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Ehrenamt Wenn aus zwei Familien eine wird

Obwohl der achtjährige Michael aus Schönebeck keine leiblichen Großeltern hat, muss er auf eine Oma und einen Opa nicht verzichten.

Von Bianca Oldekamp 21.02.2020, 02:03

Schönebeck l Ein Leben ohne Oma Ingrid und Opa Heinz kann sich der achtjährige Michael Hoffmann aus Schönebeck gar nicht vorstellen. Logisch, mag man jetzt denken: Großeltern begleiten ihre Enkelkinder ja eigentlich ab dem Tag der Geburt. Das ist bei dem Achtjährigen allerdings nicht der Fall. Er lernte Ingrid und Heinz Wagner kennen, da war er knapp eineinhalb Jahre alt. Denn Ingrid und Heinz Wagner sind nicht die leiblichen Großeltern von Michael Hoffmann, sondern seine Leihoma und sein Leihopa.

Das macht für den Achtjährigen aber gar keinen Unterschied, Ingrid Wagner nennt er „Oma“, Heinz Wagner spricht er mit „Opa“ an. Und auch das, was die Drei so zusammen machen, unterscheidet sich nicht von dem, was Omas und Opas eben so mit ihren Enkelkindern unternehmen. „Wir spielen manchmal Uno zusammen“, erzählt der Achtjährige. Erst in den Ferien waren Michael und Oma Ingrid zusammen im Kino.

Den Kinderanimationsfilm hatte sich Michael ausgesucht. Manchmal gibt es auch gemeinsame Ausflüge und im Sommer sind die Drei oft im Schrebergarten der Wagners anzutreffen. Da ist dann hin und wieder auch Michaels 14-jähriger Bruder André dabei, der aber nicht mehr ganz so viel Zeit wie sein jüngerer Bruder mit den Leihgroßeltern verbringt.

„Es ist wichtig, die Interessen jedes einzelnen Kindes im Auge zu behalten, denn jedes Kind ist anders“, weiß die 71-jährige Ingrid Wagner aus der Erfahrung, die sie mit den Brüdern und noch einem weiteren Leihenkel, den sie zusammen mit ihren 76-jährigen Mann Heinz betreut, über die Jahre gesammelt hat.

Manchmal seien aber auch alle drei Jungs mit im Schrebergarten, der direkt am Stadion in der Barbarastraße liegt. „In unserer Wohnung würde mir das allerdings zu viel werden“, sagt Ingrid Wagner. Das Ehepaar weiß genau, wie viel es leisten kann und welche Situationen zu viel werden würde.

Dass die Brüder Michael und André Hoffmann, die keine leiblichen Großeltern haben, trotzdem nicht ohne Großeltern aufwachsen, verdanken sie dem Projekt „Leihoma & Leihopa“. Im November 2012 machten sich die Eltern der Jungs, Natalie und Carsten Hoffmann, nämlich auf die Suche nach Leihgroßeltern für ihre Söhne und wandte sich für diese Suche an Holger Schwenzfeier vom Mehrgenerationenhaus (MGH) des Vereins Rückenwind.

Holger Schwenzfeier ist seit 2011 Ansprechpartner für das MGH-Projekt „Leihoma & Leihopa“. „Man entwickelt ein Händchen dafür, wer zueinander passen könnte“, erzählt Holger Schwenzfeier auch mit Blick auf die Vermittlungen zwischen Familie Hoffmann und Familie Wagner.

Dieses „Händchen“ hat er bei der Zusammenführung der Familien Hoffmann und Wagner wohl definitiv bewiesen. Da sind sich beide Familien einig. Wobei man gar nicht mehr so richtig von zwei Familien reden könne. „Wir sind zu einer Familie geworden“, sagt Natalie Hoffmann.

Doch der Reihe nach: Nachdem sich Natalie und Carsten Hoffmann mit ihrer Suche nach Leihgroßeltern an Holger Schwenzfeier gewandt hatten, mussten sie zunächst einen Fragebogen ausfüllen. Auf diesem wird unter anderem abgefragt, ob eine Leihoma, ein Leihopa oder Leihgroßeltern gesucht werden, wie oft diese „einspringen“ sollen und welche Vorstellungen und Erwartungen vorhanden sind.

Auch potenzielle Leihgroßeltern müssen einen Fragebogen ausfüllen. In diesem wird beispielsweise erfragt, wie viele Stunden sie in der Woche als Leihoma/-opa verbringen mögen, wie viele Kinder betreut werden können und auch Stärken und Schwächen werden abgefragt.

Laut Fragebogen würden beide Familien schon mal zusammenpassen und so führte Holger Schwenzfeier Hoffmanns und Wagners nur kurz nach der Anfrage im November 2012 zusammen – bei Familie Hoffmann daheim. Eigentlich würde für solche erste Treffen aber ein neutraler Ort ausgesucht, erklärt Holger Schwenzfeier.

Grundsätzlich sei die Reaktion des Kindes ausschlaggebend, ob die Familien zusammenpassen. „Michael kam damals direkt auf Ingrid zu“, erinnert sich Natalie Hoffmann. „Es passte einfach.“

Dass sich Familie Hoffmann überhaupt auf die Suche nach Leihgroßeltern gemacht hat, hat den Hintergrund, dass die Jungen sonst ohne Großeltern aufwachsen würde. „Uns ist es aber wichtig, dass unsere Kinder von der Lebenserfahrung der älteren Generation lernen können, sich eine Beziehung zwischen jung und alt aufbaut“, sagt Natalie Hoffmann. Die Schönebeckerin selbst stammt aus Russland, einem Land in dem gerade die Rolle der Großmutter in der Familie traditionell hervorgehoben ist.

Mittlerweile kennen sich die Familien bestens, es herrscht „volles Vertrauen“, so Natalie Hoffmann. Und das braucht es auch. Denn wenn der achtjährige Michael bei seinen Großeltern ist, dann ist er meist allein bei ihnen. „Wir haben da gar keine Bedenken“, sind sich Natalie und Carsten Hoffmann einig.

Berührungsängste gibt es keine. Besonders mit Opa Heinz kuschelt der achtjährige Michael gern. Ingrid Wagner sagt schmunzelnd: „Der Opa verwöhnt und die Oma übernimmt Arbeit und Verantwortung.“ Verantwortung für die Vermittlung übernimmt in gewisser Weise aber auch der Verein Rückenwind, zu dem das Mehrgenerationenhaus und dessen Projekt gehören. So müssen angehende Leihgroßeltern unter anderem ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. „Wenn ich ein ungutes Gefühl hätte, würde ich aber ohnehin keine Vermittlung in Betracht ziehen“, sagt Projektleiter Holger Schwenzfeier. Das sei aber bisher noch nicht vorgekommen.

Auch Probleme habe es bisher kaum gegeben und wenn, würden diese umgehend besprochen. Die Leihgroßeltern besuchen das Mehrgenerationenhaus zwei- bis dreimal im Monat, geben Holger Schwenzfeier Rückmeldung. Und wenn dann wirklich mal was im Argen liegt, wird gesprochen.

Der Kontakt von Familie Hoffmann und Familie Wagner, die keine eigenen Enkelkinder hat, geht mittlerweile weit über die Idee des Projekts hinaus. Ingrid Wagner habe immer ein offenes Ohr für Natalie Hoffmann. „Sie versteht mich“, sagt die Schönebeckerin. Kein Wunder also, dass gemeinsame Familienfeiern schon zur Normalität geworden sind und Oma und Opa auch bei Sportwettkämpfen und Schulfesten von Michael dabei sind. Die Reaktionen auf die Leihgroßeltern seien durchgehend positiv erzählt Natalie Hoffmann. „So was gibt es? Das brauche ich auch, toll“, sei nur eine Reaktion, die die Schönebeckerin bekommen hat, als sie von den Leihgroßeltern berichtet hat.

Grundsätzlich ist die Nachfrage nach Leihomas und -opas in Schönebeck „ungebrochen hoch“, sagt Holger Schwenzfeier. Aktuell gebe es fünf Leihomas und zwei Leihopas. „Es waren mal mehr“, sagt der Projektleiter. Die Familien Hoffmann und Wagner sind froh, dass sie sich mit Hilfe von Holger Schwenzfeier und dem Projekt gefunden haben, möchten sich nicht mehr missen.