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Andreas Baltzer aus Schönebeck lässt sich in einem frauentypischen Beruf ausbilden / Auch Staßfurter Helgo Nagel arbeitet als Erzieher Weg ins Glück: Kaufmann kündigt für Kita-Job

Von Elisa Sowieja 19.04.2012, 05:18

Am 26. April ist Zukunftstag. Er soll Mädchen typische Männer- und Jungen Frauenberufe nahebringen. Andreas Baltzer hat seine Wahl bereits getroffen. Vor zwei Jahren gab der Schönebecker seinen Job im Handel auf und begann eine Ausbildung zum Erzieher. Auch der Staßfurter Helgo Nagel arbeitet in diesem Beruf.

Schönebeck/Staßfurt l Ein bisschen drollig sieht es schon aus, wie Andreas Baltzer - ein ausgewachsener junger Mann - auf dem puppigen Kinderstuhl sitzt. Doch wer ihm zuhört, wenn er über seinem Beruf spricht, merkt schnell: Er passt zwar nicht so richtig auf das Stühlchen, dafür aber ganz und gar in die Einrichtung, in der es steht. Der 29-Jährige macht zurzeit eine Ausbildung als Erzieher. Für seine Praktika kehrt er immer wieder in die Kita St. Laurentii in Schönebeck-Frohse zurück.

Vorher hatte Andreas Baltzer zehn Jahre lang im Handel gearbeitet, war Abteilungsleiter bei einem Innenausstatter. Doch dann kam Jamie auf die Welt. Der Knirps veränderte nicht nur sein Privatleben, sondern das berufliche gleich dazu. "Ich habe zwei Monate lang Elternzeit genommen", erzählt der Schönebecker. Dabei wirkt er spürbar ausgeglichen, mit sich im Reinen. "Es war einfach klasse. Da bin ich auf den Trichter gekommen, Erzieher zu werden."

Sein bester Freund hatte sein Talent für den Umgang mit Kindern sogar schon früher erkannt. "Er arbeitet seit Ende der Schulzeit als Erzieher. Immer mal wieder hat er mir gesagt: ¿Das ist auch was für Dich!\'"

Also informierte sich Andreas Baltzer. "Das Problem war, dass es für meine Art von Ausbildung keine Vergütung gab. Und für BAFöG war ich zu alt." Doch er fand einen Weg: Das Arbeitsamt bewilligte ihm Unterstützung und jeden Sonnabend verdient er sich als Fahrer etwas dazu. "Trotz des Nebenjobs ist das Ganze immer noch weniger stressig als meine frühere Arbeit", erzählt der gelernte Kaufmann. "Ich bin schon am frühen Nachmittag zu Hause. Deshalb habe ich viel mehr Zeit für mein Kind."

"Sie haben gefragt: Wer bist \'n Du? Aber nach dem ich ihnen gesagt habe, wie ich heiße und das ich jetzt öfter komme, war das geklärt."

Andreas Baltzer

Die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher dauert normalerweise insgesamt fünf Jahre - mit dem Zwischenabschluss des Sozialassistenten nach zwei Jahren. "Aber da ich älter als 24 Jahre bin, eine abgeschlosse Berufsausbildung habe und vor Beginn der Ausbildung ein Praktikum im Erzieherbereich absolviert habe, kann ich die komplette Ausbildung in drei Jahren machen", erklärt er.

Insgesamt verbringt Andreas Baltzer davon zwei Jahre in der Schule und eines mit Praktika. Als er das erste Mal die Kita St. Laurentii betrat, schauten ein paar Kinder schon ein bisschen verdutzt. "Sie haben gefragt: ¿Wer bist \'n du?\'", erinnert sich der angehende Erzieher lachend. "Aber nachdem ich ihnen gesagt habe, wie ich heiße und dass ich jetzt öfter komme, war das geklärt. Die Kinder gehen ganz normal mit mir um - obwohl ich der einzige Mann in der Kita bin."

Dank ihm haben sie sogar einen Vorteil: "Ich spiele mit den Kindern oft Fußball oder mit dem Kipper - das, was Frauen eher seltener machen." Somit bringt er auch den männlichen Teil der Erziehung in die Einrichtung. "Das ist vor allem für Kinder gut, deren Mütter alleinerziehend sind."

Doch Kita-Erzieher bedeutet weit mehr als nur Fußball Spielen: Andreas Baltzer spricht mit den Kleinen über ihre Erlebnisse, hilft ihnen beim Essen, bringt ihnen bei der musikalischen Frühförderung Instrumente näher und klärt über Fragen auf, die die Welt der Kleinen bewegen: Warum sind Wolken am Himmel? Und wie kommt der Mann ins Radio?

Bei den Knirpsen kommt er mit seiner fröhlichen Art bestens an. Und bei den Kolleginnen offenbar auch: "Sie behandeln mich ganz normal, ich bin einer von ihnen."

Und was sagt das Umfeld des 29-Jährigen dazu, dass er jetzt in einem typischen Frauenberuf arbeitet? "Einige haben es im ersten Moment belächelt, aber niemand hat die Entscheidung ins Lächerliche gezogen. Und meine Frau findet es super, dass ich mehr Zeit für die Kinder habe und dass ich glücklicher bin als vorher."

Zwar hat Andreas Baltzer noch bis zum Ende der Ausbildung finanzielle Einbußen. Doch das bringt ihn nicht aus dem Gleichgewicht: "Das ist es wert", sagt er mit fester Stimme. "In diesem Beruf habe ich viele Perspektiven. Ich könnte zum Beispiel auch im Behindertenbereich arbeiten oder später studieren."

Nicht zu vergessen die Arbeit mit Kindern, die der Schönebecker so liebgewonnen hat. "Von den Kleinen kommt so viel zurück", schwärmt er. Und wäre sein Stuhl nicht so klein würde er sich bei diesen Worten bestimmt zufrieden zurücklehnen.

Kolleginnen: anfangs erstaunt, aber sonst positiv gestimmt

Ähnlich wie Andreas Baltzer landete auch Helgo Nagel über Umwege in einer Kita. Der 40-Jährige ist seit 2003 ausgebildeter Erzieher. Zu dem Beruf kam der Staßfurter durch die Bundeswehr. Als er aus dem Dienst ausschied, wurde er im Rahmen des Berufsförderungsdienstes umgeschult. Seine Wahl erklärt er schlicht so: "Der Beruf hat mich einfach interessiert."

Bevor er in der Kita "Bergmännchen" Staßfurter landete, arbeitete Helgo Nagel in einem Heim und später mit schwererziehbaren Jugendlichen. Das Einleben in der Einrichtung fiel ihm nicht schwer. Seine Kolleginnen wären zum Anfang wohl etwas erstaunt gewesen über den männlichen Erzieher. Aber ansonsten seien sie ihm durchweg positiv begegnet. "Auch im Freundeskreis hat niemand eine Bemerkung gemacht oder schief geguckt." Und mit den Hauptakteuren in der Kita, den Kleinen, lief es erst recht super: "Am Anfang waren sie noch etwas vorsichtig und zurückhaltend. Aber das hat sich ganz schnell gelegt."