Trockenrasen lässt Blumen gedeihen, wie sie sonst nur in Steppengebieten vorkommen. Von Ulrich Meinhard Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Der Frohser Berg ist ein Domizil für seltene Pflanzen
Pflanzen, wie sie sonst nur in Steppengebieten wachsen, sind auf dem Frohser Berg bei Schönebeck zu finden. Den Hügel hat die jüngste Eiszeit erschaffen. Was ihn auszeichnet, ist nicht nur der hier errichtete, knapp 160 Meter hohe Sendemast, sondern ein sogenannter Trockenrasen. Der hat tausende Jahre überlebt, doch jetzt ist er in seinem Bestand gefährdet.
Schönebeck l Er ist unübersehbar. Auf dem Frohser Berg zwischen Schönebeck und Magdeburg steht seit mehr als zehn Jahren ein fast 160 Meter hoher Sendemast, der die Aufmerksamkeit der Vorüberfahrenden auf diesen Hügel lenkt. Seine Kuppe ist bewaldet. Eine lockende Idylle. Doch allgemein, im alltäglichen Hin und Her, wird der Frohser Berg links und rechts liegengelassen von den Autofahrern auf der A 14 und der östlich davon verlaufenden Landstraße, die den Schönebecker Ortsteil Frohse mit dem Magdeburger Ortsteil Westerhüsen verbindet. Auch Zugreisende auf der Strecke Magdeburg-Leipzig sehen den Hügel an sich vorüberziehen. Ein allseits bekanntes Ausflugsziel ist die 115 Meter hohe Erhebung nicht. Kein Ausflugslokal, kein Heimattiergarten, nicht einmal eine Schutzhütte finden sich hier. Doch der Frohser Berg hat dennoch etwas Außergewöhnliches zu bieten. Gemeint ist nicht der Funkturm, sondern der an dieser Stelle der Börde existierende Trockenrasen. Pflanzen, die eigentlich in Steppengebieten oder auch am Schwarzen Meer vorkommen, sind hier zu finden.
Botanische Schätze finden sich auf dem Hügel
"Dazu gehören die Skarbiose und die Karthäuser Nelke", sagt Gudrun Edner begeistert. Sie gehört zur Ortsgruppe des Naturschutzbundes (Nabu) in Schönebeck und hat sich für die Volksstimme Zeit genommen für einen Rundgang auf dem Frohser Berg.
"Auf jeden Fall wachsen hier auch noch das Gänsefingerkraut und der Odermennig und viele andere seltene Pflanzen." Gudrun Edner hat ein exzellentes Bestimmungsbuch dabei, ein Exemplar, das sie schon seit Studienzeiten begleitet. Mit seiner Hilfe möchte die bekennende Naturschützerin beweisen, welche botanischen Schätze der Hügel aufweist. Und da kommt bereits auf den ersten Blick einiges zusammen.
Der Rundkurs beginnt an einer mit Obstbäumen bestandenen Fläche. Gräser und Gehölze haben sich in den vergangenen Jahrzehnten hier breit gemacht. Das Gehen gerät zwangsläufig zu einem vorsichtigen Abtasten des üppig bewachsenen, nicht mehr einsehbaren Erdbodens.
"Schon vor knapp 150 Jahren gab es Aufzeichnungen über den hier anzutreffenden Bewuchs", berichtet die studierte Agrochemikerin über den Botaniker Paul Ascherson. Die Liste der von ihm damals vorgefundenen Pflanzenarten auf dem Frohser Berg ist lang, sehr lang. Darunter finden sich Pflanzen und Blumen, die heute in Deutschland als ausgestorben gelten.
Die jüngste Eiszeit mit ihren gewaltigen Kräften hat den Hügel vor knapp 10 000 Jahren geschaffen. Er ist Teil eines Höhenzuges, zu dem auch die Sohlener Berge auf Magdeburger Stadtgebiet gehören. Weite Teile der Landschaft auf dem Frohser Berg sind als Biotop geschützt. "Der Trockenrasen hier liegt mir wirklich sehr am Herzen", sagt die Nabu-Frau und verweist auf die einstige Arbeitsgruppe Natur und Umwelt des Kulturbundes Schönebeck. Der in der ehemaligen Kreisstadt bekannte, inzwischen aber verstorbene Tierarzt Dr. Horst Reuner war Mitglied dieser zu DDR-Zeiten sehr rührigen Gruppe. "Schon Herr Dr. Reuner hat sich für den Schutz und den Erhalt des Trockenrasens eingesetzt", weiß sich Gudrun Edner in bester Gesellschaft.
Schafe fraßen früher die Verbuschung einfach weg
Apropos DDR-Zeiten: Damals weideten im Sommer Schafherden auf dem Frohser Berg und hielten mit ihrem Hunger den Bewuchs insgesamt kurz. Ohne die genügsamen Wollbüschel aber verbuscht die Fläche. "Der Boden reichert sich mit Nährstoffen an. Dadurch geht aber der Artenreichtum zurück, denn artenreich sind nährstoffarme Böden", weiß die Fachfrau.
Nutznießer dieser Entwicklung auf Seiten der Flora ist der Weißdorn. Grundsätzlich ein höchst wirksamer Lieferant für Tees und Auszüge, die das Herz jung halten, erstickt das Gehölz an dieser Stelle allerdings zahlreiche Pflanzen. Ein ähnlicher Effekt geht auch von voluminös wachsenden Gräsern aus. "Sie ersticken die seltenen Arten, lassen ihnen keine Luft. Der Bereich müsste gepflegt werden, um die Pflanzen, die der Trockenrasen hervorbringt, zu erhalten. Durch Ein-Euro-Kräfte wäre das sicher möglich gewesen", verweist Gudrun Edner auf eine aufgrund neuer Richtlinien der Bundesagentur für Arbeit nun wohl vergebene Chance.
Aber wie kann es denn überhaupt möglich sein, dass Steppenpflanzen auf dem Frohser Berg wachsen, wo kommen sie her? "Sie wurden als Samen vom Wind herangetragen und fanden hier die für sie idealen Lebensbedingungen, um zu keimen", erklärt die Schönebeckerin und führt weiter aus: "Auf den Kuppen dieser eiszeitlichen Endmoränen fehlte eine Humusdecke, weil die sonst für die Börde typische Schwarzerde immer wieder vom Wind fortgetragen wurde. Es blieb ein sandiger und, wie schon gesagt, nährstoffarmer Boden."
Um ihn und seinen für die hiesige Region außergewöhnlichen Bewuchs zu erhalten, müsste der Mensch Hand anlegen und ausbuschen. Schafe stehen nicht mehr zur Verfügung, weil deren Haltung unwirtschaftlich geworden ist. "Diese Landschaft, dieser Trocken- oder auch Magerrasen ist ein Stück unserer Heimat und wie ich finde wirklich erhaltenswert", appelliert Gudrun Edner an die Gesellschaft.
Der Blick geht weit ins Land und reicht bis zum Harz
Dann braucht sie einige Minuten, um eine Bank wieder zu finden, die Naturfreunde vor vielen Jahren aufgestellt haben. So dicht ist der Grasbewuchs, dass es ohne Suchen nicht geht. Von der Stelle aus geht der Blick weit in westlicher und südlicher Richtung.
Die Verschnaufpause auf der wiedergefundenen, schon leicht verwitterten Bank nutzt die engagierte Frau nicht nur zum Durchatmen. In ihrem Bestimmungsbuch blätternd und mit Blick auf die Natur gerät Gudrun Edner ins Philosophieren. "Mit unserem bequemen Leben haben wir unsere Ruhe verkauft", meint sie. In den Städten und Dörfern solle immer alles schön geleckt aussehen. "Kaum blüht mal was, kommt schon der Rasenmäher zum Einsatz", kritisiert sie das nach ihrer Einschätzung all zu emsige Rasentrimmen. "Wir räumen einfach viel zu viel auf. Wir lassen es ja gar nicht mehr zu, dass Bäume alt werden." Mit der Sucht nach dem Putz würde immer mehr Tier- und Pflanzenarten der Lebensraum genommen.
Aber wenn der Mensch auf dem Frohser Berg Pflege- und Rodearbeiten ausführt, ist das dann nicht auch ein Eingriff in die Natur? "Ja. Aber in dem Fall würde ein Stück Vielfalt erhalten bleiben", argumentiert die gebürtige Erzgebirglerin.
"Die ökologische Bedeutung des Frohser Bergs, aber auch der weiter nördlich gelegenen Sohlener Berge ist für unsere Region recht beachtlich. Sie weisen spezielle Lebensbedingungen wie den Trockenrasen und einen trockenwarmen Wald auf", schwärmt auch der Magdeburger Stadtrat Olaf Meister. Unabhängig hier von komme solchen naturbelassenen Inseln inmitten intensiv bewirtschafteter landwirtschaftlicher Nutzflächen ein hoher Wert als Rückzugsgebiet und Lebensraum verschiedenster Pflanzen- und Tierarten zu, hebt der Rechtsanwalt auf Anfrage der Volksstimme hervor. Er hat sogar in Eigeninitiative eine Internetseite über die Hügel und den Magdeburger Stadtteil Westerhüsen erstellt. Warum?
"Es ging und geht darum, den Bewohnern ihren eigenen Stadtteil nahe zu bringen und sie zu animieren, sich für ihre Stadtteile einzusetzen. Bei den Menschen außerhalb gilt es, das Bild der Stadtteile gerade zu rücken und die Region als attraktiven Wohn- und Lebensort zu etablieren", erklärt Olaf Meister.
Die Sage vom Schäfer und dem Schatz in der Teufelsküche
Ganz interessant, sagt er, seien hierbei auch die bei der Beschäftigung mit dem Thema zutage geförderten Sagen, die den Frohser Berg eben nicht "nur" als schützenswertes Biotop zeigen, "sondern ihn als Teil unserer Heimat- und Kulturgeschichte darstellen".
Laut dem Internet-Nachschlagewerk Wikipedia soll, so berichtet es eine Sage, in einer Schlucht des Frohser Berges einst ein Fuhrmann ununterbrochen gefahren sein, ohne aber vom Flecke zu kommen.
In einer anderen überlieferten Geschichte geht es um den armen Schäfer Peter Wendeborn und seine geliebte Marie. Die durfte der mittellose Mann nicht heiraten. Ein Naturgeist berichtete ihm eines Nachts von einem Schatz in der "Teufelsküche". Nach einem ausgeklügelten Manöver, wobei der rote Mantel des Schönebecker Scharfrichters Hämmerling eine Rolle spielte, gelangte Peter Wendeborn in die Schatzhöhle. Das daraus mitgenommene Gold lies ihn zum wohlhabenden Mann werden und seine geliebte Marie wurde die Seine.
Eine Geschichte, die gut ausging. Und der Frohser Berg - wie geht es für ihn weiter?
"Für ihn sind eine Vielzahl von Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen denkbar", erklärt die Chefin des Umweltamtes des Salzlandkreises, Christiane von Wagner. Zum Schutz und Erhalt der wertvollen Bereiche wäre eine extensive Schafbeweidung der Mager- und Streuobstwiese die Methode der Wahl. Mit einer jährlichen Sommermahd der Acker- und Grünlandbrachen und Abtransport des Mähgutes könnten auch diese Bereiche für die verschiedensten besonders streng geschützten Arten erhalten werden.
"Bis 2005 gab es hier einen tätigen Landwirt, der über den sogenannten Vertrags-Naturschutz Pflegemaßnahmen ausgeführt hat, dort aber nicht mehr tätig ist. Leider hat sich bisher kein neuer Landwirt gefunden", bedauert die Amtsleiterin.