die Zeit danach.

„Wir wären aber auch dankbar, wenn uns Freiwillige bei der Vorbereitung eines Festes oder leichter Gartenarbeit unterstützen“, so Ines Grimm-Hübner. Die Awo-Geschäftsführerin sieht in dem Projekt der „Seniorenpatenschaften“ eine Chance, mit Bürgern, die keinerlei Beziehung zu Altenpflegeheimen, aber eine „soziale Ader“ haben, ins Gespräch zu kommen. „Da gibt es eine gewisse Hemmschwelle, die man so überwinden könnte“, ergänzt Saskia Schenk.

Das Prinzip der „Seniorenpatenschaften“ ist nicht neu. So gibt es die „Grünen Damen“, die deutschlandweit in nahezu 500 Krankenhäusern und 250 Altenhilfeeinrichtungen tätig sind. Es sind Ehrenamtliche, die unabhängig und in eigener Verantwortung persönliche Wünsche von Patienten und älteren Menschen erfüllen. Sie nehmen sich Zeit für Gespräche, hören zu und kaufen auch mal gewünschte Dinge des persönlichen Bedarfs ein.