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Deichsanierung Ortschef möchte Verewigungssteine retten

2018 soll damit begonnen werden, den Saaledeich bei Groß Rosenburg zu verbreitern. Auch das beliebte „Dammhäuschen“ würde abgerissen.

Von Thomas Linßner 11.01.2018, 00:01

Groß Rosenburg l „Ich glaube nicht, dass der Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) damit ein Problem hätte, wenn wir einige Steine bergen“, sagt Pietschker. Erwähnter Betrieb wird nach seinen Informationen das „Dammhäuschen“ abreißen lassen, wenn der Deich verbreitert wird. Pietschker möchte „besondere Ziegelsteine“ bergen und vielleicht versteigern. Warum?

Weil für Generationen von Rosenburgern der Ort ein inoffizieller Jugendtreff war, was man an den zahlreichen Verewigungen nachlesen kann.

Die ersten Ritzzeichnungen stammen aus den 1940er Jahren. Abseits von tratschenden Kittelschürzen und wachsamen Filzhüten kamen (und tun es noch heute) Kinder und Jugendliche zusammen, um „abzuhängen“. Dieses Wort für wenig schaffensreiche Tätigkeit gab es zwar damals noch nicht – der Inhalt für zwanglose Kommunikation ist aber immer noch der selbe.

Die alten Backsteine des Dammhäuschens nehmen Verewigungen gleichermaßen geduldig auf, wie mehr oder weniger verschlüsselte Beziehungsinformationen.

So erfahren wir zum Beispiel, dass im Mai 1997 St. Kauße mit Sascha eine Bootstour gemacht hat. Am 20. September 1953 teilte ein gewisser Haedecke mit, dass er verliebt sei. Das Herz mit dem Pfeil verrät es. Sogar Chr. Müller aus Hennef im Rheinland ritzte am 9. Mai 1955 mit einem spitzen Gegenstand seinen Namen ein. Für Letzteren muss das Dammhäuschen zu einem Wallfahrtsort geworden sein, suchte er auch am 12. Juni 1957 und sogar am 26. Oktober 1973 diese Stelle wieder auf. War der Rheinländer wieder zu Besuch in der DDR oder wohnte er mittlerweile dort? Auch kann es sein, dass es sich um ein Kind handelte, das im Zweiten Weltkrieg aufs Land geschickt wurde, als die Städte bombardiert wurden. Einige dieser Kinder waren auch in Rosenburg untergebracht.

Auch Horst und Anni Rosche suchten diese Stelle mehrfach auf, wie Ritzungen von 1950 und 1962 beweisen. Oder K.H. Kromozinski, der am 13. August 1955 ritzte. Zehn Jahre später wurden die Namen „Elke, Uwe, Katja“ auf „seinem“ Stein hinzu gefügt. Waren es Freunde oder sogar schon die Kinder von K.H.?

Derweil letztere Eintragungen noch gut und deutlich zu lesen sind, wurden andere wieder mit einem ebenso harten Gegenstand unleserlich gemacht. Möglicherweise waren derartige persönliche Manifestationen aus Jugendtagen den Autoren mittlerweile peinlich geworden.

Dass die Mode der Verewigungen auch in jüngerer Zeit noch Gültigkeit besitzt, bewiesen Juliane, Jan-Erik, Jürgen und Heidi am 7. Juli 2002. Sie taten es wie die Altvordern mit dem Nagel. Andere jugendliche Zeitgenossen nahmen die Farbspraydose. Wobei dem Gebäude Gewalt angetan wurde. Tröstlich ist aber, dass die Farbe nach ein paar Jahren wieder auf natürliche Weise verschwand.

Die meisten Groß Rosenburger verbinden mit ihrem „Dammhäuschen“ gute Erinnerungen. Als es Mitte der 1990er Jahre einmal abgerissen werden sollte, protestierte der Gemeinderat massiv.

Nicht etwa, weil er für das kleine Bauwerk noch irgendwelche Nutzungsabsichten sah, sondern aus emotionalen Gründen. Schließlich war auch ein gestandener Gemeinderat mal jung und knutschte dort herum.

Doch nun werden die Tage des Backsteinbaus wohl unwiderruflich gezählt sein. Deshalb beweist Michael Pietschkers Idee Herz. Selbst wenn nicht alle Steine versteigert werden sollten - ein paar aufheben sollte man auf jeden Fall.