Suchtberatung Mit dem Rücken zur Wand

Die Finanzsituation der Suchtberatungsstellen - auch die der im Salzlandkreis - ist schwierig.

Von Paul Schulz 04.11.2020, 00:01

Schönebeck l Die Hauptaufgabe der Berater in den Suchtberatungsstellen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) ist es, anderen Menschen zu helfen. Sie unterstützen Alkoholiker, Medikamentenabhängige oder Drogensüchtige beim Kampf gegen die Sucht – und können so sogar Leben retten. Doch die Suchtberatung selbst hat mit Problemen zu kämpfen. Vor allem mit solchen finanzieller Art.

Wie prekär die Situation ist, macht Ines Grimm-Hübner, Geschäftsführerin beim Awo Kreisverband Salzland, deutlich: „Mittelfristig betrachtet stehen Schließungen von Außenstellen oder die Kürzung von Beraterstunden im Raum.“ Und das, obwohl die Awo eigentlich mehr Suchtberater einstellen müsste. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) hält nämlich eine Fachkraft für 10 000 Einwohner für angemessen. Im Salzlandkreis wird dieser Versorgungsgrad nicht erreicht. Zuletzt kamen auf einen Suchtberater 36 700 Einwohner, teilt Grimm- Hübner mit.

Das Problem um die Finanzierung der Beratungsstellen ist aber nicht auf den Salzlandkreis begrenzt. Überall in Deutschland stehen die Suchtberater vor ähnlichen Herausforderungen. „Angesichts klammer Kassen stehen viele Suchtberatungen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft – trotz der Systemrelevanz der Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe. Daher brauchten wir jetzt dringend eine stabile und verlässliche Finanzierung, um auch künftig die erforderliche Hilfe für Menschen mit Suchtproblemen wohnortnah zu sichern“, fordert Christina Rummel, stellvertretende Geschäftsführerin der DHS.

Um auf die Probleme aufmerksam zu machen, wurde der heutige Mittwoch erstmals als bundesweiter Aktionstag initiiert. Unter dem Motto „Kommunal wertvoll!“ soll auf die Dringlichkeit der Finanzierung und die Zukunftssicherung der Suchtberatungsstellen aufmerksam gemacht werden. Unter anderem ist es ein Ziel, die Beratungsstellen mit den Politikern ins Gespräch zu bringen. Zudem fordert die DHS, die Suchthilfe als kommunale Pflichtaufgabe einzuordnen.

Auch Ines Grimm-Hübner spricht sich ganz klar für Letzteres aus. Sie sagt: „Die Beratungsstellen leisten eine unverzichtbare Arbeit im Suchthilfesystem. Dies wurde auch jetzt unter Pandemiebedingungen besonders deutlich, indem die Suchtberatung als systemrelevant eingestuft wurde. Dabei gehen die Qualitätsanforderungen an die Ausbildung des Personals und an die inhaltliche Arbeit verständlicherweise immer weiter nach oben. Jedoch können wir unser gut qualifiziertes Personal nur dann halten, wenn auch eine auskömmliche, gesicherte, dynamisierte Finanzierung dahintersteht, die den Trägern und Mitarbeitern Planungssicherheit gibt. Deshalb halten wir die Finanzierung als kommunale Pflichtaufgabe für dringend notwendig.“

Derzeit werden die hiesigen Suchtberatungsstellen mit Mitteln von Land und Landkreis finanziert. Aber auch Eigenanteile der Träger tragen ihren Teil zur Finanzierung bei. „Seit Jahren beobachten wir mit Sorge, dass die Mittel immer knapper werden. So werden bei gleicher Finanzierung Entgeltsteigerungen für die Beraterinnen in den Personalkosten akzeptiert, dafür aber notwendige Sachkosten beziehungsweise Personalnebenkosten gekürzt“, sagt die Awo-Chefin.

Zudem würden die Gelder, die die Awo 2020 erhalten hat, die Kosten für die Beratungsstellen nicht decken. Durch die massive Senkung der Verwaltungskostenpauschale sei beispielsweise die Personalrechnung nicht mehr finanziert. Auch das Auto für die Außenstelle Staßfurt/Aschersleben ist nicht mehr finanziell gedeckt. Und da der Leasingvertrag nicht einfach gekündigt werden kann, laufen die Kosten vorerst weiter, so Grimm-Hübner. Außerdem teilt sie mit: „Durch Corona verschärft sich die Situation: Eigenmittel können nicht erbracht werden, da die Klienten für die MPU und die Nachsorge fehlen. Die Sachkosten, beispielsweise für Telefon und Desinfektion, reichen auf keinen Fall.“

Doch um welche Summen geht es konkret? Vergangenes Jahr hat das Land Sachsen-Anhalt rund 269.000 Euro für die Beratungsstellen im hiesigen Kreis zur Verfügung gestellt. Grundlage dafür bildet das Gesetz zur Familienförderung und zur Förderung sozialer Beratungsstellen des Landes. Weitere 76.000 Euro stellte der Salzlandkreis. In Summe standen für die Beratungsstellen der Awo und des Diakonischen Werkes (Suchtberatung in Bernburg) also 345.000 Euro bereit.

„Wir erhielten in 2019 rund 250.000 Euro, unsere Eigenmittel lagen bei zirka 8.000 Euro. Das mag nicht viel klingen, aber die Finanzplanung, die der Salzlandkreis akzeptiert, deckt schon nicht die allgemeinen Kosten, die wir tatsächlich mit den Beratungsstellen haben. Unsere Forderung ist, dass Eigenmittel nicht Teil der Finanzierung sein dürfen. Die zusätzlich erwirtschafteten Eigenleistungen der Beratungsstellen und Spenden sollten für zusätzliche Leistungen eingesetzt werden“, so Ines Grimm-Hübner.

Der größte Kostenpunkt sind dabei die Personalkosten. Sie teilen sich bei der Awo auf zwei Vollzeitkräfte (Schönebeck, Calbe, Barby), zwei Teilzeitkräfte (Staßfurt und Aschersleben) sowie zwei Verwaltungsmitarbeiterinnen mit jeweils 20 Wochenstunden auf.

Unglücklich ist, dass der Aktionstag „Kommunal wertvoll!“ mitten in die Corona-Pandemie fällt. Ursprünglich war nämlich eine Postkartenaktion geplant. So wollte die Awo heute um 10 Uhr an allen Standorten (Schönebeck, Calbe, Barby, Staßfurt und Aschersleben) die Postkarten an die Bürgermeister übergeben und mit ihnen persönliche Gespräche führen. So wollte man politische Entscheidungsträger auf die Situation aufmerksam machen. „Aufgrund der aktuellen Lage wird dieser Teil der Aktion wohl leider nicht stattfinden können“, bedauert Ines Grimm-Hübner.

Für die DHS und die Suchtberater bleibt dennoch die Hoffnung, dass sie mit dem Aktionstag auf die finanziellen Probleme aufmerksam machen können. Denn alles in allem ist die Situation verzwickt: Der empfohlene Beratungsschlüssel von einem Berater pro 10 000 Bürger ist noch lange nicht erfüllt. Wie auch, ohne das nötige Geld, um diese bezahlen zu können. Gleichzeitig handelt es sich aber um eine wichtige Aufgabe. Denn ohne Suchtberatung ist es für Abhängige um ein Vielfaches schwerer, ihre Sucht zu überwinden. Oder wie Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, sagt: „Wenn die Hilfe vor Ort wegbricht, stehen Suchtkranke und ihre Familien alleine da. So schwierig die Finanzlage vieler Kommunen ist – ohne eine gut aufgestellte Suchtberatung geht es nicht! Gute Beratung vor Ort ist der erste Schritt raus aus der Sucht und rein in ein gesundes Leben.“