Männerchor Servus zum Abschied

Der Handwerkermännerchor Schönebeck hat seine Auflösung beschlossen. Nach 132 Jahren soll im Dezember Schluss sein.

Von Olaf Koch 03.11.2017, 06:00

Schönebeck l Ein Stück Schönebecker Kulturgut wird aufhören zu existieren. Am Mittwoch, 20. Dezember, haben die Sänger des Handwerkermännerchores ihren wirklich allerletzten Auftritt. Im Magdalenenhof der Elbestadt werden sie vor den Bewohnern einen vorweihnachtlichen Nachmittag gestalten. Dann wird bei den Sängern und dem Chorleiter sicherlich eine Träne des Wehmuts über die Wange rollen. Vielleicht werden die Herren dem traurigen Anlass entsprechend auch ein Lied in eigener Sache singen: von Sarah Brightman und Andrea Bocelli „Time to say good bye“, von Sportfreunde Stiller „Wunderbare Jahre“ oder von Trude Herr „Niemals geht man so ganz“.

Gut eineinhalb Wochen später wird der Handwerkermännerchor Schönebeck Geschichte sein. Ende September nämlich beschlossen die stimmberechtigten Mitglieder in einer Versammlung ziemlich mehrheitlich die Auflösung des Vereines. Der Grund liegt auf der Hand und ist demografischer Natur: Die singenden Herren sind ins Alter gekommen. Die beiden Ältesten zählen 82 Jahre, der Großteil ist über 70, lediglich ein Sangesbruder ist unter 60 Jahre „jung“. Von früher mehr als 30 Sängern schrumpfte der Klangkörper auf 19. Nachwuchs? Fehlanzeige. Damit wird eine 132-jährige Tradi- tion wohl für immer verstummen.

Daran haben die Gründungsväter sicherlich nicht gedacht. Der Handwerkermännerchor gründete sich als Ergebnis einer Silversternacht 1885/1886 zunächst als Gesellenverein Schönebeck. Im Januar 1886 erhielt der Chor die Genehmigung nach den Statuten und wurde in die Stammesrolle eingetragen. Aufgabe war es, das deutsche Liedgut zu pflegen.

Daran hielten die Männer über viele Jahrzehnte fest. Der Chor war im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verboten. Von 1935 bis 1953 gab es eine Unterbrechung, die anfangs dem aufkommenden Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg geschuldet war. Danach hatten die Menschen andere Probleme. Doch die Pause endete 1953, als der Handwerkermännerchor mit vielen Hindernissen und letztlich mit der Genehmigung der Regierung der DDR wieder aus der Taufe gehoben wurde.

Wer in der Chronik des Vereines auf den entsprechenden Seiten zu dieser Zeit blättert, kann eintauchen in den aufkommenden Sozialismus mit seinen konfusen Auswirkungen. „Einen Handwerkermännerchor durfte es nach Ansicht der Kulturbeauftragten nicht geben“, weiß der Schriftführer des Vereines, Uwe Tierfelder, zu berichten. Im Mittelpunkt des Arbeiter- und Bauernstaates standen die Arbeiter und Bauern und eben nicht die Handwerker für die kulturelle Betreuung ihresgleichen. Mit zwei kleinen Tricks konnten die Schönebecker Musikfreunde dennoch einen Weg finden.

Sie schrieben einen freundlichen Brief an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, und baten ihn um Hilfe. Die Abteilung Kunst und kulturelle Massenarbeit des Rates des Landkreises Schönebeck musste sich daraufhin mit dem Anliegen des Chores beschäftigen. Der sprachliche Kniff war, dass der Chor nicht nur für Arbeiter und Bauern sang, sondern auch für Handwerker und die Intelligenz.

Die Liebe zum deutschen Liedgut, die Freunde am Gesang und die immer währende Bereitschaft, Freundschaften von Menschen zu Menschen zu erhalten, haben den Verein zusammengeschweißt. Als Uwe Tierfelder und Peter Hopfer gestern der Volksstimme von der Auflösung des Chores unterrichteten, schwelgten die beiden immer wieder in Erinnerungen. Neben den Auftritten wurde vor allem die Geselligkeit gepflegt. „Der Zusammenhalt spielte und spielt bei uns eine große Rolle“, erklärte Peter Hopfer.

Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Artikel das langjährige Wirken der Familie Oelkers. Hermann Oelkers war von 1956 bis 1973 Vorsitzender des Handwerkermännerchores. Er legte diese Aufgaben später in die Hände seines Sohnes Dieter, der seit 1973 die Geschicke des Chores leitet. „Im nächsten Jahr wären es 45 Jahre geworden“, blickte Dieter Oelkers gestern in einem Telefonat auf die Zeit zurück.

Während zu DDR-Zeiten der Handwerkermännerchor das war, was er im Namen trug, nämlich ein Männerchor der Handwerker, öffnete sich diese Klausel mit der Zeit nach der politischen Wende. Die wohl größte Anerkennung erhielt der Chor im Jahr 2005, als der Klangkörper die vom Bundespräsidenten verliehene Zelter-Plakette überreicht bekam. Diese Auszeichnung ist für Chöre bestimmt, die sich im langjährigen Wirken besondere Verdienste um die Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes und damit um die Förderung des kulturellen Lebens erworben haben. Den Grundstein dafür legten die Chorleiter. Zu nennen sind unter anderem Hermann Heuer, Rolf Lüdecke, Irina Bersch und nun zuletzt Istvan Visontay.

Nun kommt das musikalisch Ende auf den traditionsreichen Chor zu. Schon seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass Sänger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so können, wie sie wollen, Familien aus Altersgründen wegziehen und Mitglieder sterben. „Und wir haben keinen Nachwuchs“, stöhnt Peter Hopfer. Damit steht der Chor, aus dem der Shanty-Chor hervorgegangen ist, nicht allein da. Und vielleicht gibt es zum letzten Auftritt kurz vor Weihnachten ein kleines Auf-Wiedersehen-Medley zu hören – mit „Friends will be friends“, „Won‘t forget these days“ oder „Sag zum Abschied leise Servus“.